Log 71
Persönlichkeiten
Autor: Seeta Yadeel
Anfangssternzeit: 57634,76
Endsternzeit: 57734,37
Anfangsdatum: 20.08.2380 (07.45 Uhr)
Enddatum: 25.09.2380 (18.47 Uhr)
„Maddigan an Velain“, unterbrach der Kommunikator die eher zurückhaltende Unterhaltung, die die Counselor mit der neuen Bartenderin geführt hatte. „Velain hier!“, meldete sich Zhabia automatisch.
„Counselor, die Captain wünscht eine Unterhaltung mit Ihnen. Können Sie bitte in die Krankenstation kommen?“, fragte Winnie Maddigan an. Zhabia nickte, es war ihr zwar bewußt, daß der Mediziner ihre stumme Antwort nicht sehen konnte, gewisse Gesten waren aber im Laufe des Lebens derartig in Fleisch und Blut übergegangen, daß man sich nicht dagegen wehren konnte sie auszuführen.
„Ich bin unterwegs“, informierte die Delvianerin den Chefarzt, während sie bereits von ihrem Barhocker glitt. Sie war sich bewußt gewesen, daß die Captain schon bald ihre Hilfe brauchen würde. Die Halbtrill war unvorbereitet in die Symbiose gegangen, was die Erfahrung sicher nicht einfacher machte. Am besten wäre sie zweifelsohne auf Trill versorgt gewesen, aber da dies im Moment nicht möglich war, würde es eben zunächst mit den Gegebenheiten auf der Katana gehen müssen. Sie hegte jedoch keinen Zweifel, daß das Schiff alsbald nach Trill aufbrechen würde, um dort nochmals die „Experten“ zu Rate zu ziehen.
Während die Counselor das Diners verließ räumte Rhâl Tu’Ran mit gezielten Handgriffen das Glas der Delvianerin von der Theke. Sie wußte, daß die Captain sich irgendeiner Art von Veränderung unterzogen hatte. Sie hatte dies aus den Gesprächen, die sie in den vergangenen Stunden hier hatte hören können geschlossen. Auch wenn es nicht allgemein bekannt war, so war ein Barkeeper stets gut informiert. Weniger, weil die Besucher dem Wesen hinter der Theke das ein oder andere Herz ausschütteten, sondern weil er vieles einfach mithörte, wenn er hinter der Bar stand oder die Kundschaft an den Tischen bediente. Und so hoffte die Twi’Lek, daß die Captain der Katana, die sich schützend vor sie gestellt hatte, die Veränderungen gut überstand und sie bald wieder auf ihren energischen Beinen stand.
Tannier führte am nächsten Morgen die routinemäßige Besprechung in der Observation-Lounge der Katana durch.
„Der Ferengi, der für den Tod von Benedikt Geodis verantwortlich ist wurde bereits aufgegriffen und in Gewahrsam genommen. Mir wurde von Seiten der entsprechenden Autoritäten eine ordnungsgemäße Untersuchung des Vorfalls zugesagt. Der Ermittler bat um Vorlage einer eidesstattlichen Zeugenaussage der Captain. Mr. Lincoln, bitte veranlassen Sie das sobald es der gesundheitliche Zustand von Captain Needa“, Tannier mußte sich verbessern, „Captain Geodis zuläßt.“
Winnie Maddigan meldete sich unaufgefordert zu Wort. „Mr. Lincoln kann die entsprechende Aussage jederzeit in der Krankenstation aufnehmen. Ich möchte derzeit nicht, daß die Captain in ihr eigenes Quartier zurückkehrt, aber der Aufzeichnung einer Aussage steht nicht im Wege“, erklärte der Mediziner auf dessen Nasenrücken wie stets die silberfarbene Brille thronte. Niemand wußte so recht, warum der Mann sich weigerte, seine Fehlsichtigkeit korrigieren zu lassen. Wurde er darauf angesprochen so brummelte er nur etwas von: „Nicht der Rede wert.“
Frank Lincoln nickte zufrieden und bevor er dazu kam, den Doktor zu fragen, warum er sich so ungewohnt kooperativ verhielt, beantwortete dieser die ungestellte Frage mit seinen nächsten Worten.
„Commander, wenn es irgendwie möglich ist, dann möchte ich so schnell wie möglich Trill aufzusuchen. Die Verbindung zwischen einem Wirt und einem Symbionten ist ein komplizierter medizinischer Vorgang, umso mehr, als der Wirt in diesem Falle zur Hälfte Mensch ist. Ich habe mein möglichstes getan, aber ich bin beileibe kein Fachmann. Ich möchte weitere Komplikationen von vorneherein ausschließen“, erklärte der Arzt.
