Log 247
Der Schlüssel zur Zeit
Autor: Seeta Yadeel
Anfangssternzeit: 63298.45
Endsternzeit: 63364.47
Anfangsdatum: 29.04.2386 (22.29 Uhr)
Enddatum: 13.05.2386 (00.47 Uhr)
29.04.2386
„Computer, Licht.“ Jelara schlug die Bettdecke zurück und ging langsam hinüber zur Konsole auf ihrem Schreibtisch. Zeitgleich wickelte sie sich in ihren Morgenmantel, den sie vom Fußende ihres Bettes genommen hatte, wo das Kleidungsstück stets bereit lag. Ein weiteres Piepsen versuchte sie daran zu erinnern, dass jemand eine Verbindung zu ihr wünschte. Als ob sie das um 2 Uhr Bordzeit vergessen haben könnte. Sie verknotete den Gürtel, ließ sich in den Stuhl vor ihrem Schreibtisch sinken, glättete ihr schwarzes Haar kurz und aktivierte dann das Gerät vor ihr auf dem Schreibtisch. „Karoma!“, bemerkte sie. „Guten Morgen, Jelara!“, antwortete Karoma Atreides aus dem Gerät.
Jelara war mit der Sternenflottendiplomatin zwar nicht befreundet, kannte und schätzte sie jedoch. Karomas Mutter Letha Ma war eine angeheiratete Cousine ihres Onkels gewesen. Auf den meisten Planeten wäre dieser verwandtschaftliche Grad nichtmal zur Sprache gekommen, auf Cardassia wurde die Familie jedoch von jeher groß geschrieben. Das galt umso mehr, wo nur so wenige Cardassianer den Krieg überlebt hatten. Neben einer Tante mütterlicherseits, war Karoma ihre einzige noch lebende Verwandte. Dass Karoma nur zur Hälfte Cardassianerin war spielte spätestens seitdem keine Rolle mehr.
„Wieso kontaktierst Du mich mitten in der Nacht?“, wollte Jelara dann wissen. Karoma sah sie entschuldigend an. „Auf Gemini ist es jetzt 22 Uhr 30. Viel später konnte ich Dich nicht kontaktieren“, lautete die Antwort. Eine kleine Stimme in Jelaras Hinterkopf fragte sich, ob der Zeitunterschied nicht einen günstigeren Zeitpunkt für die Unterredung zugelassen hätte. Sie entschied sich dann aber dagegen, dieser Frage nachzugehen. Lieber wollte sie den Grund für den Anruf erfahren. „Hast Du etwas von der letzten Sitzung des Detapa-Rates erfahren?“, wollte Karoma dann von ihr wissen. Jelara schüttelte den Kopf. „Von den Ketays ist nicht mehr viel übrig. Und seitdem ich auf der Reklar Dienst tue, bekomme ich noch seltener etwas von den Vorgängen zu Hause mit“, verneinte sie die Frage.
„Der Detapa-Rat ist der Meinung, dass der Vertrag von Teraklion nachverhandelt werden muss. Nach seiner Auffassung, hat die Föderation zu wenig Rechte im Austausch für die freie Passage durch cardassianischen Raum eingeräumt“, erklärte Karoma. Jelara hob in vulkanischer Manier den Knochenkamm über ihrer linken Augenbraue. „Und was sagt die Föderation dazu?“, wollte sie wissen. Karoma beugte sich leicht vor. „Die Föderation hat in ein Austauschprogramm mit der cardassianischen Union eingewilligt“, erklärte sie. Erneut hob sich die linke Knochenkamm Jelaras. „Auf den Schiffen, die bei Gemini stationiert sind, sollen cardassianische Offiziere stationiert werden. Ich will, dass Du Dich für das Programm bewirbst“, führte Karoma weiter aus. Ein weiteres Mal hob sich der linke Knochenkamm. „Wieso?“, fragte sie dann nach. „Weil Du dafür besser geeignet bist, als irgendjemand sonst, den ich kenne“, lautete die Antwort.
