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Innerer Schweinehund
Autor: Mark de Boer

Captain Andersson stand am Krankenbett seiner Freundin, als Doktor Tyrone aus dem Nebenzimmer kam. Er drückte kurz ihre Hand und trat auf den Mediziner zu. „Und wie geht’s den Überlebenden?“ Gregory reagierte zunächst nicht, sondern humpelte auf seinen Arbeitsplatz zu. Er ließ sich mit einem lauten Seufzer in seinen Sessel fallen und legte sein lädiertes Bein auf den Schreibtisch. Garrick war ihm gefolgt und wartete geduldig. Als der Doktor jedoch ein Padd in die Hand nahm, wurde er ungeduldig. „Doktor! Was ist mit den Überlebenden?“ Tyrone sah ihn an, als würde er ihn erst jetzt bemerken. „Sie wissen schon, dass die Untersuchungsergebnisse der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen?“, fragte er und konzentrierte sich wieder auf sein Padd. Der Däne sah ihn fassungslos an. „Doktor Tyrone. Wir befinden uns in einer kritischen Situation. Auf dem Planeten befinden sich Romulaner, die noch nichts vom Kriegsende wissen. Vor unserer Haustür befindet sich ein unbekanntes, außerirdisches Raumschiff, und in Ihrem Labor liegen viele tote Aliens. Ich denke, ich kann Ihnen genügend Paragraphen nennen, die mir das Recht geben, zu erfahren, wie es den Überlebenden geht. Wenn Sie es für nötig halten, können Sie ja einen formellen Protest in Ihrem Logbuch vermerken.“ Gregory sah den großgewachsenen Mann amüsiert an und winkte dann ab. „Ja, ja… Für die Diagnose muss man kein Arzt sein. Gesunder Menschenverstand und ein geübter Blick reichen vollkommen aus. Die acht Überlebenden haben Abschürfungen und Prellungen, sind unterkühlt und leicht unterernährt. Außerdem haben sie akuten Schlafmangel und zeigen Stresssymptome, was bei dem Erlebten aber nicht weiter verwundert. Eine heiße Suppe und ausreichend Schlaf und sie sind wieder auf dem Damm. Mit anderen Worten: Es geht ihnen den Umständen entsprechend gut.“ Der Captain ließ die Luft langsam entweichen. Nach dem Theater des Doktors hatte er mit deutlich schlimmeren Nachrichten gerechnet. „Sind sie damit aus der Krankenstation entlassen? Ich würde sie gerne mitnehmen und sie über das befragen, was auf dem Planeten vorgefallen ist.“ „Wenn es nicht zu lange dauert, meinetwegen. Aber ich will, dass sie in einer Stunde in ihren Quartieren sind. Und das sage ich jetzt als Chefarzt!“


Das Malik-Wesen trottete mit seiner Truppe hinter dem Captain der USS Katana hinterher, der ihnen mit bemüht fröhlichen Worten das Schiff und einige der vergangenen Missionen erklärte. Der Soldat, der früher Hamilton war, trat neben ihm und flüsterte ihm zu: „Wir sollten ihn übernehmen. Damit gehört uns auch dieses Schiff.“ Das Malik-Wesen überlegte einen Moment und nickte dann. „Das sehe ich genauso. Wir werden das Schiff von oben übernehmen.“ Es beschleunigte seinen Schritt, wurde dann aber von der ehemaligen Liu festgehalten. „Benutzt eure Wirt-Erinnerungen. Nur den Captain zu übernehmen, reicht nicht. Außerdem kommen hier zu viele Personen vorbei. Wir können es uns nicht erlauben, entdeckt zu werden. Wir brauchen neue Kinder. Ich werde heute Nacht also eine neue Generation gebären. Ihr müsst mir nur weitere Wirte besorgen. Und jetzt kein Wort mehr!“ „Ja, Magter!“, bestätigten die beiden Männer und ließen sich wieder in die Gruppe zurückfallen.