Er erhielt Schützenhilfe von Counselor Velain, die in ihrer gewohnt ruhigen Art bemerkte: „Auch die psychologischen Veränderungen sind bemerkenswert. Ich habe gestern ein erstes Gespräch mit der Captain geführt und es fällt ihr schwer, die neuen Eindrücke zu verarbeiten. Sie war auf die Vereinigung nicht vorbereitet und entsprechend schwierig ist der Umgang mit den Erlebnissen des Symbionten. Es besteht die Gefahr, daß die Persönlichkeit der Captain unter der von Geodis untergeht. Sie braucht auch psychologisch gesehen fachmännische Hilfe.“
Tannier nickte. Nicht, daß es großer Überredungskünste bedurft hätte, auch der Erste Offizier hatte bereits Überlegungen in die entsprechende Richtung angestellt. „Mr. Lincoln, bitte besorgen Sie umgehend die Aussage von Captain Geodis. Ich werde dann ein Gespräch mit dem Ermittler führen, damit wir aufbrechen können“, ordnete er an.
Allgemeines Nicken antwortete ihm. Alle waren besorgt um die Vorgesetzte und Freundin. Nach der Aufforderung „Weggetreten!“ des Minbari setzte Stühlerücken ein, dann war der Mann, auf dem nun die Verantwortung für die Katana zumindest vorübergehend lastete alleine mit seinen Gedanken.
Bereits am nächsten Morgen befand sich die Katana auf dem Weg nach Trill. Es hatten sich keine weiteren Probleme mit den Behörden auf der Kolonie ergeben. Die Aussage der Captain war aufgenommen worden und würde der Anklage zugrunde gelegt werden. Falls es erforderlich werden würde, würde man die Katana kontaktieren, damit Geodis ihre Aussage vor Gericht persönlich wiederholen konnte.
Zhabia Velain betrat schon früh die Krankenstation. Die Captain saß auf der Bioliege und hatte den Schinken, den die Counselor schon oft bei ihr gesehen hatte auf dem Schoß liegen. Wie es aussah, kam Ariell jetzt endlich dazu, Fortschritte bei der Lektüre von Moby Dick zu machen. Zhabia konnte sehen, wie die verbleibenden Seiten beständig weniger wurden.
„Wie geht es Ihnen heute morgen, Captain?“, fragte sie, was die Angesprochene dazu veranlaßte ihr Buch zuzuklappen und sich ihrer Besucherin zuzuwenden.
„Ja, so weit ganz gut“, erteilte Ariell wahrheitsgemäß Auskunft. Sie fühlte sich inzwischen wieder wie ein Wesen, nicht wie eines, das sich mit vielen anderen den Körper teilen mußte. Sie hatte wohl angefangen, sich an die Veränderungen zu gewöhnen. Dennoch erschien ihr die gesamte Situation immer noch ungewohnt. Besonders, wenn sie morgens wach wurde, wußte sie zuerst nicht so recht, welche Gefühle, Erinnerungen und Gedanken sie wie zuzuordnen hatte.
„Glücklicherweise ist es nur ein Katzensprung vom Raum der Ferengi bis nach Trill“, erläuterte die Counselor. Ariell nickte, obwohl ihr das durchaus bewußt gewesen war. Auch sie selber war froh, wenn die Ärzte der Symbiosekommission einen Blick auf den Vorgang geworfen hatten. Es war immerhin eine sehr heikle Operation an ihr vorgenommen worden. Fehler konnten für sie selber und auch Geodis das Ende bedeuten. Nicht, daß sie Maddigan nicht vertraute, aber er war eben nicht der Fachmann insoweit.
„Es ist schwierig, die verschiedenen Persönlichkeiten auseinanderzuhalten“, erklärte Ariell, was ihr von Zhabia ein Nicken einbrachte. „Ich erinnere mich als wäre es gestern gewesen, als ich mein Architekturdiplom erhielt. Und dabei ist es mehr als ein ganzes Leben her“, fuhr sie fort.
Die Counselor zog sich einen Stuhl näher und ließ sich neben dem Biobett nieder. „Erzählen Sie mir doch davon“, lächelte sie Ariell an.
Die Zeit bis zur Ankunft auf Trill schien Ariell wie im Flug vergangen zu sein. Eher als sie zunächst gedacht hatte, stand sie gemeinsam mit Doktor Maddigan auf der Transporterplattform der Katana und ließ sich in die beinahe heiligen Hallen der Symbiosekommission hinunterbeamen. In den ersten Stunden nach ihrer Ankunft wurde sie auf Herz und Nieren geprüft. Sie war sich klar, daß man sie und den Symbionten auf der Stelle wieder trennen würde, falls Gefahr für Geodis bestand. Sie wußte, daß der Symbiont selbst um den Preis ihres eigenen Lebens zu schützen war und nun wäre sie selber die Erste gewesen, die einer solchen Prozedur ohne Überlegen zugestimmt hätte.
Den Rest des Tages verbrachte sie mit einer psychologischen Evaluation. Man wollte sicher gehen, daß sie in der Lage war mit dem Symbionten fertig zu werden, daß ihre Persönlichkeit den vielen anderen, die der Symbiont mit sich brachte gewachsen war. Sonst würde sie selber untergehen, und auch dies war in niemandes Sinne. Man einigte sich darauf, daß sie weiterhin mit Counselor Velain arbeiten würde. Die Ärzte und Psychologen hätten es natürlich am Liebsten gesehen, wenn sie unter die Fittiche eines Experten hier auf Trill gekommen wäre, aber dies ließ ihr Dienst in der Flotte nicht auf Dauer zu, und so gab man sich schließlich mit dieser Lösung zufrieden. Counselor Velain sollte jedoch in den ersten Monaten wöchentlich Bericht hier erstatten.
