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Fremde Gefühle
Autor: Mark de Boer
Die USS Katana fiel aus dem Warp und flog langsam und majestätisch in das Sys-tem ein. „Schilde hoch und das gesamte System scannen!“, befahl Captain Ebbersmann. „Ich will keine unliebsamen Überraschungen erleben.“ Vor zehn Tagen hatten sie ein unbekanntes Signal empfangen, das die wissen-schaftliche Abteilung erst nach zwei Tagen als Notruf einer bislang unbekannten Zivilisation identifizieren konnte. Leider hatte das Signal keinen Aufschluss über die Ursache des Notrufs gegeben. Die Katana war als einziges Schiff in der Nähe und hatte sich sofort auf den Weg gemacht. Das Signal hatte sie zu einem bislang unerforschten System mit zwei Planeten der Klasse M geführt. „Captain!“, meldete sich ein Fähnrich, der die Sensoren überwachte. „Captain. Im ganzen System gibt es keine Anzeichen für ein anderes Raumschiff.“ „Danke, Fähnrich. Setzen Sie den Scan ununterbrochen fort. Wir können nicht aus-schließen, dass sich Raumschiffe hinter Planeten verbergen oder getarnt sind.“ Der Fähnrich nickte und konzentrierte sich wieder auf seinen Monitor. Von der wissenschaftlichen Station meldete sich Lieutenant Commander Lazarus. „Sir, wir haben die Quelle des Signals lokalisieren können. Es kommt von einem Objekt in der Umlaufbahn des inneren Klasse-M-Planeten. Es scheint sich um eine Raumstation zu handeln.“ „Rufen Sie sie. Wir wollen nicht mit Angreifern verwechselt werden.“ Es vergingen ein paar Sekunden, bevor Lazarus meldete, dass es keine Reaktion auf ihre Kontaktversuche gäbe. Der Captain nickte unmerklich und trat näher an den Hauptschirm heran. „Was ist mit dem Planeten? Gibt es von dort irgendwelche Reaktionen auf unser Erscheinen oder unser Rufen?“ „Nein, Sir. Man kann zwar viele Städte erkennen, aber die Scans zeigen kein höhe-res Leben mehr dort an. Allerdings sind die Sensoren stark beeinträchtigt durch eine immens hohe Strahlung. Dem ersten Eindruck nach zu urteilen würde ich sagen, dass diese Welt Opfer einer globalen Katastrophe oder eines Krieges wurde. Aber ich werde tiefer gehende Analysen durchführen.“ „Tun Sie das. Binden Sie Yadeel und Maddigan ein. Außerdem möchte ich von Ih-nen…“ Ebbersmann wandte sich an Alex Black, dem Commander der Elite Force. „… einen Missionsplan, wie wir auf die Station gelangen und dort nach Überlebenden suchen. Ich will alle Führungskräfte in 30 Minuten in meinem Bereitschaftsraum sprechen. Ich möchte dann einen vorläufigen Bericht über die Zivilisation und das, was sie vernichtet hat. Ich will wissen, ob wir in Gefahr sind.“
Die Jagdstaffel unter Lew Sulik befand sich seit 20 Minuten auf Patrouille innerhalb des Systems. Sollte plötzlich ein Schiff auftauchen, sollte es die Katana nicht einfach überraschen können. Bislang hatte sich aber nichts Bedrohliches finden können. Nichts deutete darauf hin, dass sich hier irgendein fortschrittliches Raumschiff aufgehalten hätte. Die anfängliche Anspannung der Piloten war mittlerweile einer konzentrierten, aber deutlich entspannteren Arbeitsweise gewichen. Jeder diskutierte darüber, was diese Katastrophe ausgelöst haben mag. Vielleicht ist ein Kraftwerk explodiert und hat irgendeine radioaktive Wolke frei gesetzt.“, mutmaßte Marok Tenor.
„Was soll das denn für ein Kraftwerk gewesen sein?“, widersprach Jon Mardsen. „Schau dir mal die Verwüstung überall auf dem Planeten an. Da müssten viele Kraftwerke hoch gegangen sein…“
„Vielleicht waren es ja auch Ökoterroristen wie damals auf der Erde. Nur hier war es heftiger und gründlicher.“, überlegte Ian Paice.
