Log 61
Zwischen den Zeiten
Autor: Tomm Lucas
Anfangssternzeit: 57379.01
Endsternzeit: 57379.23
Anfangsdatum: 18.05.2380 (17:22 Uhr)
Enddatum: 18.05.2380 (19:11 Uhr)
Leer lag die Brücke im Dämmerlicht der Notbeleuchtung. Schon seit Stunden blinkten einzelne Lämpchen vor sich hin. Marina deSoto erhob sich von ihrer Konsole. Sie war die letzte Brückenwache der eigentlichen Schiffscrew, die anderen waren alle schon weg. Auf Heimaturlaub, jedenfalls für diejenigen, die von der Erde kamen. Vor Stunden schon hatte Tomm die Katana sacht an das Dock angekoppelt. Gleich darauf war er verschwunden ohne sich noch groß von ihr zu verabschieden. Traurig warf sie noch einen letzten, kontrollierenden Blick über die Schiffsbrücke, dann stieg sie in den Turbolift.
Im Maschinenraum arbeiteten Seeta, Margereth, Mr. Lawrenz und Mr. Matheson noch emsig. Die Stunden der Schlacht hatten der Katana arg zugesetzt. Sie hatten versucht, anschließend einen Bericht aller Schäden zu erstellen, aber es wäre viel einfacher gewesen, einfach die wenigen Sachen zu erwähnen, die intakt waren. Damit wären sie auch schon vor Stunden fertig gewesen. Etliche Werftarbeiter wuselten bereits geschäftig hin und her. Seeta war froh, wenn auch für sie endlich Feierabend war. Nicht nur der Kampf und die vielen Toten hatten sie mitgenommen. Auch der Abschied von Andreas, die endgültige Trennung, hatte viel Kraft gekostet. Sie liebte ihn noch immer. Aber sie durfte nicht schon wieder daran denken. Seeta spürte schon wieder, wie Feuchtigkeit in ihre Augen trat. Oft hatte sie geweint in den letzten Tagen.
Langsam kehrte auch in der medizinischen Abteilung wieder die gewohnte Ruhe ein. Die letzten Patienten wurden soeben entlassen. Ein paar hatte man schon gleich nach der Ankunft im Raumdock auf die Erde transportiert und dort in Spezialkliniken untergebracht. Alles in allem war der neue Borgkrieg bereits jetzt eine Katastrophe für die Föderation. Und niemand wußte, wann und wo die Borg wieder zuschlagen würden. Die neue Taktik der Borg, sich auch zurückzuziehen, machte den Kampf nicht einfacher. Und wieviele Tote hatte es in der letzten, kurzen Raumschlacht allein gegeben?
Captain Needa und die neue “Nummer Eins” an Bord, Tannier, verließen zusammen mit Doc Maddigan die Krankenstation, nachdem auch dieser Bereich nun den Wartungstechnikern übergeben werden konnte. Schweigend verabschiedeten sie sich voneinander. Der Urlaub würde ihrer Crew gut tun, da war sich Ariell einmal mehr sicher. Sie hatte die Gelegenheit genutzt, dem größten Teil der Besatzung freizugeben, da es an Bord eh kaum etwas für die Stammanschaft zu tun gab, solange die Katana im Raumdock verweilte. Und so, wie die ersten Prognosen lauteten, konnte das mindestens noch ein paar Wochen dauern. Lediglich ein Mensch würde seinen Heimaturlaub erst später genießen können.
Ariells Rundgang führte sie in die Hangars. Hier war Lew noch am arbeiten. Die Aufhängungen für die Schiffe der Squadron hatten allem standgehalten. Auch die Squadron selbst hatte alles gut überstanden und war vollzählig wieder an Bord.
“Machen Sie Schluß hier, Mr. Sulik! Und versuchen Sie, Ihren Urlaub zu genießen und sich zu erholen. Wenn die Katana wieder bereit ist, dann möchte ich einen ausgeruhten Lieutenant wieder an Bord begrüßen dürfen!”, ermunterte sie Lew.
“Ja, Captain. Ich bin hier fertig. Eigentlich warte ich nur noch auf mein Shuttle.” Der Lieutenant würde seine Heimatstadt L'wiw besuchen. Lange war er nicht mehr in der Stadt an der Poltwa gewesen. Vielleicht gab es ja Zeit, wieder einmal mit seinem Vater auf dem Flugplatz vor der Stadt zu verweilen.
Marina deSoto kam den erleuchteten Gang entlang. Vor einer Tür verharrte sie. Zuerst war sie drauf und dran, an der Tür zu läuten. Sie hatte die Hand schon in Richtung des kleinen Panels in der Wand ausgestreckt, als sie es sich doch anders überlegte. Sicher würde Tomm sowieso keine Zeit für sie haben. In letzter Zeit hatten sie sich immer seltener außerhalb des Dienstes gesehen. Aber es lag nur zum Teil an den Borg. Klar, oft hatte Tomm in seiner freien Zeit auch im Maschinenraum ausgeholfen. Für ihn war das mehr zu einer Art Hobby geworden, als daß er noch einem Posten dort nachtrauerte. Und in der wenigen Freizeit, die dann noch blieb, hatte er sich auf seine bevorstehende Prüfung vorbereitet. Zu Anfang hatte sie noch versucht, ihm beim lernen zu helfen. Aber Medizin war nun auch nicht gerade ihr Spezialgebiet und so war Tomm eher dazu übergegangen, alles irgendwo nachzulesen. Um Antriebstechnik und Navigation machte er sich keine Sorgen, aber er hatte doch Angst, im medizinischen Teil durchzufallen. Sie wußte, wieviel für ihn auf dem Spiel stand. Gerne hätte sie ihrem Freund mehr geholfen. Schließlich läutete sie doch.