13.05.2386
Rahja Preya hielt ihr Glas schräg und drehte es um seine Achse. Der darin enthaltene Rest ihres Rotweins drehte sich träge. Neben ihr betrachtete Dalen Lazarus die auf der Promenade langsam dahinziehenden Menschen träge. Der Doktor genoss die kleine Verschnaufpause, die die Sternenflotte der Katana und damit auch ihm, gewährte. Heute Morgen hatte Captain Andersson eine kleine Bombe platzen lassen, als er eröffnet hatte, dass die Sternenflotte in ein Austauschprogramm mit der cardassianischen Union eingetreten war. Fortan würde es auf vereinzelten Schiffen der Flotte caradassianische Offiziere geben. Es lag nah, mit den Schiffen des bei Gemini stationierten Verbandes anzufangen.
Ihm gegenüber sass Ethan Alizondo. Er selber hatte den Kommandanten von Gemini erst hier auf der Station kennengelernt. Das Universum im Allgemeinen und die Flotte im Besonderen waren aber offensichtlich ein Dorf. Alle drei Offiziere hatten zeitweise auf der Shanghai gedient. Auch wenn er selber und Alizondo nicht zur selben Zeit an Bord gewesen waren, hatten sie doch etwas gemein. Und Rahja stellte das Bindeglied zwischen ihnen dar, denn sie hatte mit beiden Offizieren seinerzeit viel Zeit an Bord verbracht.
„Ich bin wirklich gespannt, wer uns zugeteilt werden wird“, meinte Rahja und sah Ethan fragend an. Sie hatte an Bord der Shanghai eine enge Beziehung zu ihm gehabt und war hier schnell wieder mit ihm warm geworden. Ethan jedoch hüllte sich erwartungsgemäß in Schweigen. Er diskutierte niemals Interna – nichtmal mit einer Freundin und Kollegin, die ihm vor einigen Jahren das Leben gerettet hatte.
Dalen zuckte die Schultern. „Wir werden es wie immer erfahren“, meinte er und trank sein Glas leer. Er winkte nach der Kellnerin um zu bezahlen. „Ich bin mit Adana zum Abendessen verabredet“, meinte er, bevor er von dannen zog.
Rahja sah Ethan unter halbgeschlossenen Liedern an. „Dann bleiben wohl nur wir beide“, meinte sie. „Hast Du eine Idee, was wir mit dem angebrochenen Nachmittag machen sollen“, fragte sie dann. Ethan lächelte sie an. „Im Zivilkomplex hat eine neue Bar eröffnet. Abends gibt es Live-Musik“, schlug er vor. Rahja lächelte ihn mit dem ihr eigenen, fast ein wenig geheimnisvollen Lächeln an, das er so gut von ihr kannte. „Hört sich wundervoll an“, meinte sie, während sie bereits der Kellnerin winkte. Die beiden Offiziere bezahlten, dann verließen sie Arm in Arm die Promenade von Gemini-Station.
Rahja ließ ihren Blick über das Interieur des „Stardust“ gleiten. Zu ihrer linken befand sich eine langgezogene Bar mit den dazu passenden Barhockern. Eine Frau mit wildem, rotem Haar stand dahinter und schenkte Getränke an die Gäste aus, die hier Platz genommen hatten. An der rechten Wand vorbei befanden sich Nischen, die gerade so genügend Platz für kleine, runde Tische mit bis zu vier Stühlen boten. Dem Eingang gegenüber befand sich eine erhöhte Fläche, die als Bühne diente. Auf der rechten Seite befand sich ein Klavier, auf der linken Seite stand ein altmodisch anmutendes Mikrophon. Davor, zwischen Bar und Nischen, befanden sich mehr von den kleinen, runden Tischen. Auf den dunkel gehaltenen Wänden waren viele, kleine Lichter angebracht, die den Eindruck eines Sternenhimmels vermittelten.
Ethan führte Rahja hinüber zur Bar, an der noch zwei Hocker nebeneinander frei waren. Die Rothaarige kam herüber und begrüßte den Stationskommander und die Counselor der Katana mit einem offenen Lächeln. „Guten Abend, Ethan. Für Sie einen Martini?“, fragte sie nach, während ihre Finger bereits zum Glas griffen. Ethan nickte und stellte die Counselor dann vor. „Das ist Rahja. Sie ist eine alte Freundin von mir. Sie dient an Bord der Katana.“
Die Rothaarige nickte und stellte Ethan sein Glas hin, dann reichte sie Rahja die Hand. „Das Flagschiff. Ich schätze, es ist eine Ehre, jemanden aus der Führung des Schiffes hier zu begrüßen. Ich bin Meghan.“ Rahja drückte die angebotene Hand und meinte dann: „Bitte einen Strawberry Stardust.“ Sie hatte die Zeit, in der Meghan den Martini eingeschenkt hatte genutzt, die an der Wand hinter der Bar angebrachte Karte zu studieren. Meghan nickte. „Eine gute Wahl. Sie bekommen nirgendwo sonst so einen guten“, erklärte sie und fing dann an, die Zutaten in den Shaker zu füllen. Rahja fühlte sich in ihre Jugend zurückversetzt, als noch längst nicht alles aus dem Replikator gekommen war.