„Dann war es eine sehr mächtige Terrorgruppe.“, schaltete sich Mark de Boer ein. „Auf dieser Welt hat es eindeutig einen Krieg gegeben. Ich war Anfang des 22. Jahrhundert in einem Krieg und habe einiges gesehen. Diese Welt sieht aus wie ein riesiges Schlachtfeld.“
Emma Thomas hatte bislang nur zugehört. Sie war erst vor kurzem bei der Staffel und war noch recht zurückhaltend. „Aber welche Zivilisation würde einen Krieg bis zu ihrer totalen Vernichtung führen? Irgendwann tritt doch…“ Plötzlich ein Blitz. Emma Thomas blinzelte und fand sich plötzlich in einem dunklen, schwach beleuchteten Korridor wieder. Sie hatte ein leichtes Gefühl der Beklemmung. Am Ende des Korridors sah sie eine Silhouette. Die Gestalt eines Kindes. Es kam langsam auf sie zu. Emma fühlte sich dadurch unerklärlicherweise bedroht. Noch immer konnte sie das Kind nicht wirklich sehen. Es war, als bewege sich ein Schatten immer mit ihm und verhindere, dass man es besser erkennen konnte. Aber es war eindeutig ein Mädchen von vielleicht zehn Jahren.
Eine klare, eiskalte Stimme durchschnitt das Zwielicht. „Bist du meine Mami?“
Diese Frage ließ einen eiskalten Schauer über Emmas Rücken laufen und versetzte sie in einen Zustand der Panik, den sie noch nie erlebt hatte. Sie taumelte einen Schritt zurück.
„Was hast du gesagt?“, fragte sie krächzend.
„Ich sagte, dass ihr alle die Funkdisziplin einhalten sollt und euch wieder auf die Patrouille konzentrieren sollt. Thomas, halten Sie ihre Flugroute ein.“, erwiderte Lew Sulik.
Emma blinzelte. Sie befand sich wieder im Cockpit ihres Fighters. Sie war völlig ver-wirrt. Sie wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn und atmete tief durch. „Was ist da gerade geschehen?“, fragte sie sich. Sie kontrollierte die Sensordaten der ver-gangenen Minuten. Kein Anzeichen dafür, dass sie weg gebeamt wurde. Keine Anomalien. Nichts. „Werde ich verrückt? Was war das?!?“, murmelte sie. Emma überlegte kurz und meinte dann laut über Intercom: „Sir, ich habe gerade ein seltsa-mes Erlebnis gehabt. Keine Ahnung, ob es was zu bedeuten hat, aber…“
Ein Blitz.
Emma hatte eine Gänsehaut, bevor sie wirklich sah, dass sie sich wieder in dem Korridor befand. Das Mädchen war wieder ein kleines Stückchen näher gekommen.
„Bist du meine Mami?“
Emma verspürte das tief sitzende Bedürfnis, zu fliehen. Vor diesem Mädchen weg zu rennen. Aber sie konnte sich nicht bewegen. Sie war vor lauter Angst wie gelähmt.
Das Mädchen ging weiter langsam Schritt für Schritt auf sie zu.
„Bist du meine Mami?“
Emma spürte einen eiskalten Stich in ihr Herz und fühlte, wie jegliche Wärme aus ihrem Körper gesogen wurde.
Das Mädchen war jetzt nur noch zwei Meter von ihr entfernt. Es machte einen weite-ren Schritt auf Emma zu und hob ihren Kopf. Der Schatten gab den Blick auf das Gesicht frei. Emma stöhnte auf vor Entsetzen. Die Augen des Kindes waren weiß und tot, und die Lippen waren miteinander verschweißt.
Emma spürte eine existenzielle Angst, die tief in ihren Urtrieben verankert war.
„Bist du meine Mami?“
Die Augen des Kindes fingen an, rot zu leuchten. Emma hatte das Gefühl, als würde eine eiskalte Hand tief in ihren Eingeweiden nach ihrer Seele wühlen. Sie schrie aus vollem Leib.
