Log 176
Fast Forward
Autor: Garrick Andersson
„Ich schlage vor, wir gehen auf Warp. Damit sollten wir der Anziehungskraft dieses werdenden Planetens entkommen“, schlug Tomm Lucas vor. „Und dabei den hier überall herumschwirrenden Gesteinsbrocken in die Quere kommen?!“ warf Marina DeSoto ein. Während Garrick Andersson die beiden Bemerkungen im Geiste abwog, nahm er nebenbei zur Kenntnis, dass die beiden jüngsten Mitglieder der Brückencrew sich bereits ganz wie die alten Hasen benahmen, die sie eigentlich ja auch waren. Immerhin dienten sie schon an Bord, bevor er den Posten als Erster Offizier übernommen hatte. „Vielleicht reicht auch der Impulsantrieb, um der starken Gravitation zu entkommen“, wollte der XO den Plan des Steuermanns noch nicht aufgeben. Dalen Lazarus ergänzte: „Zusätzlich könnte der Traktorstrahl eventuell so umkonfiguriert werden, dass er die dicksten Brocken aus unserem Weg schiebt.“ Captain Ebbersmann nickte: „So machen wir das!“ lautete seine knappe Entscheidung, woraufhin Garrick entsprechende Befehle für die einzelnen Crewmitglieder formulierte. In der Zwischenzeit war auch ein erstes Notfallreparaturteam auf der Brücke eingetroffen und hatte damit begonnen, die gröbsten Schäden der ersten Kollisionen mit den urplötzlich im Nebel entstehenden Gesteinsbrocken zu beheben. Garrick trat zu Dalen an die wissenschaftliche Konsole. „Wie kann sich ein Nebel so urplötzlich derartig verdichten?“ wollte er vom Wissenschaftsoffizier der Katana erfahren. „Ich habe noch keine Erklärung dafür, Commander.“ Der Tev'Mekianer deutete auf den Hauptschirm, der mittlerweile nur noch ein unscharf verschwommenes, annähernd kugelähnliches glühendes Gebilde zeigte. Auf diese rotleuchtende Kugel stürzten anhaltend weitere Materieklumpen. „Was wir hier beobachten, ist die natürliche Entstehung eines Planeten – allerdings um ein Vielfaches beschleunigt. Normalerweise dauert so ein Prozess Jahrmillionen.“ Die Modifikation am Traktorstrahl war unterdessen abgeschlossen und nun gesellten sich diverse Entladungen des Strahls zum optischen Chaos auf dem Hauptschirm, um der Katana den Weg in einen höheren Orbit zu ebnen. Tomm Lucas nutzte die Gunst des Augenblicks und erhöhte die Orbitalgeschwindigkeit des Sternenflottenschiffes, wodurch dieses sich langsam aber sicher von dem stetig wachsenden Planeten entfernte. Spürbar ließen die Erschütterungen durch die Kollisionen nach und schneller als erwartet erreichte das Schiff den freien Raum.