„Singt Cassie heute Abend?“, fragte Ethan, als Meghan den Drink vor Rahja abgestellt hatte. Meghan nickte. „Ja,“ beantwortete sie die Frage, dann ergänzte sie zu Rahja: „Es wird ihnen gefallen. Die Chefin singt verdammt gut.“
Ein Surren über ihrem Kopf liess Rahja ihren Kopf in den Nacken legen. Ethan beugte sich zu ihr herüber. „Deshalb heißt es Stardust“, meinte er. Rahja beobachtete, wie der größte Teil der Decke sich zur Seite schob und den Blick auf den Wüstenhimmel über Gemini freigab. Gleichzeitig senkte sich das Lichtniveau in der Bar weiter ab. Einzig und alleine die Bühne blieb gut beleuchtet. Ethan tippte Rahja auf die Schulter und deutete hinüber zur Bühne, dann nahm er seinen Martini in die Hand und drehte sich herum. Rahja tat es ihm nach. Die Unterhaltungen im Raum verstummten, während eine schlanke Frau mit pechschwarzem Haar auf die Bühne trat. Das lange Abendkleid betonte ihre klassische Schönheit.
„Guten Abend, liebe Gäste“, begrüßte die Frau, die inzwischen ans Mikrophon getreten war ihre Zuschauer. „Willkommen im Stardust. Ich wünsche Ihnen einen entspannten, unterhaltsamen Abend.“ Augenblicke später erklangen die ersten Töne einer wehmütigen Melodie. Kurz nach den ersten paar Takten erklang die samtige, tiefe Stimme der Frau auf der Bühne.
„And now the purple dusk of twilight time
Steals across the meadows of my heart
High up in the sky the little stars climb
Always reminding me that we're apart“
Rahjas Blick blieb auf einem roten Leuchten hängen, das vom Ausschnitt der Sängerin auszugehen schien. Sie kniff die Augen zusammen und betrachtete es genauer.
Es handelte sich tatsächlich um ein Bronze-Medaillon. Es war kreisrund und sehr flach. Das blutrote Leuchten ging hiervon aus.
„You wander down the lane and far away
Leaving me a song that will not die
Love is now the stardust of yesterday
The music of the years gone by.“
„Was trägt sie denn da im Ausschnitt?“, fragte sie bei Ethan nach. Der Stationskommandant warf einen kurzen Blick auf die Stelle und meinte dann: „Ein Bronze-Medaillon.“ Rahja nickte. „Ja,“ flüsterte sie zurück, „aber wieso leuchtet es denn so?“ Ethan runzelte die Stirn. Er sah erneut kurz auf die fragliche Stelle und meinte dann: „Das muss eine Reflektion des Lichts gewesen sein. Ich sehe nichts Leuchten“ Nun war es an Rahja die Stirn zu runzeln. Nach wie vor leuchtete das Medaillon im Ausschnitt der Sängerin blutrot.
Das Stardust hatte sich in der vergangenen halben Stunde langsam, aber stetig geleert. Meghan hatte vor einigen Minuten die Zeit gefunden, die Bar zu verlassen und einem kräftig gebauten Kellner beim Abwischen der bereits verlassenen Tische zu helfen. Noch immer lag Rahjas Blick auf der Sängerin, in deren Ausschnitt das rotglühende Medaillon hing. Die Frau stand neben einem der letzten noch besetzten Tische und verabschiedete offensichtlich die daran sitzenden Gäste. Sie blickte sich in der Bar um und kam dann auf Ethan und Rahja zu, die noch immer auf ihren Plätzen an der Bar saßen. Sie trat hinter die Theke und begrüßte dann den Stationskommandanten. „Guten Abend, Ethan. Wie hat Ihnen die Show gefallen?“, wollte sie wissen. Ethan lächelte die Frau an. „Hervorragend wie immer, Cassandra“, antwortete er ihr.