“Herein!”, antwortete es von drinnen und die Tür zum Quartier öffnete sich.
“Hallo!”, begrüßte sie ihn und gab ihm einen Kuss. Flüchtig erinnerte sie sich an Tomms Blick, als sie ihn zum ersten Mal derart begrüßt hatte und Tomm puterrot angelaufen war. Und obwohl – oder vielleicht weil er der Schwarm aller jungen Mädels und manch älterer Damen an Bord war, hatte er seine Schüchternheit noch immer nicht verloren.
Ein Stapel Bücher war über dem Tisch ausgebreitet, doch Tomm las gerade gar nicht. Sein Blick fiel aus der Sichtluke.
“Australien.”, erkannte Marina.
Tomm nickte.
“Siehst du dort an der Ostküste die Bucht?”
Marina wußte nicht, wo sie suchen sollte, konnte sich aber vorstellen, worauf er hinauswollte. Sie schwieg und Tomm erwartete auch gar keine Antwort.
“Wie gerne würde ich jetzt am Strand liegen, irgendwo in Ayr dort.”
“Bald wird deine Prüfung vorbeisein. Und dann weißt du ja...”
Sie hatten beschlossen, gemeinsam Urlaub zu machen. Zuerst in ihrer Heimat Genf, danach in Ayr. Nur ein paar Tage noch. Die Prüfungen waren für das Ende der nächsten Woche angesetzt. Tomm seufzte und nahm das nächste Buch zur Hand.
Umgeben von schroffen, kalten und schneebedeckten Felsen materialisierten sich Tannier und Seeta scheinbar mitten in der Landschaft. Seeta sah sich um. Das also war das Himalaya-Gebirge! Sie war schon einmal auf dem Holodeck hiergewesen, aber die Realität war doch immer noch etwas anderes. Tannier würde hier in einem alten, tibetanischem Kloster Nahkampfkenntnisse erweitern und Seeta hatte sich gefreut, ihn ein paar Tage oder vielleicht eine Woche begleiten zu dürfen. Danach war noch immer genug Zeit, Kuba zu besuchen. Vorsichtig, um nicht von den scharfen Kanten der Felsen abzurutschen und in die Tiefe zu stürzen, gingen sie den Pfad zum Tempel hinab. Zierlich wirkte das kunstvoll erbaute, äußerst alte Gebäude zwischen den harten Kontrasten des Daches der Welt. Davor warteten mehrere Mönche in orangefarbenen und blaßroten, einfachen Kutten und geschorenen Köpfen auf sie. Es gab nur noch wenige Shaolin und es war für die beiden Sternenflottenoffiziere eine Ehre, an diesem Ort von diesen Kampfsportkünstlern lernen zu dürfen. Nur wenigen Fremden war ein solches Privileg vergönnt.
Ariells letzte Aufgabe an Bord bestand darin, Tomm Glück für die bevorstehende Prüfung zu wünschen. Sollte er diese bestehen, war es gut möglich, daß er für einige Zeit nicht wieder auf die Katana zurückkehren würde. Allerdings hoffte sie, ihren Navigator wieder an Bord zu bekommen, denn auch wenn Tomm das sicher bestreiten würde, würde es nicht einfach sein, einen ebenso fähigen Ersatz zu bekommen. Herzlich verabschiedete sie sich von Marina und Tomm noch, dann gab sie das Kommando zum beamen.
Gerade nachdem sich die beiden jungen Offiziere auf der Transporterplattform dematerialisiert hatten, kam Toreen Akida geschäftig wirkend herein. Sofort erwachte Ariells Mißtrauen. Gerade Aikida hatte eigentlich am wenigsten zu tun. Was also wollte er?
“Nanu, Sie sind noch nicht im Urlaub?”, erkundigte sich die Captain.
“Ich werde auch nicht in Urlaub gehen, Captain Needa!”, erläuterte er. “Das Sternenflottenkommando hält es für erforderlich, daß jemand an Bord bleibt und die Arbeiten überwacht.”
Diese Belehrung empfand Needa als eine ziemliche Frechheit. Aus ebendiesen Gründen waren auch Dalen Lazarus und Zhabia Velain noch an Bord. Nur hatte nicht das Sternenflottenkommando die beiden eingeteilt, sondern sie hatte sich mit den beiden abgesprochen. Was also hatte ihr allseits beliebter Verbindungsoffizier diesmal wieder für Geheimnisse? Ariell beschloß, den eigenen Urlaub noch ein wenig zu verschieben und dafür zu sorgen, daß der Bajoraner keinen Schritt unbeobachtet auf dem Schiff unternehmen würde. Sicher wollte er die Arbeiten während der Instandsetzung zu seinem eigenen Vorteil nutzen. Oh nein! Da würde sie ihm einen gehörigen Strich durch die Rechnung machen.
Wenig später saß sie mit der Counselor und Dalen an einem Tisch im Diners. Die beiden teilten ihr Mißtrauen durchaus. Trotzdem beschloß Ariell, auch selbst noch einige Tage an Bord zu bleiben und der Sache auf den Grund zu gehen.