Die gesamte Führungscrew saß im Bereitschaftsraum und verfolgte die Ausführun-gen von Dr. Lazarus. „Die Zivilisation befindet sich… ähm… befand sich in einer Prä-Warp-Ära. Technologisch in etwa wie das 21. Jahrhundert der Erde, basierend auf fossile Brennstoffe und Nuklearenergie. Allerdings hat sie mit der Besiedlung des zweiten Klasse-M-Planeten begonnen. Erste Terraforming-Projekte und erste automatisierte Fabriken sind dort erkennbar.“ „Konnten Sie schon in Erfahrung bringen, was die globale Auslöschung ausgelöst hat?“, fragte Alex Black. „Nun ja…“, begann Dr. Lazarus. „Es war ein nuklearer Krieg.“ „Wie bitte?!?“ Ramirez schrie fast seinen Unglauben heraus. „Welche intelligente Zivilisation treibt einen Krieg denn bis zu ihrer totalen Vernichtung?“ „Da gibt es in der Geschichte mehr als genug Beispiele…“, entgegnete Dalen Laza-rus. „Das Erschreckendste ist aber, dass der Krieg nur zwei Wochen gedauert hat.“ Stille breitete sich in dem Besprechungsraum aus. Captain Ebbersmann fand als erstes seine Sprache wieder. „Eine Zivilisation löscht sich innerhalb von zwei Wochen aus?“ „Ja, Sir. Die Analysen haben gezeigt, dass die Atomschläge mit unerbittlicher Härte durchgeführt wurden.“ Er aktivierte den Bildschirm an der Wand und startete eine Simulation. „Wir haben den ungefähren Ablauf ermitteln können.“ Auf dem Bildschirm bewegten sich Dutzende rote Punkte von einem Kontinent auf der südlichen Hemisphäre auf einen anderen Kontinent im Norden zu. Kaum hatten die Punkte den Äquator überquert, starteten unzählige blaue Punkte von dem nördlichen Kontinent aus in umgekehrte Richtung. Fast gleichzeitig erschienen etwa zwanzig grüne Punkte, die von einer großen Landmasse am Äquator aus in Richtung des ersten Angreifers flogen. Es dauerte nicht lange, und von den übrigen, kleineren Kontinenten starteten ebenfalls farbig markierte Punkte in alle Richtungen. Nur wenige Augenblicke später schlugen die ersten roten Punkte in den nördlichen Kontinent ein. Ein gelber Kreis bildete sich um die Einschlagstelle, der stetig größer wurde. „Die gelbe Fläche zeigt den Bereich der radioaktiven, tödlichen Kontaminati-on. Soweit wir das in der Kürze der Zeit feststellen können, handelt es sich bei dem radioaktiven Material um ein seltenes Element, die zwar einen deutlich höheren Energiegewinn bei der Spaltung erzeugt, aber dadurch als Waffe um ein Vielfaches zerstörerischer ist als die seinerzeit auf der Erde entwickelten Atomwaffen.“, erläuterte Lazarus. Mit angewiderter Faszination verfolgten alle, wie die übrigen Atomraketen in ihre Ziele einschlugen. Die gelben Bereiche wurden größer und größer, bis er den gesamten Planeten überdeckte. „Bis hierhin hat es fünf Tage gedauert. Nach neun weiteren Tagen wurde alles Leben vernichtet, was höher entwickelt war als eine Kakerlake.“, beendete Lazarus in kühlen Worten die Simulation. Einen ewig langen Moment herrschte Schweigen im Raum. Diese Perversion der Tat raubte allen die Sprache. Ramirez räusperte sich schließlich und fragte: „Was ist mit der Raumstation? Gibt es dort Überlebende?“ „Das können wir nicht mit Bestimmtheit sagen.“, begann Black und fuhr fort: „Einen Großteil der Station konnten wir scannen. Es handelt sich dabei um Forschungslabore. Das war aber auch zu erwarten. Hier gibt es aber keine Überlebenden. Einen kleineren Teil konnten wir jedoch nicht scannen. Die Wände dort sind aus einem Material, das unsere Sensoren empfindlich stört. Um ehrlich zu sein, wissen wir nicht, was sich in dieser Station befindet. Beamen ist auch nicht möglich. Wir müssen also mit einem Shuttle hinüber fliegen, um auf die Station zu gelangen.“ „Soweit sind wir noch nicht.“, widersprach der Captain. „Zunächst brauche ich alle Informationen, die wir kriegen können. Doktor, was können Sie uns zur Physiogno-mie der Bewohner sagen?“ Maddigan erhob sich und begann mit seinem Vortrag. „Es handelte sich nach bisherigen Erkenntnissen um Humanoide, die dem Menschen sehr ähnelten. Aber viel mehr…“ Sein Kommunikator piepte. „Doktor Maddigan auf die Krankenstation. Es hat einen Zwischenfall bei den Kampfpiloten gegeben…“