Doktor Tyrone hatte sich den ersten Leichnam vorgenommen. Nach den anfänglichen Tiefenscans hatte er ihn schließlich geöffnet. Immer wieder murmelte er „Interessant!“ und übertrug seine Erkenntnisse in eine Datenbank. Rahel Goldzweig stand bei ihm und sah ihm interessiert zu. Gregory hatte sie insgeheim zu seiner neuen Assistentin gemacht. Zum einen sah sie gut aus, zum anderen hatte sie Eigeninitiative bewiesen und so ein Heilmittel gegen eine gefährliche Krankheit gefunden. Außerdem war sie aufgeweckt genug und ließ sich nicht so einfach von ihm aufs Glatteis führen wie die übrigen Mitglieder der medizinischen Abteilung. Der Doktor führte gerade einen präzisen Schnitt durch, als er plötzlich von einem heftigen Hustenanfall geschüttelt wurde. Ihm fiel das Skalpell aus der Hand. Und nur mit großer Mühe gelang es ihm, sich am Obduktionstisch abzustützen. Rahel stürzte zu ihm. „Doktor. Was ist los?“ Aber der Mann hustete nur weiter. „Computer! Notfallisolation Stufe 3 durchführen! Biologischen Alarm auslösen! Die Sensoren…“ „Nein…“, krächzte Gregory und hustete noch ein paar Mal heftig. „Alles in Ordnung. Ich habe mich nur an meiner Spucke verschluckt.“ Er hustete ein letztes Mal und blinzelte die Tränen weg, die ihm gekommen waren. „Das kommt davon, wenn man vor lauter Konzentration auf der Zunge kaut.“, meinte er schließlich, als er sich beruhigt hatte. „Computer, Isolation und Alarm beenden!“ Ein Piepen bestätigte, dass der Befehl befolgt wurde.


Gregory Tyrone verließ den Isolationsbereich der Krankenstation. Er blickte auf die Chefingenieurin herab. Im Vorbeigehen fragte er mit einem spöttischen Lächeln: „Na, eine gute Show genossen? So eine Obduktion einer unbekannten Spezies ist immer wieder etwas Aufregendes.“ Seeta schnaubte nur. Sie wollte einfach nur in ihr Quartier. „Aber dieser aufgeblasene Arzt will sich einfach nur wichtigmachen.“, dachte sie wütend. „Und für so einen Menschen hast du mich getötet.“, spürte sie eine kleine Stimme tief in ihren Gedanken. Ohne auf die Stimme oder den Doktor einzugehen, drehte sie sich zur Seite. Der Doktor ging weiter und rief ihr zu: „Ich werde jetzt Feierabend machen. Wenn Sie etwas brauchen, Doktor Cloyne hat heute Nachtschicht. Er ist hauptsächlich mit weiteren Obduktionen beschäftigt. Aber wenn sie nur kleine Wehwehchen haben, können Sie ihn ruhig ansprechen. Er sollte sie dann nicht mit seiner Unkenntnis umbringen. Wenn es etwas Ernstes ist, warten Sie, bis ich wieder da bin. Gute Nacht!“ Er verließ die Krankenstation.


Ross Cloyne war sauer. Zum einen auf sich selbst, weil er sich direkt beim neuen Chefarzt blamiert hatte. Zum anderen aber eben auch auf jenen Doktor Tyrone, der ihm die Stelle streitig gemacht hatte, auf die er jahrelang gehofft hatte. Und weil er ihn vorgeführt hatte wie einen blutigen Anfänger. Und nun hatte er ihn auch noch in die Nachtschicht gesteckt. Die Krankenschwester, die ihm zur Hand gehen sollte, hatte seine Laune schnell bemerkt und sich umgehend auf einen Haufen Papierkram gestürzt. Er sah auf den Dienstplan und konnte es kaum fassen. Nicht genug, dass er die nörgelnde Chefingenieurin auf der Krankenstation liegen hatte, jetzt sollte er auch noch die Obduktionen durchführen. „Finden Sie heraus, was diese Wesen getötet hat.“, hatte Tyrone ihm in seinen Plan geschrieben. Er lachte humorlos. „Was soll wohl die Todesursache sein?“, fragte er genervt, als er auf den verbrannten Leichnam sah. „Dieses Stück Kohle ist bestimmt an Altersschwäche gestorben.“, meinte er sarkastisch zu sich selbst. „Also wirklich… Dafür brauch ich keine Obduktion. Das sieht doch jeder Blinder!“, knurrte er. Dennoch nahm er ein Skalpell und aktivierte das Logbuch. „Obduktion des Leichnams Nummer Acht der unbekannten Spezies. Sternzeit 60540.5, durchführender Arzt: Doktor Ross Cloyne.“ Er setzte das Messer an und dachte grimmig: „Wenn die Situation sich nicht ändert, werde ich mich umorientieren. Vielleicht bewerbe ich mich auf der USS Friendship. Mein Cousin meinte, es wäre ein ausgezeichnetes Schiff, die wohl bald einen neuen Chefarzt suchen. Ich werde nicht mehr ewig ein einfacher Arzt sein!“ Er führte einen gekonnten Y-Schnitt durch und öffnete damit den Brustkorb und die Bauchdecke des Toten. Er entfernte mit geübten Bewegungen einzelne Organe, wog sie, legte sie in Schalen und notierte die Ergebnisse. Er war so sehr konzentriert und in die routinierten Abläufe eingetaucht, dass ihm entging, wie eine kleine Blase mit einem leisen Plop platzte. Sekunden später stürzte er zu Boden und rang um Luft. Ihm wurde letztendlich die Ironie bewusst, dass er nun wirklich nicht mehr ewig einfacher Arzt sein würde. Kurz darauf war sein Bewusstsein ausgelöscht.


