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Worst Case Szenario
Autor: Elisheba Krann

Gegenüber den anderen 799 Besatzungsmitgliedern hatte Elisheba sicherlich zumindest einen Vorteil. Es war die Aenar, die sich wohl momentan als einzige einwandfrei in der Katana bewegen und orientieren konnte. Auch, wenn sie die Gänge, im Vergleich zu manch anderem, nicht auswendig kannte, so konnte sie immerhin „sehen“. Sie „sah“ die Gänge und Korridore. Doch sie sah auch, dass es kein Licht und somit keine Energie gab. Physiker hätten es eventuell mit der Veränderung des Farbspektrums innerhalb der Anwendung der VISOR-Technologie erklärt. Elisheba dagegen konnte es nicht erklären und im Moment hatte sie auch keinen immensen Drang dazu dies zu tun.

Die Erste Offizierin war gerade damit beschäftigt mit zwei weiteren Crewmitgliedern eine Tür zu öffnen. Immerhin, von Deck 20 war es die letzte. Dass allerdings noch vier Decks vor ihr liegen würden versuchte sie energisch zu ignorieren, was angesichts dessen, dass es hier unten immer wärmer wurde, nicht einfach war. Es war kein Wunder, die Überlebenssysteme waren genauso betroffen wie der Rest des Schiffes. Und die Tatsache, dass dies auch für die Antimaterieabschirmung gelten könnte behagte ihr wenig. Dies war auch der Grund, dass sie jeweils eine Gruppe von fünf Personen zur Shuttlerampe schickte. Sollte eine Katastrophe entstehen, so wollte sie wenigstens die Chance sehen, dass so viele Crewmitglieder wie möglich gerettet würden – eine Hoffnung die auf der anderen Seite ziemlich naiv klang – die Antimaterietanks wurden erst vor dem Beginn des Forschungsexkurses getankt, die Folgen einer Implosion wären über mehrere Kilometer spürbar gewesen. Zu der Antimaterie der Katana kamen schließlich noch die Füllbestände der einzelnen Shuttles und der Captains Yacht sowie verschiedenste hochtoxische oder entflammbare Stoffe wie etwa Deuterium.
Anstatt jedoch sich bereits das Szenario auszumalen, das das Ende der Katana und seiner Crew bedeutet hätte versuchte die Aenar sich auf die Aufgabe vor sich zu konzentrieren.
„Der Spalt müsste groß genug sein um hindurchzuschlüpfen“, meinte einer der Crewmen.
„Dann lassen Sie mich eben reinschauen“, meinte Elisheba knapp und zwängte sich durch den Spalt. Dieser war nicht für „füllige“ Personen gemacht und Elisheba, welche nicht umhin kam hin und wieder ihre eigenen Speckröllchen zu bemäkeln war froh, dass sie es schaffte hindurchzugelangen.
Die beinahe weißhäutige ging einmal den Raum durch, schlüpfte aber mit den Worten „hier ist keiner mehr“ durch den Spalt zurück in den Gang.
„Dann als auf nach Deck 21?“, fragte der Crewman, den Elisheba als Ensign identifiziert hatte, seinen Namen aber noch nicht kannte.
„Richtig“, antwortete Elisheba und ging mit den zwei Crewman los.


Welch ein „Glück“ war es, dass die Krankenstation auf der selben Ebene wie Shuttlerampe eins war? Sicherlich, von Glück sollte keine Rede sein, sondern eher von dem planungsverständlichen Denken der Sternenflotteningenieure, die vorgesehen hatten, Shuttlerampe eins als Notevakuierungszentrum oder gar, wenn nötig, als erweiterte Krankenhalle einzusetzen.
Greg biss die Zähne zusammen und versuchte sich durch die beinahe Finsternis hindurchzuwaten. Einige Crewmitglieder hatten selbstleuchtende Notröhren angebrochen. Eine einfache chemische Reaktion sorgte so partiell für licht. Zwar nicht viel, aber genug, dass der „Durchschnittshumanoid“ zumindest die Umrisse der Umgebung erkennen konnte.
„Doktor, sind Sie das?“, wurde Gregory gerade von der Seite angesprochen. Dieser drehte sich zur Silhouette des jungen Mannes – zumindest klang die Stimme jung – um.
„Was hat mich verraten?“, fragte der Chefarzt der Katana zynisch hinterher. „Ihre Gangart ... denke ich“, antwortete der Crewman zaghaft, war ihm die etwas „sonderbare“ Art des Gregory Tyrone wohl noch nicht bekannt.
„Nun stammeln Sie nicht so rum, und sagen was Sie von mir wollen. Es sei denn, sie wurden Angewiesen jeden im Hangar derart anzusprechen, dann lasse ich sie in Frieden ziehen.“
Der junge Mann jedoch ging nicht weiter darauf ein.
„Könnten Sie bitte mit mir mitkommen? Wir haben ein paar Crewmitglieder, die sich nicht schnell genug in Sicherheit bringen konnten. Knochenbrüche, Stauchungen, aber auch Schnittwunden. Vor allem die, die in den Laboren gearbeitet haben, als die Katana abstürzte“, erklärte er.
Greg seufzte. Angesichts der „Lichtverhältnisse“, wenn man sie denn so nennen konnte, würde er nur wage erkennen können, was der Patient hatte. Von daher ließ er es auch nicht aus, der Bitte noch einen Spruch hinterzugeben, bevor er dem Mann folgte: „Diagnosen kann ich versuchen zu geben. Für Pflaster sind die Schwestern zuständig.“
Was sollte er schon machen, außer Verbände zu binden und Gliedmaßen zu schienen?