„Okay, was genau haben wir?“, fragte Maddigan, als er in die Krankenstation stürzte. „Fähnrich Emma Thomas. 24 Jahre. Sie ist plötzlich katatonisch. Keine Reaktion auf Reizpunkte. Ihre Betawellen weisen erstaunlicherweise einen Zustand hoch-gradiger Aktivität auf. Auch ihre übrigen Biowerte deuten auf enormen Stress hin: Puls 210, niedrige Körpertemperatur von 35,4 Grad. Keine Ursache bislang erkennbar.“, erwiderte Helen Lanxess, die diensthabende Stationsschwester. „Wir müssen zunächst etwas gegen ihre körperlichen Symptome unternehmen. Lange hält sie diese Extrembelastung nicht aus. Geben Sie ihr 10 mg Methyldiazepinon.“ Lanxess nickte, nahm ein Hypospray und verabreichte der Pilotin das Medikament. Maddigan überprüfte Thomas Zustand und runzelte die Stirn. „Sie zeigt überhaupt keine Reaktion…“, brummte er. „Erhöhen Sie die Dosis aus 20 mg.“ Lanxess verän-derte die Einstellungen und drückte auf den Auslöser. Das Gerät zischte und entlud das Mittel. Wieder nahm Maddigan den medizinischen Tricorder und überprüfte den Zustand. Unmerklich begann er zu nicken. „Es schlägt an, wenn auch nicht so stark wie normal. Geben Sie ihr noch einmal dieselbe Dosis.“ Die Krankenschwester betätigte wieder einmal den Auslöser. Dieses Mal war Dr. Maddigan zufrieden. „Gut. Die körperlichen Werte sind im akzeptablen Bereich. Nun wollen wir uns mal um ihren geistigen Zustand kümmern. Lassen Sie es uns mit einem Kortikalstimulator probieren.“ Maddigan befestigte das kleine Gerät an der Stirn der Patientin und aktivierte es. „Keine Veränderungen.“, meldete Lanxess. Maddigan erhöhte die Stärke und probierte es erneut. Wieder blieb eine Reaktion aus. „Hmm, interessant. Es scheint also mehr zu sein, als wir vermuten. Wir müssen mehr über die Hintergründe erfahren.“, murmelte Maddigan. „Wissen Sie Genaueres über die Umstände?“, fragte er. „Nein, aber ich werde die Piloten der Staffel bitten, Ihnen Rede und Antwort zu stehen, wenn Sie wollen.“, antwortete Lanxess. „Ja, das wäre gut.“
Maddigan seufzte. Er hatte die gesamte Staffel befragt, die mit Fähnrich Thomas auf Patrouille war, aber er hatte nichts herausgefunden, was ihm weiter geholfen hätte. „Und gibt es schon etwas Neues? Wie geht’s Fähnrich Thomas?“ Der Doktor schreckte auf. In der Tür stand Garrick Andersson, der XO der Katana. „Commander… Emma Thomas ist stabilisiert, aber weiterhin katatonisch. Wir konn-ten ihren Körper beruhigen, aber nicht ihren Geist. Bislang habe ich leider nichts über die Ursache gefunden. Die gesamte Patrouille verlief völlig normal. Es gab keine Anomalien, keine Strahlungsspitzen, keine abweichenden Energiewerte, nichts.“ Frustriert schleuderte er sein PADD auf den Schreibtisch. Andersson kam ins Büro und setzte sich an den Tisch. „Vielleicht hilft ein zweites Paar Augen. Was haben Sie bislang?“ „Der Flug verlief vollkommen normal. Plötzlich stieß Fähnrich Thomas einen schrillen Schrei aus und verlor die Kontrolle über ihren Fighter. Beinahe wäre sie dabei mit der Raumstation zusammengestoßen. Soweit wir feststellen können, war sie da bereits in diesem Zustand.“ Andersson nahm das PADD, blickte angestrengt auf das Display und versuchte, aus den Daten irgendein Muster zu erkennen. „Wir haben die ganze Zeit über das System gescannt. Haben Sie die Werte abgeglichen, ob es da irgendwas gab, was ihren Zustand erklären könnte?“ „Ja, mehrfach. Es gab nichts, was nicht auch in so ein System gehört. Es gab nicht einmal Radiowellen, nur die normale Hintergrundstrahlung.“ „Dann lassen Sie uns den gesamten Vorfall noch mal durchspielen. Computer, zeige uns die Flugroute von Fähnrich Thomas. Zeige uns auch alle übrigen Objekte in diesem System.“ Auf dem Wandmonitor erschien ein Abbild des Systems. Kleine Symbole kennzeichneten die Katana und die Raumstation. Linien entstanden aus dem Katana-Symbol und zogen sich spiralförmig durch den inneren Bereich des Sonnensystems. Innerhalb kürzester Zeit glich das Bild einem verknoteten Wollknäuel. Andersson schüttelte den Kopf. „Computer, zeige uns nur die Flugbahn von Fähnrich Thomas.“ Sofort verschwanden alle Linien, nur eine rote Linie verblieb. Maddigan blinzelte. „Ich kann nichts Besonderes erkennen.“