Seeta lag wach auf dem Krankenbett. Sie konnte nicht schlafen. Sie vermisste Garrick, ihr weiches Bett und vor allem Luma Erika. Aber gleichzeitig vermisste sie Romulus und würde alles tun für romulanische Riesenmollusken. Seeta war verwirrt über dieses Gefühls- und Gedankenchaos in ihrem Kopf. „Vielleicht hat der Doktor ja doch recht, und ich sollte mir die zweite Persönlichkeit endlich entfernen lassen.“, dachte Seeta. „Aber da solltest du lieber nochmal drüber schlafen!“, flüsterte Nelik in ihren Gedanken. Und trotz aller inneren Unruhe schlief sie schließlich tatsächlich ein. Dann wurde sie jedoch mit einem Schrecken wach. Sie hatte lautes Poltern gehört. Und auch jetzt vernahm sie ein Keuchen. Mit klopfendem Herzen stand sie auf. „Computer. Licht!“, befahl sie, denn auch wenn sie Technikerin war, machten das schummerige Licht und die unheimlichen Geräusche sie doch nervös. Sie sah sich nach einer Verteidigungswaffe um, konnte aber nur ein Hypospray entdecken. „Zur Not nutze ich es als Wurfgeschoss.“, dachte sie und griff danach. Sie schlich weiter durch die Krankenstation und folgte den Keuchgeräuschen bis zu dem Raum, in dem die Leichen seziert wurden. Sie sah durch das Panoramafenster. Entsetzt sah sie den diensthabenden Doktor auf dem Boden liegen und um Luft ringen. Schließlich erschlaffte er und blieb reglos liegen. Seeta stand geschockt am Fenster und war wie gelähmt. Sekunden vergingen, bis sie schließlich aus ihrer Starre erwachte und auf ihre linke Brust klopfte. „Yadeel an…“ Sie fluchte. Natürlich hatte sie keinen Kommunikator an ihrem Nachthemd. Sie blickte sich um auf der Suche nach einem öffentlichen Kommunikator. Bevor sie aber fündig wurde, registrierte sie eine Bewegung in dem isolierten Raum. Der Doktor zog sich mühsam am Obduktionstisch hoch und verharrte regungslos. „Doktor…“, Seeta versuchte verzweifelt, sich an den Namen des Arztes zu erinnern. „Doktor. Alles in Ordnung mit Ihnen?“ Er reagierte nicht. „Doktor…!“ Endlich fiel ihr der Name ein. „Doktor Cloyne. Geht es Ihnen gut?“ In Zeitlupe drehte sich der Angesprochene um und sah sie mit glasigen Augen an. Er kam langsam aus dem Isolierzimmer heraus und ging geradewegs auf Seeta zu, die instinktiv zurückwich. Die Situation wurde ihr unheimlich. Sie nahm eine Abwehrhaltung ein und hob das Hypospray. „Doktor Cloyne. Was ist mit Ihnen? Was ist passiert?“ Der Arzt blinzelte, und sein Blick klärte sich. „Mir geht es gut. Ich bin nur gestolpert und hingefallen. Dabei habe ich mir wohl den Kopf ein wenig gestoßen.“ Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln. „Bitte entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen einen Schrecken eingejagt habe.“ Mit einem Mal erschien ihr die Situation alles andere als seltsam. Vor ihr stand ein Arzt mit grau melierten Haaren und braunen, warmen Augen. Der Dackelblick, den er aufgesetzt hatte, zerstreute sämtlichen Argwohn in ihr, auch wenn tief in ihr eine Stimme „VORSICHT! Da stimmt was nicht!“ schrie. „Nun ja, ein wenig unheimlich war mir die Situation schon. Sie lagen da wie tot. Und auch eben waren sie irgendwie nicht wirklich da.“ Er lachte leise. „Und sie wollten sich mit dem Hypospray verteidigen?“ Seeta wurde verlegen. „Nun… ja. Ich habe nichts Besseres gefunden.“ Sie reichte ihm das Spray. Er sah sich das Gerät an. „Ein Sedativum. Es gibt schlechtere Alternativen.“, urteilte er, drückte es ihr an den Hals und aktivierte es. „Was…?“, murmelte Seeta noch und sackte in sich zusammen. Das Cloyne-Wesen fing sie auf und zog sie in den Isolierraum. Es hob den Kopf und schloss die Augen. Leise hörte es einen wohlbekannten Ton, eine verheißungsvolle Melodie. „Die Magter ist an Bord. Sie hat überlebt!“, jubilierte es. „Und es ruft nach neuen Wirtskörpern.“ Es genoss noch einige Sekunden den süßen Ruf der Magter, den es in seinem Kopf spürte. Dann ging der ehemalige Arzt zum Computer, um herauszufinden, wo die Überlebenden untergebracht waren. „Deck 8…“, murmelte er, zog die Chefingenieurin hoch, griff ihr unter die Arme und verließ mit ihr die Krankenstation.