„Verdammt ist das heiß!“
„Sagen sie mir nichts“, antwortete Elisheba auf die Aussage eines ihrer Helfer. „Soviel habe ich seit meinem Urlaub auf Mauritius nicht mehr.“ Das war übertrieben, denn es gab sehr wohl Orte, die heißer gewesen sind die sie bereits besucht hatte. Der Unterschied wahr jedoch, dass sie diese Orte in der Regel aus Urlaubsgründen besucht hatte.
„Geh ich recht mit der Annahme, dass Sie ohnehin schlechter mit der Hitze zurecht kommen Commander?“
„Es ist zwar eine unverschämte Frage, Lieutenant Ely, aber: Ja es stimmt. Als Aenar habe ich keine Probleme, mich bei zwei Grad plus in die Sonne zu legen um mich zu wärmen. Das hier sind jedoch geschätzte dreißig Grad. Wenn nicht mehr.“ „Eher mehr“, meinte Lieutenant Ely. „Wo ich herkomme sind es nicht selten vierzig Grad im Schatten. Die sind angenehmer als das hier.“
„Hier ist allerdings die Kohlendioxiddichte höher. Dadurch alleine werden wir es als für wärmer und unerträglicher befinden“, ließ der dritte im Bunde von sich hören.
„Seltsam, dass wir noch keinen Crewmitgliedern begegnet sind. Sehen Sie irgendjemanden, Commander?“
Obwohl es die beiden wohl nicht sehen konnten, schüttelte Elisheba den Kopf. „Nein, hier ist niemand. Aber wir sind gleich bei der Antimateriekontrollkammer.“
Das Nicken Elys und des anderen dagegen konnte die Aenar problemlos erkennen. „Hoffen wir, wir finden dort etwas erfreuliches. Ich kann nicht verhehlen, dass ich mir Sorgen mache.“
„Denken Sie nicht drüber nach, bis wir dort sind, Ensign. Das macht die Aughabe nicht einfacher, wenn Sie sich jetzt bereits Gedanken darüber machen.“ „Das klingt nicht nach Sternenflottenvorgehensstandards, Commander.“ Wieder schüttelte Elisheba den Kopf. „Das ist pure Erfahrung. Es bringt nichts, sich über Sachen Gedanken zu machen, die noch nicht geschehen oder bekannt sind. Wir können die Gegenwart beeinflussen, die Zukunft jedoch nicht.“ „Das Klingt philosophisch.“
„Nach beinahe zwei Dekaden Dienst, drei Kriegen und unzähligen Scharmützeln ist das, denke ich, eine recht natürliche Verhaltensweise“, kommentierende Elisheba trocken zum Abschluss, bevor sie den beiden ansagte zu stoppen. „Hier ist die Tür. Helfen Sie mir diese zu öffnen.“