Die Tür ging zischend auf. „Doktor, wie geht’s Emma Thomas? Oh, Commander…“ Lew Sulik stand im Raum, wie immer in seinem dreckigen und verknitterten Overall. „Lieutenant, Sie kommen gerade recht. Fähnrich Thomas’ Zustand ist unverändert. Und wir suchen nach der Ursache. Sie waren mit ihr auf Patrouille. Vielleicht fällt ihnen noch etwas ein, was uns weiterhilft.“ Lew nickte und stellte sich vor den Monitor. „Ist das die Flugbahn von Emma?“ Maddigan nickte. „Können Sie sich noch an irgendwas erinnern, was uns einen Hinweis geben könnte?“ Der Squadron Leader starrte mit verkniffenem Gesicht auf den Monitor und schwieg einen Moment. Schließlich hellte sich seine Miene ein wenig auf. „Ja, ich kann mich an etwas erinnern. Mir fällt gerade etwas ein.“ Er knetete für ein paar Sekunden seine Unterlippe, bevor er weiter sprach. „Ein paar Sekunden bevor sie den Zusammenbruch hatte, wollte sie eine Meldung machen. Aber mitten im Satz hat sie abgebrochen.“ „Wissen Sie, was sie sagen wollte?“, fragte Andersson. Lew schüttelte den Kopf. Gedankenverloren strich er über seinen Dreitagebart. „Ich komm nicht drauf, was es war…“ sagte er schließlich. Maddigan nahm das PADD. „Auch kurz vor dem Ereignis kann ich nichts erkennen. Alles scheint ganz normal zu sein.“ Lew kratzte sich am Kopf. „Irgendwas entgeht mir…“, murmelte er. Er stellte sich di-rekt vor den Monitor und fuhr mit dem Finger die Rote Linie nach, die Emma Thomas’ Flugroute entsprach. Dann stockte er plötzlich. „Computer, zeige mir die Flugroute von Fähnrich Thomas ab fünf Minuten vor ihrem Zusammenbruch.“ Das Muster auf dem Bildschirm verschwand und wurde durch ein neues, größeres Muster ersetzt. Andersson räusperte sich. „Lieutenant, was genau sehen…“. „Sssshhhhh…“, zischte Sulik nur, was den verdutzten XO auf der Stelle verstummen ließ. Wieder fuhr er mit dem Finger über die rote Linie. Er schloss die Augen und nickte schließlich. „Computer, lade die Flugroutenplanung für diese Patrouille.“ „Datei geladen.“ „Computer, an welchen Stellen gab es Abweichungen von der geplanten Route?“ Auf dem Monitor erschienen zwei rote Kreise. „Computer, vergrößere den Ausschnitt.“ Das Bild auf dem Monitor wurde herangezoomt, bis schließlich nur noch die beiden roten Kreise und ein Symbol zu sehen waren. „Heureka!“, sagte Lew und drehte sich triumphierend zu den beiden Männern um, die mit erstaunten Gesichtern auf den Monitor blickten. Schließlich fand Dr. Maddigan seine Sprache wieder. „Es gab genau zwei Abwei-chungen von der geplanten Route. Und beide gab es, als sich Fähnrich Thomas der Raumstation näherte. Es kann ein Zufall sein, aber das ist die einzige Möglichkeit, die wir zurzeit haben.“ Der Commander nickte zustimmend. „Das sehe ich genauso. Ich werde mit dem Captain sprechen, dass wir diese Raumstation genau untersuchen müssen.“
„Nein, diesen Befehl werde ich derzeit sicherlich nicht geben.“ Die Worte des Captains klangen ernst und energisch. Er hatte sich den ganzen Vortrag seines XO in Ruhe angehört. „Nur weil Fähnrich Thomas zweimal nicht hundertprozentig den Kurs eingehalten hat, werde ich bestimmt keine Leute in unbekanntes Terrain schi-cken. Dafür ist mir die Lage dort zu unsicher, und Ihre Beweise sind zu dürftig.“ Andersson seufzte. „Aber Sir, es ist die einzige Möglichkeit, die wir haben…“ Er wur-de durch das Piepen zweier Kommunikatoren unterbrochen. „Dr. Maddigan, Lieutenant Commander Ramirez, bitte kommen Sie dringend zum Bereitschaftsraum der Piloten. Es gibt einen Zwischenfall.“