Elisheba wachte schweißgebadet auf. Sie hatte einen unheimlichen Traum gehabt, der die tiefsten Urängste in ihr wachgerufen hatte. Sie hatte von Seelenfressern geträumt. Einer Geschichte, die ihre Uroma ihr manchmal erzählte. „Es ist mehr als eine Geschichte. Es ist eine alte Legende. Eine Wahrheit!“, hatte sie stets behauptet. Elisheba hatte immer gelacht und es als Altweiber-Geschwätz abgetan. Aber dennoch hatte ihr dieser Traum von den Seelenfressern furchtbare Angst gemacht. Und selbst jetzt, da sie wach war, spürte sie noch das blanke Entsetzen tief in ihren Eingeweiden. Sie war total durcheinander. Sie hatte große Angst, das Licht zu aktivieren, weil sie sich davor fürchtete, ein großes Ungeheuer mit einem großen Maul voller spitzer Zähne vor ihrem Bett stehen zu sehen. Schließlich zwang sie sich zur Ruhe und stieß ein Lachen aus, das ihr die Nervosität nehmen sollte, aber mehr über ihre wahre Gefühlslage verriet, als ihr lieb war. Sie zählte bis drei und aktivierte das Licht. Wie erhofft war sie alleine im Zimmer. Sie richtete sich auf und horchte in sich hinein. Die Angst klang langsam ab, aber es blieb ein Gefühl der Unruhe in ihr. Sie stand auf und ging ins Badezimmer. Die junge Aenar warf sich eine Handvoll Wasser ins Gesicht und nahm einen tiefen Schluck des kühlen Nass. Sie ging zurück ins Schlafzimmer, spürte aber, dass sie noch zu unruhig sein würde, um schlafen zu können. Also setzte sie sich aufs Bett und versuchte es mit einer Meditationsübung ihres Volkes. Und allmählich spürte sie, wie die Unruhe aus ihren Gliedern verschwand. Doch stattdessen nahm sie ein leichtes Ziehen wahr, ein Ton in ihrem Kopf, der süß und zugleich gefahrvoll klang. Ihre Neugier siegte, und sie ließ sich auf den Ton ein. Er schwang in ihr, wurde langsam kräftiger und hüllte sie weiter ein wie in einen Kokon aus Honig. Sie genoss es, aber als sie sich von ihm lösen wollte, merkte sie, dass er sie zu übermannen drohte. Wie eine Fliege auf dem Sonnentau klebte dieser Ton an ihr. Und mit jedem Versuch, sich zu befreien und abzuschotten, klebte sie nur noch mehr an ihm. Der Ton schwoll an, bis er ihr gesamtes Denken ausfüllte. Sie stieß ein entsetztes Stöhnen aus und brach bewusstlos zusammen.