Rahja benutzte die Gelegenheit, das Medaillon genauer zu betrachten. In der Mitte befand sich eine stilisierte Sanduhr, in der der Sand beständig hin- und herzufließen schien. Cassandra bemerkte den Blick der Counselor. Rahja sah die dunkelhaarige Frau an und meinte dann: „Ein ungewöhnliches rotes Schmuckstück haben Sie da.“
Cassandra verzog für einen Moment die Mine, lächelte die Counselor dann aber an. „Danke schön“, meinte sie und hielt Rahja die Hand zur Begrüßung hin. Dabei stieß sie Ethans Martini-Glas an, dessen Inhalt sich auf den Stationskommandanten ergoß. „Oh, wie ungeschickt!“, sagte Cassandra und fischte hinter der Bar ein Handtuch hervor. Ethan nahm das Handtuch entgegen und wischte damit auf seiner Uniform herum. Nach einigen Momenten reichte er es dann zurück und meinte schulterzuckend: „Es ist sowieso an der Zeit zu gehen.“ Dann rutschte er von seinem Hocker und drückte Rahja einen Kuss auf die Wange. „Wir sehen uns dann. Einen schönen Abend noch“, verabschiedete er sich von den beiden Frauen und verließ das Stardust.
„Wieso zum Geier kommt erst jetzt jemand? Ich habe wochenlang versucht, das Hauptquartier zu erreichen, bevor ich aufgegeben habe“, zischte Cassandra Rahja an. Die Counselor der Katana kam gar nicht zu Wort, so schnell sprach die Inhaberin des Stardust weiter. „Es ist ein Wunder, dass Sie mich überhaupt gefunden haben. Irgendwas muss schiefgelaufen sein. Ich konnte keine Ersatzidentität an einem der üblichen Orte finden. Und“, an dieser Stelle trat ein trauriger Gesichtsausdruck auf das schmale Gesicht der dunkelhaarigen Sängerin „Joey ist tot.“
Rahja hatte zwischendrin mehrmals den Mund auf, und wieder zu gemacht. Sie hatte keine Ahnung gehabt, von was die andere Frau gesprochen hatte, jedoch im Redefluss der Sängerin keine passende Stelle zur Unterbrechung gefunden. Nachdem dieser nun zu Ende zu sein schien und die Sängerin sie fragend ansah, klappte Rahja ihren Mund wieder auf.
„Welches Hauptquartier?“, fragte sie, was ihr als erstes in den Kopf kam. Es schien sich hier nicht um das Sternenflottenhauptquartier in San Francisco zu handeln, denn dies war ihrer eigenen Information nach stets problemfrei erreichbar. „Welche Ersatzpapiere? Und wer ist Joey?“, schob sie dann sofort nach, was ihr noch an Fragen einfiel.
Cassandra presste ihre Lippen zusammen, dann griff sie schlagartig mit schraubstockartigem Griff nach der Hand der Couselor. Sie nahm ihr Medaillon vom Hals und drückte es in die Handfläche der Couselor. Zum Erstaunen Rahjas erschien über dem Medaillon eine Art Bedienungsmenü. Cassandra schnaubte, ließ die Hand Rahjas los und hängte sich das Medaillon wieder um den Hals. „Hören Sie auf so zu tun, als ob Sie nicht wissen, von was ich spreche. Sie kommen eindeutig von Chronos“, schnaubte sie dann. Rahja hob die Schultern. „Ich weiß wirklich nicht, von was Sie sprechen“, antwortete sie. Cassandras bestimmter Blick wurde unsicher. „Wirklich nicht?“, fragte sie. Rahja nickte. „Wirklich nicht. Aber vielleicht erzählen Sie mir einfach, worum es geht? Und was das da“, sie zeigte auf das Medaillon an Cassandras Hals, „ist.“
Rahja und Cassandra saßen sich an einem Tisch vor der kleinen Bühne gegenüber.