Die Tür zum Kontrollraum hatte eine doppelte Sicherung, war es von hier aus schließlich praktisch möglich, das Schiff derart zu manipulieren, dass nicht einmal mehr Trümmer übrig blieben. Dadurch erschwerte sich das Vorhaben, die Tür zu öffnen, im vergleich zu den anderen. Doch nach gut zehn Minuten war auch dieses Ziel geschafft, und die drei Offiziere stemmten die Tür auf. Als diese jedoch sich mit einem Druck öffnete, stieß den dreien eine regelrechte Hitzewelle entgegen, die dafür sorgte, dass sie sich schnell davor zu schützen versuchten, indem sie den Gang ein Stück zurückgingen.
„Was zur Hölle ... das ist ja unerträglich!“, meinte Ely.
„Hölle passt gut“, gab der andere zynisch wieder.
„Ich schätze, das kommt dadurch, dass die Innenwand der Antimateriebehälter extrem belastet sind. Dadurch entsteht ein enormer Druck und dieser äußert sich in einem enormen Temperaturanstieg“, jappste Elisheba. Für solch ein Klima war keiner aus ihrer kleinen Gruppe gemacht.
„Konnten Sie erkennen, ob dort jemand drin ist, oder wie es um die Behälter steht?“
„Nein“, gab Elisheba zu. „Ich fürchte, das muss ich noch nachholen.“ Ein Seufzen wäre unangebracht gewesen, auch wenn die Situation danach schrie, zumindest in einem frustigen Laut bequängelt zu werden. Angesichts dessen, dass sie jedoch nicht alleine war, wollte sich die Erste Offizierin keine Blöße geben.
„Na gut, kommen Sie mit und sichern Sie mich. Wenn mir was passiert, möchte ich nicht hier unten enden“, meinte sie und führte sich und die beiden anderen zum Eingang des Kontrollraums. Als sie schließlich davor standen, und sich Elisheba, aufgrund der für sie mehr als unerträglichen Hitze, sowohl der Uniformjacke sowie des Shirts entledigte, griff sie vorsichtshalber nach dem Arm von Lieutenant Ely und zählte langsam bis drei.
Fünfzehn lange Sekunden versuchte sich Elisheba alle eindrücke vom Kontrollraum zu merken, bis sie es nicht mehr aushielt, sich zurückziehen ließ und erschöpft zu Boden fiel.
Eine Frage der Crewman, was sie gesehen hatte erübrigte sich, als sie „verdammte Scheiße“ nicht mehr im Mund behalten konnte.


Irgendwie hatte es Sandy geschafft mit Luma auf Shuttlerampe eins zu gelangen. Manoel Ramirez hatte die beiden im Gang vor dem Quartier von Chief Yadeel und Captain Andersson aufgelesen und sie schließlich mit einer der ersten Gruppen nach Shuttlerampe eins bringen lassen. Für den Moment war Luma wieder recht ruhig – die wenn auch mäßige Beleuchtung in der Shuttlerampe schien sie wieder beruhigt zu haben. Die Dunkelheit der Gänge der Katana waren für das Mädchen wohl ziemlich einschüchternd und beängstigend gewesen. Allerdings konnte auch Sandy nicht dementieren, dass dieser nunmehr tote Zustand des Schiffes keine bedrückende Stimmung bei ihm sorgte. Nichts desto Trotz musste er versuchen, nun Seeta Yadeel oder Captain Andersson zu finden. Sie sollten wissen, dass sie hier war und sie sich keine Sorgen machen sollten. Allerdings hatten die ersten Crewmitglieder, auf die Frage, wo er einen von den beiden antreffen könnte, Sandy entweder nur mit falschen oder gar keinen Informationen abspeisen können. So bahnte er sich vorsichtig weiter den Weg in Richtung des Hangartores, in der Vermutung, er würde dort den Captain oder die Chefingenieurin finden. Sie würden Versuchen, einen Weg aus dieser „Sardinenbüchse“ herauszufinden, denn Gefahr drohte von allen Seiten. Das Schiff bot nur noch für wenige Stunden Sauerstoffe, die meisten Nahrungsmittel, die nicht aus reiner Biomasse bestanden befanden sich im „Diners“. Außerdem würde es hier „oben“ immer kälter werden. Kurz um, solange es niemand geschafft hatte, einen Ausgang zu bahnen, befanden sie sich in einem hermetisch abgeriegelten Gefängnis. Die schützende Duranium entpuppte sich für diese Situation nunmehr als eine tödliche Falle. „An so etwas denken Sie am besten gar nicht erst“, meinte eine erschöpft klingende Frau hinter Sandy. Verwundert drehte er sich um und erkannte schemenhaft das weiße, lockige Haar der Ersten Offizierin.
„Commander?“, fragte Sandy ein wenig verwirrt, diese schien jedoch, wohl wie immer, durch ihn hindurchzusehen und deutete in eine Richtung. Und führte ihn mit dorthin.
„Es ist eigentlich nicht meine Art, von anderen die Gedanken zu lesen, aber die Fülle an besorgten, intensiven Gedanken macht es ziemlich schwierig sich davor zu schützen. Sogar für mich“, deutete die Aenar die eigentlich recht robust gebaute psychische Abschirmung ihres Volks vor „Gedankenbombardements“ an. Gemeinsam gingen Sandy, mit Luma im Arm, und die Commander in die Richtung, in die Commander Krann gedeutet hatte. Sie wusste anscheinend genau, wo der Captain war, denn zielsicher gelangten sie in seine Nähe. Die Stimme des Dänen war unüberhörbar und anscheinend erhöhte sich auch die Laune bei Luma, als sie die Stimme ihres Vaters vernahm.