Seeta fühlte kaum, dass sie durch die Flure der Katana geschleift wurde. Die Umgebung nahm sie nur schemenhaft wahr, und auch Geräusche drangen nur schwammig zu ihr durch. Immer wieder versank ihr Geist in dunkler Umnachtung. Sie hatte das vage Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung war. Verstärkt wurde dies durch eine Stimme in ihrem Kopf, die sie anschrie, endlich wach zu werden und sich zu wehren. Aber Seeta fühlte fast schon eine heitere Gleichgültigkeit. Sie wollte etwas sagen, wusste aber nicht mehr, wie das ging. Und als ihr das wieder eingefallen war, hatte sie vergessen, was sie sagen wollte. Ein kurzes Kichern entwich ihren Lippen, dann wurde sie wieder ohnmächtig. Begleitet wurde sie nur von dieser Stimme, die ihr irgendwie bekannt vorkam, die sie aber nicht zuordnen konnte, und die sie ständig flehentlich anschrie, etwas zu tun.


Das Wesen, das vormals Cloyne gewesen war, trug die bewusstlose Zandarianerin ohne große Probleme durch die Flure von Deck acht. Es wusste, dass die Frau ab und zu wach wurde, aber das war ihm egal. Für es zählte nur der liebliche Gesang der Magter. Sie rief damit ihre Kinder auf, mit frischen Wirten zu ihr zu kommen. Sie würde eine neue Generation von Kindern gebären, die in den neuen Körpern sofort nach weiteren Wirten suchen konnten. Cloyne lächelte, lauschte dem süßen Singsang seiner Mutter und folgte ihm wie einem Leitstrahl. Der ehemalige Arzt wusste, dass es nicht mehr weit war. Der Gesang wurde lauter und eindringlicher, bis er seinen Höhepunkt erreichte. Das Wesen blieb stehen und sah sich um. Links von ihm war eine Tür. Es drückte den Türsummer. Ihm öffnete ein Vulkanier. Die beiden sahen sich einen Moment an. Dann nickte der Vulkanier kurz, trat zur Seite und ließ die beiden herein. Cloyne sah die Magter. Es bedarf keines zweiten Blickes, um sich sicher zu sein. Das Wesen ließ Seeta Yadeel herunter und vollführte die traditionelle Geste der Zugehörigkeit. „Mein Kind! Es ist schön, dich wiederzusehen.“, grüßte Liu den Mann. „Du hast einen Wirt mitgebracht.“, fuhr sie lächelnd fort. „Ja, und es handelt sich um die Chefingenieurin dieses Schiffs.“, antwortete Cloyne stolz. „Perfekt. Das kommt uns sehr entgegen! Leg sie hier hin.“


Seeta spürte ein verzweifeltes Zerren an ihren Synapsen, dass sie langsam wach werden ließ. Sie vernahm wieder die ihr mittlerweile vertraute Stimme von Nelik in ihrem Geist. „Verdammt! Du dämliche Starfleet-Schlampe! Wach endlich auf! Sie werden uns umbringen! Tu endlich was!!!“ Die Stimme schaffte es, Seeta für einen Moment aus ihrer Umnachtung zu reißen. „Nelik hatte sie noch nie beleidigt“, kam Seeta in den Sinn. „Verspottet ja, aber nie sowas!“ „Mach einfach die Augen auf, und du weißt, was los ist! Verschwinde von hier oder wir werden niemals wieder ein Wort miteinander reden können!“ Seeta bemühte sich krampfhaft, die Augen zu öffnen. Es kostete sie alle Kraft, die Lider einen Spalt zu heben. Sie sah eine der geretteten Personen aus dem unbekannten Raumschiff. Aber irgendwas war anders an ihr. Die Frau hob ihr Shirt hoch und entblößte ihren Bauch. Aber etwas stimmte ganz und gar nicht. Seeta sah lauter kleine, graue Beulen auf deren ansonsten makellosen Körper. Die Asiatin kam einige Schritte näher. „Erkennst du es endlich?“, schrie Nelik in ihrem Kopf. „Das ist nicht gut. Wir müssen hier weg!“ Seeta stimmte ihr vollkommen zu, hatte aber einfach keine Kraft, sich zu rühren. Mit entsetzter Faszination registrierte sie, wie eine der Beulen zerplatzte und einen fast durchsichtigen Nebel freisetzte. Trotz aller Panik, die sich in ihr ausbreitete, war das Narkotikum letztendlich doch stärker und umschloss sie in dankbarer, schwarzer Ohnmacht. Begleitet wurde ihr Versinken in die Dunkelheit von einer kreischenden Stimme in ihren Gedanken.