Maddigan und Ramirez hetzten den Flur entlang. „Was ist denn heute bei den Piloten los?“, keuchte der Doktor. „Ich weiß es nicht. Ich muss mal ein ernstes Wort mit Sulik reden.“, grummelte der Sicherheitschef. Vor dem Bereitschaftsraum wurden die beiden von Lieutenant Hoffman empfangen. „Sir, gut, dass Sie gekommen sind. Doktor, wir haben zwei Verletzte dort drüben.“ Sofort verschwand Dr. Maddigan, um sich um die beiden zu kümmern. „Hoffman, was ist passiert?“, fragte Ramirez derweil. „Lieutenant Tenor scheint ohne erkennbaren Grund plötzlich aggressiv geworden zu sein.“ „Agressiv?“, mischte sich Mark de Boer ein, der sich in Hörweite befand. „Das trifft es nicht im Mindesten.“ „Können Sie uns erzählen, was vorgefallen ist?“, fragte der Sicherheitschef. „Wir standen kurz vor dem Beginn unserer Schicht. Der nächste Patrouillenflug. Wir haben uns alle im Aufenthaltsraum aufgehalten und über den Vorfall mit Emma gesprochen. Marok war die ganze Zeit eigentlich ziemlich ruhig, als er plötzlich völlig ausrastete und Ian anschrie, er solle aufpassen, was er da sagt. Und dann hat er sich auf ihn gestürzt und ihn halb tot geprügelt. Wir haben versucht, ihn mit drei Mann aufzuhalten, aber er hat uns wie Kinder einfach abgeschüttelt. Er hatte eine schier unmenschliche Kraft. Und als das Sicherheitsteam eintraf und ihn überwälti-gen wollte, hat er einem Mann mit Leichtigkeit den Arm gebrochen. Wir konnten alle aus dem Raum schaffen und Marok dann irgendwie dort einsperren. Er wütet immer noch da drin…“ „Danke Lieutenant! Wir werden dann jetzt übernehmen.“ Ramirez holte sich das Sicherheitsteam heran und besprach das Vorgehen. „Wir werden den Raum stürmen. Tenor scheint nicht er selbst zu sein, daher werden wir uns nicht mit Diplomatie aufhalten, sondern ihn direkt mit unseren Phasern außer Gefecht setzen. Kontrolliert noch einmal, ob die Phaser auf Betäubung stehen. Wir wollen ihn nur betäuben, nicht umbringen. Als erstes müssen aber die ganzen Leute hier weg…“
Das gesamte Sicherheitsteam war angespannt. Es war eine Sache, gegen einen Feind zu kämpfen. Aber einen der eigenen Männer zu bekämpfen, war immer wieder eine besondere Herausforderung an ihre Konzentration und Professionalität. Ramirez stand vor der Tür. Hinter ihm standen vier seiner Männer mit gezogenen Waffen, ein weiterer stand an der Türautomatik, um die Tür auf sein Zeichen hin zu öffnen. Ramirez atmete noch einmal tief ein und nickte dem Mann an der Tür zu. Der betätigte den Türöffner. Die Tür glitt zur Seite… und Marok Tenor stand direkt dahinter, als ob er geahnt hätte, was das Team vorhatte. Noch bevor Ramirez überhaupt reagieren konnte, hatte Tenor ihm bereits einen so kräftigen Schlag ins Gesicht verpasst, dass er rückwärts gegen sein Team stolperte und drei seiner Leute mit zu Boden riss. Marok nutzte die Gelegenheit und sprang über das Knäuel von Sicherheitsbeamten hinweg auf den Flur. Er hatte gerade einmal drei Schritte gemacht, als er von dem vierten Mann mit dem Phaser in die Brust getroffen wurde. Er wurde zu Boden ge-schleudert, sprang aber quasi im selben Moment wieder auf, stürmte auf den Mann zu und streckte ihn in einer fließenden Bewegung mit einem harten Schlag nieder. Ohne eine Sekunde zu verlieren, rannte er den Flur entlang, als er von einem weiteren Phaserstrahl getroffen wurde. Er taumelte kurz, ohne jedoch in seiner Bewegung langsamer zu werden. Ein weiterer Strahl traf ihn, zu dem sich ein dritter gesellte. Immer noch stand der Mann und stolperte weiter in Richtung der Hangars. Erst als er von vier Phaserstrahlen gleichzeitig getroffen wurde, fiel er wie ein gefällter Baum zu Boden und blieb reglos liegen. Mühsam rappelte sich Ramirez auf. „Was war DAS denn?“, fragte er sich, während er sich das schmerzende Kinn rieb. „Los, Leute, fesselt ihn und schmeißt ihn in die Arrestzelle. Und der Doktor soll ihn sich mal ansehen. Ich will wissen, wieso er so ausgetickt ist.“