„Captain“, begrüßte Elisheba den Kommandierenden Offizier der Katana. Dieser drehte sich kurz danach zu Elisheba um, erspähte Sandy und schließlich Luma. Für einen kurzen Moment vergaß er seine Pflichten als Captain und zeigte sich als besorgter Vater. Erleichtert nahm er Luma in den Arm und drückte sie sanft. Natürlich war er als Kommandooffizier davon ausgegangen, dass alles mit ihr in Ordnung sei – wer konnte schon seinen Pflichten nachkommen, wenn einem die ganze Zeit Angst und Sorge plagten? Doch als Vater und Familienmensch hatte er natürlich Angst um seine Tochter.
Elisheba blieb ruhig stehen und versuchte, nicht zu sehr an den Rand gedrängt zu werden. Zwar war für diesen einen kurzen Moment die Familie wichtiger – als Mitglied einer Spezies, in der die Familie den höchsten Stellenwert hat, hatte sie gewiss Verständnis für diese Innigkeit. Irgendwo war sie sogar neidisch, das ihr solch ein Gefühl bisher verwehrt geblieben ist, das war jedoch nur eine Emotion die irgendwo ganz tief in ihr schwelte und kurz nach dem ersten Aufkeimen wieder erstickt wurde.
„Captain, ich muss mit Ihnen sprechen“, meinte Elisheba ruhig aber bestimmt. „Natürlich Commander“, sagte Garrick und widmete sich kurz noch einmal an Luma. „Alexander bringt Dich jetzt zu Mami“, meinte er, küsste Luma auf die Stirn und drückte sie Sandy mit den Worten „Sie ist dort hinten an der Schleuse“ wieder in den Arm.

Kurz nachdem Sandy verschwunden war verhärtete sich die Mine des Vaters und wurde zum Gesicht des pflichtbewussten Captains. „Was gibt es, Miss Krann?“
„Ich bin vom letzten Deck zurück. Lieutenant Ely hat sich bei Ihnen gemeldet?“, Andersson nickte. „Er meinte etwas von Problemen mit der Antimateriekammer.“ „Richtig. Nachdem ich das letzte Deck durchkämmt hatte bin ich mit Ensign Foster noch einmal zum Kontrollraum, um einen aktuelleren Eindruck zu gewinnen. Sie sehen, Sir, ich bin schweißgebadet. Keine Ahnung wie heiß es in zahlen ist. Für mich nur wenige Sekunden aushaltbar, für die anderen Humanoiden wohl etwas länger. Jedenfalls: Das Team, dass sich im Kontrollraum befand, bevor wir abgestürzt sind hat es nicht rechtzeitig geschafft herauszugelangen. Sie sind wahrscheinlich von der Hitze dehydriert. Die Innenwand ist jedoch extremst belastet. Sie hält zwar, ich gebe ihr allerdings keinen Tag mehr – ohne computergesteuerter Abriegelung sitzen wir auf einer Zeitbombe.“
Captain Andersson nickte ruhig den Kopf. „Dann bleibt unsere Priorität die Flucht vom Schiff.“
„Solange wir keine Energie haben können wir nichts an der Antimateriekammer ausrichten", fügte die Aenar seufzend hinzu. "Mit Ihrer Erlaubnis würde ich dann jetzt etwas trinken, und dann den Technikteams beim Öffnen des Hangartores unterstützen.“
„Machen Sie das“, meinte Garrick schließlich und zog seine Stirn in Falten. Ein „Supergau“ war zum gegenwärtigen Zeitpunkt abwendbar. Die Chancen, ob die Crew dem Worst Case Szenario überleben könnte wollte er zum gegenwärtigen Zeitpunkt garnicht erst wissen.