Elisheba wurde in einer völlig verdrehten Lage wieder wach. Sie wusste zunächst überhaupt nicht, wo sie war, bis ihr klar wurde, dass sie quer im Bett lag. Sie richtete sich ächzend auf. Jeder Muskel ihres Körpers schmerzte. Sie fühlte sich, als wäre sie windelweich geprügelt worden. Passend dazu meldeten sich höllische Kopfschmerzen, als sie endlich aufrecht im Bett saß. Mehr denn je fühlte sie sich wie nach einer Schlägerei. Aber ihr Körper wies keine Blessuren auf. Es war ihr vollkommen schleierhaft, was in der letzten Nacht passiert war. Sie überlegte für den Bruchteil eines Moments, sich für heute krank zu melden, entschied sich dann aber dagegen. Sie war erst seit kurzem auf diesem Schiff. Da machte es sicher keinen guten Eindruck beim Captain, wenn sie schon ausfiel. Also quälte sie sich ins Badezimmer und betrachtete sich im Spiegel. Sie erschrak. Unter ihren blinden Augen hatten sich über Nacht dunkle Ringe gebildet. Sie wusste bisher nicht einmal, dass Aenare überhaupt Augenringe bekommen konnten. Sie kannte den Ausdruck nur von ihren Kommilitonen auf der Akademie. Sie beschloss, erst einmal unter die Dusche zu gehen. Sie hoffte, dass es ihrem Körper insgesamt dann besser gehen würde. Sie zog sich aus, aktivierte die Schalldusche und stieg hinein. Sie genoss diese Momente sehr, stellte sich immer vor, wie aller Schmutz und Ballast von ihr abgewaschen würde. Es war immer wieder einer der friedlichsten Augenblicke eines jeden Tages. Aber diesmal wollte sich die Ruhe nicht einstellen. Stattdessen verspürte sie eine wachsende Unruhe, die wie ein Alarmsignal alle ihre Nerven zum Klingen brachte. Und dann war alles wieder da. Sie erinnerte sich an den Ton, der sie eingesponnen hatte wie eine Spinne ihre Beute. An den süßen Geschmack, den er zunächst in ihr erzeugt hatte, dann aber zu einem schmerzvollen Crescendo geworden war. Und an die Erinnerungen an die Legenden der Seelenfresser. An das Gefühl großer Gefahr. Elisheba unterdrückte die Panik, die sich in ihr breit machen wollte. Ihre Gedanken kreisten. Woher kam auf einmal diese Urangst in ihr, dieser tief sitzende Impuls, einfach wegzurennen? Ihr wurde schwindelig. Sie merkte noch rechtzeitig, wie ihre Beine unter ihr nachgaben, so dass sie nicht der Länge nach hinfiel. So sackte sie nur in sich zusammen und verlor das Bewusstsein.