Cassie sah die ihr gegenübersitzende Frau nachdenklich an. Sie schien tatsächlich keine Kenntnis von Chronos zu haben. Aber wieso konnte sie dann das Medaillon bedienen? Sie musste also das Chronos-Gen haben. Aber wie sollte sie dazu gekommen sein, wenn nicht durch genetische Manipulation von Chronos? Das alles ergab keinen Sinn. Wenn sie irgendeine Chance haben wollte, wieder nach Hause zu kommen, dann blieb ihr wohl nur, der Counselor zu vertrauen. Seit mehr als 10 Jahren war sie jetzt schon hier. Und in all der Zeit, war Rahja die erste, die das Medaillon nicht nur als ein bronzefarbenes Amulett wahrnahm. Cassandra gab sich einen Ruck. Sie würde Rahja vertrauen.
Sie hob das Medaillon an. „Welche Farbe hat es für Sie?“, fragte sie dann nach. Rahja verzog keine Miene als sie antwortete: „Rot. Welche Farbe denn sonst?“ Cassandra ließ es wieder in ihren Ausschnitt gleiten. „Für mich ist es grün. So weit ich weiß, sieht es für jeden, der es bedienen kann anders aus“, antwortete sie.
Rahjas Blick blieb gleichmütig. Cassie fuhr fort. „Es ist ein Chronos-Schlüssel“, erklärte sie dann. Sie holte tief Luft und erzählte dann: „Chronos ist die Abkürzung für „Chrono-Historical Research and Natural Observation Society“. Ich bin eine Chronos-Historikerin. Mit Hilfe des Schlüssels können Historiker an einen beliebigen Punkt in der Vergangenheit reisen und dort historische Ereignisse aus erster Hand beobachten. Ein Traum! Es ist eine Ehre für Chronos ausgewählt zu werden. Es gibt nur 36 Plätze. Bei meinem letzten Sprung muss aber irgendwas schiefgelaufen sein. Es sollte ein relativ kurzer Sprung werden. Von Washington DC 2305 nach New York 2035. Musikgeschichte ist mein Spezialgebiet. Ich wollte an einem Konzert in der Metropolitan Opera teilnehmen. Kurz vor dem Sprung erschien eine vermummte Person im Sprungraum. Sie schob meine Kollegin Sheila vor sich her und hielt ihr ein Messer an die Kehle. Sheila hatte eine merkwürdige Apparatur um den Brustkorb. Wir wurden von der vermummten Person angewiesen, uns auf unsere Plätze zu stellen. Der Countdown für den Sprung lief schon. Im letzten Moment hat die vermummte Person Sheila von sich in die Mitte des Raumes gestossen. Was dann passierte, weiss ich nicht, weil ich gesprungen bin. Aber die Landung war unsanft. Ich bin nach hinten geschleudert worden.“
Cassandra machte eine Pause. Rahja versuchte ihre Gedanken zu sortieren. Das ganze ergab noch keinen Sinn. Wenn Cassandra aus dem Jahr 2305 ins Jahr 2035 gesprungen war, dann musste sie über 350 Jahre alt sein.
Rahja fasste ihre Gedanken in Worte: „Dann müssten Sie über 350 Jahre alt sein. Und danach sehen Sie lange nicht aus“, merkte sie an.
Cassandra nickte. „Ich bin 34 Jahre alt. Als ich meinen letzten Sprung unternommen habe, war ich 24.“ Sie machte eine Pause. „Ich kann mir das Ganze auch nicht genau erklären. Ich habe damals zusammen mit Joey überlegt, was wir tun sollen. Wir haben entschieden, dass wir weitermachen, wie abgesprochen. Das bedeutete, vom stabilen Punkt im Central Park aus mit der Metro zur Metropolitan Opera. Das Konzert von Indira Taju anhören. Dann zurück zum stabilen Punkt und von dort aus wieder nach Hause. Es war ja nur ein kurzer Trip geplant. Aber – es passte nichts zusammen. In der Metropolitan Opera war für den Abend kein Konzert mit Indira Taju geplant. Eine Online-Recherche ergab, dass es keinen Sopranistin mit dem Namen gibt. Zumindest keinen bekannten. Stattdessen waren im Programm einige Namen erwähnt, die weder Joey noch ich kannten. Bedenken Sie, dass wir Experten auf dem Gebiet der Musikgeschichte waren. Ein Irrtum war ziemlich unwahrscheinlich.“
Rahja liess sich das Ganze durch den Kopf gehen, dann fragte sie: „Wer war Joey? Sie erwähnten, dass er tot ist?“