Verblüfft starrte die Besatzung der Brücke auf das Bild, das sich ihnen nun auf dem Hauptschirm bot. Zu langen Streifenmustern verzerrte weit entfernte Sterne zeigten sich dort. „Mr. Lucas“, begann Benjamin, „bestätigen Sie, dass wir uns im Orbit dieses entstehenden Planetens befinden!“ Der Steuermann kontrollierte seine Konsole, bevor er meldete: „Bestätigt, Sir. Allerdings bewegt sich offenbar nicht nur die Materie schneller auf den Planeten zu, als üblich, sondern der Planet selber kreist mit Warpgeschwindigkeit um eine Sonne, die sich etwa eine Astronomische Einheit weit entfernt gebildet hat. Und wir kreisen offensichtlich mit ihm um diese Sonne...“ Garrick zog zweifelnd die Stirn kraus. „Also, so etwas wurde zu meiner Zeit nicht in Astrophysik gelehrt...“ Dalen Lazarus ging das Phänomen vom wissenschaftlichen Standpunkt aus an. „Die physikalischen Effekte, die wir hier beobachten, entsprechen durchaus denen, die in einem Nebel möglich sind. Sonnensysteme entstehen aus Nebeln, welche wiederum die Überreste explodierter Sterne sind. Mit dem Nebel, in dem wir uns kürzlich verirrt hatten, ist offenbar dasselbe geschehen – nur erheblich schneller als üblich. Ich vermute, wir haben es hier mit einem temporalen Phänomen zu tun. Die Zeit in diesem Teil des Universums scheint einfach viel schneller zu vergehen. Deswegen wirkt es im Vergleich zum übrigen Universum so, als würden wir mit großer Geschwindigkeit unterwegs sein.“ Benjamin dachte darüber nach und erkundigte sich dann: „Aber wenn hier gerade Millionen von Jahren innerhalb weniger Minuten verstreichen... Müssten wir dann nicht längst gestorben und zu Staub zerfallen sein? Und warum sehen wir dann auch die Entwicklung dieses Planeten im Zeitraffer, wenn wir uns doch innerhalb der Zone der beschleunigten Zeit befinden?“ Der Captain wies auf den Hauptschirm, der inzwischen keine glühende Kugel, sondern eine blaugrün schimmernde Welt zeigte. „Vielleicht schützen unsere Schilde uns vor den Auswirkungen des Zeitphänomens?“ spekulierte Garrick. „Das wäre möglich, Commander“, bestätigte Dalen. Marina DeSoto warf einen anderen Gesichtspunkt in die Diskussion ein: „Auf dem Planeten erfassen die Sensoren mittlerweile eine ausgeprägte Flora und Fauna. Große Landtiere – Echsen, würde ich sagen – bevölkern diese Welt.“ Urplötzlich raste etwas Großes haarscharf an der Katana vorbei und schlug mit einem gewaltigen Lichtblitz, der den ganzen Planeten einhüllte, auf dem Globus ein. „Was zur Hölle war DAS? Und warum haben wir das nicht kommen sehen?“ rief Garrick. „Der Planet wurde von einem Meteoriten getroffen“, meldete Dalen. „Er kam aus dem Asteroidengürtel dieses Sonnensystems. Unsere Sensoren sind nicht darauf programmiert, mit Warpgeschwindigkeit fliegende Gesteinsbrocken zu erfassen...“ Marina ergänzte: „Der Einschlag hat so ziemlich alles Leben auf dem Planeten vernichtet, allerdings erholt sich die Biosphäre bereits.“ Garrick runzelte erneut die Stirn: „Können Sie uns ein geostationäres Bild des Planeten auf den Schirm legen, Lieutenant?“ Die junge OPS-Offizierin nickte bestätigend und wenig später zeigte der Hauptschirm eine große Landmasse, die langsam auseinander driftete. Marina erläuterte: „Der Computer setzt die Darstellung aus Einzelaufnahmen zusammen, die er einmal alle...“ - sie zögerte kurz, so unglaublich kam ihr das ganze Geschehen vor - „tausend Jahre erfasst.“ Die einzelnen Kontinente, die dort auf dem Planeten entstanden, wirkten mehr als nur vage vertraut. „Da soll mich doch...“ entfuhr es Ebbersmann. Garrick brummte zustimmend und erkundigte sich: „Gibt es weitere Planeten in diesem System?“ Dalen beantwortete diese Frage: „Sieben, Commander. Naja, vielleicht auch acht. Das wäre dann Ansichtssache.“ Benjamin fixierte seinen XO mit dem Blick, während er mit seiner Hand vage in Richtung des Hauptschirms deutete: „Das dort ist das irdische Sonnensystem, oder?“ Der Erste Offizier zuckte andeutungsweise mit den Schultern. „Zumindest sieht es ihm verdammt ähnlich, Sir.“