Seeta erwachte mit einem Schreck auf der Krankenstation. Vor ihr stand der Chefarzt und sah sie lächelnd an. Für einen Moment fragte sie sich, ob sie alles nur geträumt hatte. Aber dann fühlte sie, dass irgendwas anders war. Sie hörte sich etwas sagen, obwohl sie gar nicht gesprochen hatte. Sie erhob sich. Vielmehr spürte sie, wie ihr Körper sich erhob, ohne dass sie es wollte. Ihr Körper führte Bewegungen aus, die sich nicht gewollt hatte oder beeinflussen konnte. Tiefes Entsetzen breitete sich in ihren Gedanken aus. „Was geht hier vor?“, fragte sie sich. Sie versuchte, laut zu schreien und den Arzt auf sich und ihre Lage aufmerksam zu machen. Aber es kam kein Laut über ihre Lippen. „Ich bin gefangen in meinem eigenen Körper.“, dämmerte es ihr. Dann kam ihr ein weitaus grausamerer Gedanke: „Wie eine Marionette am Faden. Aber wer steuert meinen Körper?“ Dann fiel ihr noch ein Unterschied auf. Nelik war nicht mehr da. Sie war mittlerweile so an diese zweite Präsenz in ihrem Kopf gewöhnt, dass ihr das Fehlen zunächst nicht aufgefallen war. Aber nun war es wie ein Loch in ihrem Geist. Und wo Nelik gewesen war, spürte Seeta jetzt eine kalte, furchteinflößende Präsenz. Seeta fing an zu schreien. Ein angsterfüllter, stummer Schrei, der nur in ihren Gedanken existierte.


Elisheba war auf dem Weg zur Krankenstation. Sie versuchte krampfhaft, ihre Gedanken und ihren Körper wieder zu beruhigen. Was immer dieses Gefühl ausgelöst hatte, musste gefunden werden. Egal ob die Ursache in ihr lag oder auf diesem Schiff. Auf jeden Fall brauchte sie Klarheit.

Sie betrat die Behandlungsräume und wurde von Doktor Tyrone in Empfang genommen. „Was kann ich denn für sie tun? Ihre Eingangsuntersuchung war doch erst vor ein paar Tagen.“ Er drehte sich zu einem anderen Arzt um. „Cloyne. Hören Sie auf, mit Yadeel zu flirten. Sie hat schon einen Mann - übrigens den Captain dieses Schiffs. Schauen Sie lieber hier nach der Aenar und dann sehen Sie zu, dass Sie endlich Ihren Arsch aus meiner Krankenstation und in Ihr Quartier bekommen. Ihre Schicht ist schon lange vorbei.“ Er nickte ihr zu und ging in sein Büro.

Doktor Cloyne trat zu Elisheba, und mit jedem Schritt, den er ihr näher kam, fühlte sie deutlicher, wie der Gesang in ihm reflektiert wurde. Sie versuchte, sich dagegen abzuschotten. Sie sah sich um und erblickte die Chefingenieurin des Schiffes. Aber auch von ihr ging eine Gefahr aus, das spürte sie. Und als sie ihre mentale Abschirmung lockerte, spürte sie den süßen, verlockenden Ton auch in ihr vibrieren. Was immer hier vorging, sie konnte auf der Krankenstation keine Hilfe erwarten. Sie drehte sich um und verließ sie fluchtartig.


Seeta sah die neue Nummer Eins des Schiffes eintreten und erkannte sofort den Hauch von Nervosität an ihr. Als die Frau Cloyne erblickte, wandelte sich die Nervosität in Entsetzen. Dann sah sie ihr in die Augen, und blanke Panik spiegelte sich in ihrem Gesicht wieder. Ohne ein weiteres Wort hatte die Aenar sich umgedreht und war gegangen. Nein, eher geflohen. Seeta konnte nicht anders, als zu glauben, dass die junge Frau ahnte, dass hier etwas nicht stimmte. Soweit sie sich erinnerte, waren Aenar telepathisch veranlagt. Vielleicht hatte sie gemerkt, dass sich eine unbekannte Präsenz auf dem Schiff und in einigen Körpern befand. In ihr reifte eine Idee. Um die anderen zu warnen, musste sie Kontakt zu Krann aufnehmen und sie informieren. Sie hatte in den vergangenen Stunden versucht, etwas über dieses Wesen in ihr herauszufinden, das sie nun steuerte. Noch war es nicht viel, das sie erfahren hatte. Aber das, was sie aus dem Gespräch mit dem Arzt erfahren hatte, ließ nichts Gutes ahnen. Scheinbar versuchten die beiden, weitere Crewmitglieder zu der Asiatin zu bringen, um sie umzuwandeln. Und das galt es zu verhindern. Ihr großer Verteil war, dass das Wesen in ihr scheinbar nicht wusste, dass sie da war. Also konnte sie weitere Informationen sammeln. Aber sie hatte den größten, denkbaren Nachteil. Wie sollte sie Krann informieren, wenn sie keinerlei Kontrolle über ihren Körper hatte?


