Log 199
Die innere Barriere
Autor: Lew Sulik
„Ein andorianischer Virus?“, hakte Dr. Tyrone skeptisch nach als die Interkomverbindung abgebrochen worden war. Er kannte Commander Kranns aktuelle Krankenakte zufälligerweise sehr gut, denn als Neuankömmling auf der Katana war sie erst kürzlich zu einem eingehenden Gesundheitscheck bei ihm erschienen. Unter der Berücksichtigung der Inkubationszeit aller ihm bekannter andorianischer Viren hätte ihm ein eben solcher schon damals auffallen müssen. Seinem stellvertretenden Oberarzt traute er nicht einmal mehr die Diagnose einer chronischen Langeweile um fünf vor Zwölf zu, geschweige denn die Neuentdeckung eines bisher unbekannten Virus von Andoria.
„Captain Andersson“, hob Gregory zu einem seiner gefürchteten ironischen Belehrungen an, um dessen Wirkung er nur zu gut wusste: „Wie ich ihnen in meinem letzten Bericht – den sie hoffentlich schon gelesen habe – beschrieben habe, ist Dr. Clyone eine herausragende Inkompetenz dessen phänomenale Fehldiagnosen als bildhafte Beispiel für Medizinpraktikanten geeignet wären. Die Entdeckung eines Virus wo vorher mit absoluter Bestimmtheit keiner war übersteigt seine Fähigkeiten um ein Vielfaches. Man kann ihm also sehr viel vorwerfen, aber mit Sicherheit keine überschäumende Phantasie.“, er machte eine kurze Pause und betrachtete seinen Gehstock den er nun schon eine geraume Zeit mit seiner rechten Hand um die eigene Achse hin und her drehte bevor er abschließend bemerkte: „Kurz zusammengefasst: Wir müssen Commander Kraans Warnungen ernster nehmen!“
„Sie meinen also, dass hier tatsächlich etwas nicht stimmt?“, fragte Captain Andersson besorgt ob Tyrones Ausführungen. Dieser kullerte zu erst entnervt mit den Augen bevor er sich demonstrativ und übertrieben über den Schreibtisch beugte und erklärte: „Ich meine: Wer auch immer da mit ihnen gesprochen hat, er hat ihnen nicht die Wahrheit gesagt, denn Dr. Cylone kann eine solche Diagnose nicht gestellt haben. Entweder dieser Powel lügt oder Cylone selbst hat ihm diese Fehldiagnose übermittelt. Im letzteren Fall kann es nicht der echte Cylone gewesen sein. Denn diesem Mann kann man nun wirklich vieles unterstellen, aber keine Böswilligkeit. Aber Miss Krann empfindet nach eigener Aussage etwas Böses in ihm...“, Gregory lehnte sich etwas zurück: „...irgendwer hält uns hier zum Narren, Captain!“
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So ähnlich musste sich der Teil von Nelik in ihr gefühlt haben. Zumindest vermutete Seeta dies nun. Sie hatte diese Geschichten von dem Gefühlt wie hinter einer Glasscheibe hilflos das eigene Verhalten zu beobachten nur aus dritter Hand von Leuten die zum übermäßigen Alkohol- oder gar illegalem Drogenkonsum neigten. Doch nun war sie es die wie aus der Distanz zu sehen musste wie eine andere Persönlichkeit mit ihrem Körper agierte und den Maschinenraum betrat.
Wie zu erwarten nahmen die Anwesenden Haltung an oder grüßten sie zumindest dem Protokoll entsprechend. Die meisten gingen danach unbeirrt ihrer Arbeit nach, andere wiederum gaben einen kurzen, mündlichen Statusbericht ab bevor sie sich wieder ihrer Arbeit widmeten. Auf diese Weise ging der Fremde in ihr trotz der gewissen Aufmerksamkeit als Chefingenieurin unbeirrt durch den gesamten Maschinenraum auf die Hauptkonsole für die Gesamtkontrolle zu.
'Du musst es schaffen!', bläute sich Seeta nun geradezu manisch ein und begann damit, worauf sie sich die letzten Minuten vorbereitet hatte. Auch wenn Nelik in ihr als Stimme verschwunden war, viele ihrer Erinnerungen waren immer noch präsent und so hatte sie deren Erfahrungen mit geistiger Kontrolle zu nutzen gewusst. Was sie nun tat war nur schwer in Worte zu fassen die eine materielle Welt beschrieben und die geistige nur unzulänglich erfasste. In gewisser weiße rannte sie nun wieder gegen die Glascheibe an die ihren Geist von ihrem Körper trennte. Immer und immer wieder schlug sie auf die unsichtbare Trennwand ein, rannte dagegen an. Unablässig fokussierte sie ihre Energie auf einen bestimmten Punkt auf der Barriere bis dessen Widerstand allmählich nachließ. Die Trennwand gab nach. War sie zunächst spröde und hart wie Glas wurde sie elastischer und flexibler wie Plexiglas. So zumindest fühlte es sich für ihren Geist an als sie gegen die Barriere ankämpfte. Mit der Zeit war es, als ob die imaginäre Trennwand weich wurde. Wie eine angeschmolzene Plastikwand gab das Hindernis ihrem Ansturm ganz leicht nach. Durch diesen ersten Erfolg angespornt intensivierte Seeta Yadeel ihre Anstrengungen im Kampf gegen die Isolation die sie umgab. Mehr und mehr Kraft konnte sie aufbringen und die Barriere verbog sie mehr und mehr wie eine zähe Masse deren oberflächliche Konsistenz nachließ. Und dann auf einmal gelang ihr wie durch eine gummiartige Wasseroberfläche der Durchbruch. Ihr war als ob sie kurz nach Luft schnappte um auszuschreiten: „Fremdes Wesen in meinem Körper! Auch Clyone und das gesamte Team von M-47 befallen! Sicherheitsteam B-3 auch! Wollen das Schiff übernehmen! Nur Elisheba Krann kann helfen! Ihr müsst sie retten!“
Nach diesem kurzen Moment des Gefühls der Befreiung und Selbstbeherrschung jedoch war ihr als ob sie von der elastischen Masse der Trennwand wieder zurück auf ihren Ausgangspunkt zurück geschleudert wurde. Von der geistigen Anstrengung zermürbt konnte sie nun nur noch tatenlos wie durch eine Milchglasscheibe beobachten wie ihr eigener Körper zusammenbrach und auf den Boden fiel. Ihr Körper war Bewegungslos und ihrem Geist hinter der Barriere ging es dabei nicht anders.