Während die Besatzung noch die Erkenntnis verdaute, dass sie innerhalb der letzten nicht einmal 60 Minuten der Entstehung einer weiteren Erde beigewohnt hatte, erschütterte ein kurzer, aber heftiger Ruck die Katana. „Bericht!“ forderte Ebbersmann. „Wir kreisen immer noch im Orbit dieser Erde“, meldete Tomm und ergänzte: „Allerdings mit normaler Geschwindigkeit im Vergleich zum interstellaren Raum!“ Die Landmassen, die auf dem Hauptschirm angezeigt wurden, drifteten ebenfalls nicht mehr – zumindest nicht mehr mit einer für das menschliche Auge wahrnehmbaren Geschwindigkeit. Dalen räusperte sich: „Es sieht so aus, als wäre das temporale Phänomen verschwunden.“ Der Captain stöhnte leicht auf: „Wie soll ich DAS der Abteilung für temporale Ermittlung erklären, XO?“ Der Däne grinste leicht, bevor er befahl: „Miss DeSoto, können Sie ein Föderationszeitsignal empfangen?“ Die junge Frau nickte und meldete dann: „Unsere Bordzeit wird bestätigt. Was immer hier passiert ist, wir haben jedenfalls keine Zeitreise hinter uns.“ Ebbersmann stellte die nächste Frage: „Ist der Planet bewohnt? Gibt es intelligentes Leben dort unten?“ Lazarus führte entsprechende Analysen durch, bevor er antwortete: „Nicht so, wie wir es kennen. Ich schätze, wir sehen die Erde vor etwa 30 bis 40 Millionen Jahren.“ Garrick rutschte ein wenig unruhig auf seinem Sessel herum, was ihm einen neuerlichen Blick des Captains einbrachte. „Sie wollen sich das ansehen, Commander?“ konstatierte Benjamin. „Es ist eine einmalige Gelegenheit, Sir. Und wer weiß? Vielleicht finden wir dort unten eine Antwort auf die Frage, was hier eigentlich geschehen ist. Irgendwie halte ich es für unwahrscheinlich, dass das ganze hier ein natürliches Phänomen war.“ Ebbersmann runzelte die Stirn: „Sie meinen, irgendjemand hat diesen temporalen Effekt erzeugt?“ Der Däne nickte: „Und außerdem dafür gesorgt, dass sich eine Kopie des terranischen Sonnensystems bildet. Und dann auch noch ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, wo wir hier vor Ort sind. Das kann doch kein Zufall sein.“ Der Captain dachte kurz darüber nach, bevor er entschied: „In Ordnung. Stellen Sie ein Team zusammen und sehen Sie sich dort unten um.“
„Vielleicht finden wir ja dort unten das Hexenhäuschen?“ Seeta Yadeel trat neben Garrick auf die Transporterplattform, auf der bereits Dalen Lazarus und Manoel Ramirez Aufstellung bezogen hatten. Der Erste Offizier hatte entschieden, zunächst nur ein kleines Team auf die Oberfläche zu führen. Je nach den Ergebnissen, die ihre Erkundung erbrachten, würden schließlich gegebenenfalls weitere Spezialistenteams hinabgebeamt oder aber ein Forschungsschiff der Föderation für den dauerhaften Einsatz in dem neuen Sonnensystem angefordert werden. Der Däne lächelte seiner Freundin zu. „Solange uns niemand einsperrt, um uns zu verspeisen...“
Der XO hatte ein locker bewaldetes Gebiet auf der aktuellen Tagseite der nördlichen Hemisphäre als Retransferort ausgewählt. Um so überraschter war er, als ihn nach dem Transport absolute Dunkelheit umgab. „Okay, schalten wir die Taschenlampen ein!“ Nacheinander flammten vier kleine Leuchten auf und erhellten das Innere einer felsigen Höhle. „Möglicherweise hat der Transporter bei den jüngsten Erschütterungen doch etwas mehr abbekommen?“ wandte er sich mit leichtem Grinsen an die Chefingenieurin. Die Zanderianerin schnaubte kurz: „Mit dem Transporter IST alles in bester Ordnung – immerhin hatten ja nicht Sie Ihre Finger daran, Sir!“ Das Grinsen auf dem Gesicht des Dänen vertiefte sich kurz, bevor er sich räusperte und seinen Kommunikator betätigte: „Andersson an Transporterraum 3, bitte bestätigen Sie unsere Transferkoordinaten!“