Die Aenar stürmte auf die Brücke. „Captain. Ich muss mit Ihnen sprechen.“ Überrascht sah Andersson von seinem PADD auf. „Was gibt es denn?“, fragte er. „Das würde ich gerne unter vier Augen mit Ihnen besprechen.“, antwortete sie und schob dann nach. „Wenn es möglich ist, Sir.“ „Natürlich.“ Andersson erhob sich und ging in sein Arbeitszimmer. Die Aenar folgte ihm. „Okay, was gibt es denn so Dringendes?“, fragte er erneut. „Sir, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Aber irgendwas ist auf diesem Schiff. Irgendwas Unheimliches.“ Garrick zog eine Augenbraue hoch. „Etwas Unheimliches…“ „Ja, Sir. Letzte Nacht habe ich einen unheimlichen Ton wahrgenommen. Telepathisch gespürt. Von ihm geht etwas Böses aus. Das fühle ich tief in mir. Ich kann es nicht erklären. Ich weiß es einfach. Und auf der Krankenstation habe ich eine Resonanz dieses Tons in einem der Ärzte gespürt.“ Garricks Augenbraue wanderte noch ein Stück weiter nach oben. „Aber da gibt es noch etwas, Sir.“ Elisheba zögerte. „Ich habe diese Resonanz auch bei der Chefingenieurin gespürt. Sie ist gefährlich. Ich würde empfehlen, sowohl den Arzt als auch Lieutenant Commander Yadeel vorerst unter Arrest zu stellen.“ „Auf welcher Grundlage?“, Garricks Reaktion war härter ausgefallen, als beabsichtigt. Also straffte er seine Jacke und räusperte sich. „Ich weiß, dass sie Sie gestern ganz schön angefahren hat. Ich kann mir einen besseren Start für ein Arbeitsverhältnis vorstellen. Aber sie sprechen hier von meiner Frau. Ich werde sie garantiert nicht festnehmen, nur weil Sie einen Ton hören.“ „Sir, es ist mehr. Dieser Ton weckt eine Urangst in mir, die ich nie zuvor gekannt habe. Es ist wie bei einem tief verwurzelten Wissen. Ich bleibe dabei, dass wir etwas Bösartiges an Bord haben.“ Der Captain überlegte. Natürlich würde er Seeta nicht verhaften lassen aufgrund dieser abstrusen Geschichte. Andererseits wollte er die Möglichkeit auch nicht ausschließen, dass vielleicht doch eine Gefahr für das Schiff bestand. Sein erster Offizier war ein Telepath. Wer weiß, was sie alles spüren konnte? „Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Sie lassen sich zunächst gründlich untersuchen, um jegliche Erkrankung auszuschließen, die bewirken könnte, dass Sie diesen Ton hören oder fühlen. Wenn wir da sicher sein können, werden wir über weitere Möglichkeiten diskutieren.“ Elisheba spürte, dass sie vorerst nicht mehr erreichen konnte. Aber sie konnte dem Captain auch keinen Vorwurf machen. Wie sollte sie ihm, einem Nicht-Telepathen, begreiflich machen, was sie spürte? Sie nickte. „Aye Sir!“ Dann drehte sie sich um und verließ das Büro des Captains.

Garrick ließ sich schwerfällig in seinen Sessel fallen. Er überlegte, wie er die Situation bewerten sollte. Der Commander konnte krank sein oder konnte Recht haben. Auch eine Revanche wäre denkbar. Wenn er eines im Umgang mit Frauen gelernt hatte, dann, dass bei ihnen nichts unmöglich war. Er schüttelte den Kopf. Nein, das war ihm dann doch zu unwahrscheinlich. So tief ließ sich ein Sternenflottenoffizier garantiert nicht sinken. Er seufzte. Also würde er sich Expertenmeinungen einholen müssen. Er atmete tief ein und aktivierte dann seinen Kommunikator. „Counselor Preja, Doktor Tyrone, bitte kommen Sie umgehend zu mir ins Büro des Captains.“