Schließlich reichte ihr Selin Marat die Hand. „Ich denke, daß alles gut verlaufen wird, Captain Geodis“, sagte er. Ariell nickte. Auch jetzt noch kam ihr die Anrede seltsam fremd und zugleich vertraut vor. Die Hälfte der Zeit fühlte sie sich überhaupt nicht angesprochen, den Rest der Zeit war es völlig natürlich mit Captain Geodis tituliert zu werden.
Ariell stand auf. Sie freute sich bereits jetzt darauf wieder an ihre Arbeit gehen zu können. Sie war sich sicher, daß Cunningham schon bald neue Aufgaben für die Katana und ihre Captain haben würde. Auch ihr Gegenüber stand auf und reichte ihr die Hand.
„Wenn ich noch eine Empfehlung aussprechen darf, Captain“, merkte Selin an, was Ariell zu einem fragenden Gesichtsausdruck veranlaßte, „dann sollten Sie noch vor ihrer Abreise das Zhian'tara durchführen. Es wird ihnen bei der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Wirten helfen“, empfahl er ohne eine weitere Aufforderung.
Ariell zuckte leicht zusammen. Es erschien ihr logisch, sich dem Ritual zu unterziehen, bei dem die Persönlichkeiten der bisherigen Wirte für kurze Zeit auf ihre Familie und Freunde übertragen wurden, damit sie mit ihnen getrennt interagieren konnte. Es wäre sicher in der Tat hilfreich.
Die Captain nickte leicht und drückte die dargebotene Hand. „Ich werde darüber nachdenken und Sie über meine Entscheidung informieren“, antwortete sie, dann verließ sie das Büro von Marat.
Ariell schaufelte einen Teller Nudeln in sich rein. Auf der anderen Seite des Tisches im Diners beobachtete ihre Freundin Seeta Yadeel ihre Freundin schmunzelnd. Der Appetit der Captain hatte sich durch die Symbiose definitiv nicht verändert.
„Und wie genau funktioniert dieses Ritual?“, nahm sie die Unterhaltung wieder auf, die sie kurz unterbrochen hatten, als Rhâl Tu'Ran das Essen für die beiden Frauen gebracht hatte. Ariell kaute eilig zuende und erläuterte dann: „Ein speziell ausgebildeter Wächter überträgt die Persönlichkeiten der bisherigen Wirte in die Körper von Freiwilligen, meist handelt es sich dabei um Freunde und Angehörige des derzeitigen Wirtes.“
Seeta war das nicht so ganz geheuer. „Und was passiert mit den Persönlichkeiten derjenigen, die ihre Körper zur Verfügung stellen?“, wollte sie wissen. Ariell zog die Gabel mit den Spaghetti, die sie gerade in sich hatte stopfen wollen wieder aus ihrem Mund und meinte: „Nichts. Sie können jederzeit wieder die Kontrolle übernehmen.“
„Aha“, äußerte die Zanderianerin, die ihr Essen bisher nicht angerührt hatte, zu sehr interessierte sie das Ritual, dem ihre Freundin sich wohl würde unterziehen müssen. „Und wozu dient das ganze jetzt?“, wollte sie dann noch wissen. Ariell hatte inzwischen ihre Gabel tatsächlich in den Mund bekommen und aufgekaut. „Es soll mir die Möglichkeit geben, mich besser mit den bisherigen Wirten und dem Symbionten auseinanderzusetzen. Marat hält es für wichtig, besonders, weil ich ja auf die Symbiose nicht vorbereitet wurde.“
„Und was glaubst Du?“ hakte Seeta nach. Ariell legte ihre Gabel endgültig weg. Sie überlegte kurz und meinte dann: „Ich glaube, daß ich es machen sollte. Würdest Du Dich zur Verfügung stellen?“
Seeta machte große Augen: „Sollte das nicht lieber jemand aus Deiner Familie machen?“, fragte sie. Ariell schüttelte mit dem Kopf. „Meine Eltern sind beide unterwegs. Diplomaten eben. Es würde zu lange dauern, bis sie hier sind. Wir können die Katana nicht ewig hier stillstehen lassen.“
Die Zanderianerin folgte sie stets spontan ihrem Herzen. „Ja, okay“, entschied sie ohne großes Überlegen. „Wen willst Du noch fragen?“, dachte sie gleich weiter. „Lincoln und Tannier in jedem Fall“, antwortete Ariell ohne weiter nachzudenken.
Sie stand auf und zog Seeta hinter sich her. „Laß uns das in meinem Quartier in Ruhe besprechen“, meinte sie, bereits wieder unternehmungslustig. Amüsiert sah Rhâl Tu'Ran den beiden Frauen nach, wie sie das Diners verließen.