Captain Ebbersman betrat den kleinen Besprechungsraum auf der Krankenstation, in dem sich neben dem Doktor auch Manoel Ramirez, Garrick Andersson und Alexandra Black befanden. „Doktor, Sie sagten, Sie hätten etwas Interessantes herausgefunden.“ „Ja, Sir.“ Doktor Maddigan aktivierte den Monitor an der Wand, der die Silhouette einer Person zeigte. „Ich habe Lieutenant Tenor untersucht. Sein Körper ist voll von Adrenalin und Testosteron. Sowas habe ich noch nicht einmal bei einem Klingonen im Kampf gesehen. Bei dieser hohen Konzentration ist es kein Wunder, dass er schier übermenschliche Kräfte hatte. Er hat schlicht und ergreifend keine Schmerzen gespürt. Wenn dieser Hormon-Cocktail jedoch aus seinem Körper ist, wird er fürchterliche Schmerzen haben…“ „Doktor!“, unterbrach ihn der Captain. „Kommen Sie zur Sache.“ Maddigan räusperte sich verlegen. „Ja, Sir… natürlich. Also diese Konzentration ist bemerkenswert, aber nicht der Grund, weshalb Sie hier sind.“ Er betätigte eine Taste, und der Monitor zeigte den Kopfumriss der Figur von vorne. Daneben war der Kopf aus verschiedenen anderen Perspektiven zu sehen. „Sehen Sie die roten Bereiche hier? Sie zeigen eine hohe Hirnaktivität. Und damit meine ich eine extrem hohe. Interessant ist aber Folgendes…“ Wieder betätigte der Doktor eine Taste, und ein weiterer Umriss eines Kopfes wurde eingeblendet. „So-wohl bei Lieutenant Tenor als auch bei Fähnrich Thomas stimmen die Bereiche mit hoher Aktivität nahezu perfekt überein. Und es handelt sich um Hirnbereiche, die normalerweise relativ inaktiv sind.“ „Haben Sie herausgefunden, woher bei beiden diese Aktivität stammt?“ „Es gibt nur eine außergewöhnliche Gemeinsamkeit: Beide waren in der Nähe der Raumstation. Tenor war der Pilot, der Thomas vor dem Zu-sammenstoß mit der Station bewahrt hat.“ „Sir, irgendwas ist mit dieser Station. Zuerst der Notruf über die Selbstzerstörung einer ganzen Zivilisation und dann die Zwischenfälle mit unseren Piloten. Wir müssen herausfinden, was in dieser Station vorgeht.“, forderte Andersson. „Mein Team ist sofort einsatzbereit. Wir können sofort in die Station eindringen.“, stand ihm Lieutenant Black bei. Ebbersman hob beschwichtigend die Hände. „Vielen Dank für Ihre Einsatzbereitschaft, aber wenn Sie Recht haben, XO, werde ich garantiert keinen meiner Mannschaft auch nur in die Nähe dieser Station lassen. Ich will nicht, dass noch mehr Personen hiervon befallen werden. Bis auf weiteres verbiete ich die Annäherung an die Station. Die Patrouillen sollen sich von ihr fern halten. Ist das deutlich geworden?“ Er blickte seiner Nummer Eins ernst ins Gesicht. Dieser nickte. „Ja, Sir. Ich werde das gleich an die Staffel weitergeben.“ Andersson dreht sich um und wollte gerade den Raum verlassen, als ihm noch etwas einfiel. „Sir, ich weiß von Seeta, dass derzeit eine neue Technik in der Erprobungsphase ist. Vielleicht ist es an der Zeit für einen Test im realen Einsatz…“
Normalerweise befanden sich neben Mark de Boer nur Seeta Yadeel und Natalie Bardal in dem kleinen Raum neben dem Hangardeck und beobachteten auf zwei Monitoren diverse Signalstärken, Flugbahnen und Kontrollen, wenn ein neuer Test-lauf durchgeführt wurde. Heute hingegen drängten sich hier zusätzlich noch Garrick Andersson, Manoel Ramirez, Alexandra Black und Lew Sulik hinein. „Also nur, damit ich das richtig verstehe.“, fragte Ramirez. „Die Sonde wird nicht per Computer gesteuert, sondern über die Neuralverbindung direkt vom Lieutenant?“ „Es handelt sich hier um viel mehr als nur um eine Sonde. Sie kann nicht nur Daten aufzeichnen, sondern auch Aktionen durchführen und auf Situationen reagieren. Daher sehen wir in ihr auch keine Sonde sondern vielmehr eine Drohne. Im Prinzip gibt es diese Technik schon seit dem zwanzigsten Jahrhundert, wenn auch in bedeutend schlechterer Ausführung.“, führte Seeta Yadeel aus. „Wir haben die Neuraltechnik aus den Azrael-Fightern adaptiert und in die Drohne eingebaut. Wir hatten sie für Situationen konzipiert, in denen ein Einsatz von Menschen zu gefährlich sein würde, man jedoch die menschliche Intuition und Entscheidungsfähigkeit benötigt. Dass wir diese Drohne jedoch SO schnell einsetzen würden, hätten wir nicht gedacht.“ „Die Tests sollten eigentlich noch ein knappes Vierteljahr dauern“, ergänzte Natalie. „Bislang haben wir die Drohne nur im Hangar und im Weltall in der Nähe ausprobiert. Noch nie über eine so große Distanz.“ „Na ja, aber so kennen wir das ja mittlerweile. No risk, no fun. Dann wollen wir die Party mal starten.