Über Cassandras Gesicht huschte ein Schatten. „Joey war mein Partner. Chronos-Historiker reisen häufig zusammen. Und Joeys und mein Fachgebiet überschneiden sich. Joey beschäftigte sich mit den Auswirkungen der verschiedenen Kunstformen auf die Gesellschaft, während ich mich auf Musikgeschichte im Allgeinen spezialisiert habe“, erklärte sie. „In jedem Fall sind wir zum stabilen Punkt im Central Park zurückgekehrt und haben versucht den Rücksprung zu Chronos zu initialisieren. Wir haben es versucht aber beide nicht geschafft. Etliche Male. Die Schlüssel haben nur schwarze Statik angezeigt. Wie es Chronos-Protokoll vorsieht, haben wir uns dann einen Ort gesucht, an dem wir eine Weile abwarten konnten um es später nochmal zu versuchen. Wir waren ziemlich erstaunt, als wir dann feststellten, dass wir anstatt im Jahr 2035 im Jahr 2378 gelandet waren. Es ergab einfach keinen Sinn. Ergibt es nach wie vor nicht. Irgendwas muss fürchterlich schief gelaufen sein bei unserem letzten Sprung. Wir haben fast 2 Monate gewartet und immer wieder versucht, den Rücksprung zu initiieren. Danach haben wir begonnen, uns ein unauffälliges Leben auf der Erde aufzubauen. Mit unseren Kenntnissen war das nicht schwer. Wir haben uns als künstlerisch veranlagtes Pärchen ausgegeben. Wir sind von der Erde aus nach Temad-4 gezogen. Dann brach der Romulaner-Krieg aus. Ich habe gerade gearbeitet, als der Planet von den Romulanern angegriffen wurde, Joey war zu Hause.“ Cassie schluckte. „Unser Haus war ein einziger Trümmerhaufen. Er konnte nicht mehr lebend geborgen werden. Gleich nach der Beerdigung habe ich Temad verlassen und bin so weit wie möglich weg von der Frontlinie geflohen. Das war hier. Und seitdem bin ich hier“, beendete sie ihre Erzählung.
Rahja schwieg eine Weile. Irgendwie ergab das Ganze keinen Sinn. Cassandra schien davon auszugehen, dass der Sprung sie in die falsche Zeit geführt hatte. Aber das erklärte nicht, wieso sie selber noch niemals von Chronos gehört hatte und warum es den Sopran, den Cassandra und Joey hatten hören wollen niemals gegeben hatte.
„Sind Sie sicher, dass Sie nur in die falsche Zeit gesprungen sind?“, wollte sie dann wissen.
Cassandra hob ein wenig hilflos die Arme. „Ich vermute, dass sich auch die Zeitlinie verändert hat. Ich konnte Chronos in den Geschichtsbüchern nicht ausmachen und auch an anderen Stellen scheint sich die Geschichte anders entwickelt zu haben, als sie mir bekannt ist.“ Rahja nickte. Das passte zu ihrer Vermutung.
„Vielleicht sind Sie ja nicht in der falschen Zeit gelandet, sondern in einer Wirklichkeit, die parallel zu der Ihren existiert?“
Cassandras Antwort bestand in einem ungläubigen Gesichtausdruck. Rahja aktivierte ihren Kommunikator. „Preja an Andersson“, verlangte sie. Es dauerte einige Momente, ehe ihr ein verschlafen wirkender Captain Andersson antwortete. „Andersson hier. Wissen Sie wie spät es ist, Counselor?“, wollte er wissen.
Rahja warf einen Blick zur Uhr. Es war fast 1 Uhr Nachts inzwischen. „Sir, ich würde Sie gerne noch sprechen. Wenn es Ihnen recht ist“, beantwortete sie die Frage.
Eine kleine Pause entstand. „In 15 Minuten in meinem Besprechungsraum, Counselor“, beantwortete Andersson die Anfrage. „Andersson, Ende“, beendte der Captain der Katana dann das Gespräch.
„Kommen Sie, Cassandra“, meinte Rahja, während sie aufstand. Cassandra sah sie fragend an, kam dann jedoch zu Rahja herüber, die ein Stück von dem Tisch, an dem sie gerade gesessen hatten entfernt im Raum stand.
Rahja aktivierte ihren Kommunikator erneut. „Preja an Katana. Zwei Personen zum Beamen“, sagte sie und einige Augenblicke später löste sich das Stardust scheinbar vor den Augen der beiden Frauen auf.