“, meinte Lew nur gewohnt lakonisch. Mark de Boer setzte sich auf seinen Sessel, den sie einfach aus seinem Fighter ausgebaut hatten. So war er in gewohnter Umgebung und konnte sich ganz auf die Steuerung der Drohne konzentrieren. „Alles klar?“, fragte er, woraufhin Natalie kurz nickte. Er schloss für einen Moment die Augen, atmete ein-, zweimal durch, um seine Konzentration zu sammeln. Dann betätigte er ein paar Knöpfe. Im Hangar erhob sich ein kleines, etwa ein Meter langes, eiförmiges Objekt von seinem Platz. Die Monitore in dem Raum begannen, diverse Datenreihen und Kurven anzuzeigen. „Ich aktiviere jetzt den Neuralmodus“, meldete Mark. Auf den Monitoren erschienen ein kleines Diagramm, sowie die Vitalwerte des Piloten. „Führe jetzt einen kurzen Funktionstest der Drohne durch.“, fuhr Mark fort. Nacheinander fuhren kleine Schweiß-Phaser, Kabel zum Anzapfen von abgeschlossenen Computersystemen, Greifer, sowie weitere nützliche Apparaturen und ein Parkständer aus der Sonder heraus. Begleitet wurden die Tests mit vielen Kommentaren der Zuschauer. „Leute! Das Ganze ist deutlich komplizierter als der Flug einer Azrael im Neuralmo-dus. Daher bräuchte ich ein wenig Ruhe.“, zischte Mark irgendwann. „Und Lew, hör auf, hinter meinem Rücken Grimassen zu schneiden. Ich kann dich über die Drohne sehen…Natalie, was sagen die Werte?“ „Alles im grünen Bereich.“ „Lieutenant, Sie können starten, wenn Sie soweit sind.“, ergänzte die Chefingenieurin.
Die Drohne verließ den Hangar und begann allmählich, die Geschwindigkeit zu steigern. In einem eleganten Bogen flog sie um die Katana und steuerte auf die Raumstation zu. „Mark, das Signal wird schwächer.“ „OK, ich erhöhe den Impuls.“
Langsam näherte sich die Drohne der Station. Zunächst wurde die Außenhülle millimeterweise nach ungewöhnlichen Strukturen, Sensoren oder Sendern untersucht. Die Suche blieb aber erfolglos.
„Captain, von der Außenhülle haben wir keine ungewöhnlichen Werte erhalten. Sollen wir jetzt in die Station eindringen?“, fragte Seeta, nachdem sie die empfangenen Werte einer schnellen Analyse unterzogen hatte. Dieser blickte noch einmal auf die Bilder, die auf dem Monitor zu sehen waren. Sie zeigten die Station aus drei leicht unterschiedlichen Blickwinkeln. Die Werte, die dazu angezeigt wurden, sagten Ebbersmann nichts, also nickte er nur. „Machen Sie es so.“ „Lieutenant de Boer, gehen Sie rein. Aber seien Sie vorsichtig.“, gab die Zanderianderin den Befehl weiter. Mark de Boer nickte unmerklich. Kurze Zeit später fuhr ein kleines Röhrchen aus dem Sessel, und es ertönte ein kurzes Zischen, als es den Hals von dem Piloten berührte. „Was ist das?“, fragte der XO, der das Ganze mit Interesse verfolgt hatte. „Das ist das künstliche Adrenalin, Sir.“, erklärte Natalie Bardal. „Das erhöht Marks Reaktionsfähigkeiten um ein Vielfaches. Außerdem kann er noch mehr Details wahrnehmen.“ „Ah…“, meinte Andersson nur und schwieg.
Die Drohne flog einen Halbkreis um die Station und hielt vor einem Konstrukt an, von dem man annahm, dass sie eine Andockstelle darstellte. Die Drohne fuhr ihren Parkständer aus und heftete sich damit an die Station. Auf dem Ovoid erschien eine Öffnung, aus der ein Phaser-Schneidbrenner ausfuhr. Ein heller Strahl wurde emittiert und fraß sich in die metallene Außenhülle der Raumstation. Zischend ent-wich die Luft aus dem Inneren der Schleuse in die Leere des Weltraums. Nach nur ein paar Sekunden hatte der Brenner ein genügend großes Loch in die Andockstelle geschnitten, so dass die Drohne ohne Probleme ins Innere fliegen konnte.
„Ich fliege jetzt in die Station.“, vermeldete de Boer. Er holte nochmal tief Luft und konzentrierte sich wieder auf die Steuerung.
Das Fluggerät flog geschmeidig durch die Öffnung und befand sich in einem kleinen Raum. Die Drohne vollführte eine 360°-Drehung. Mark stellte fest, dass es sich hierbei um eine Schleuse handelte. Dies war die gängige Vorgehensweise, um Atemluft am Entweichen zu hindern und gleichzeitig den Zutritt zu ermöglichen. Er untersuchte den Raum, um nach einen Öffnungsmechanismus zu suchen. Er fand eine Vorrichtung, die aber nicht reagierte. Wahrscheinlich lag es daran, dass ein Sicherheitsmechanismus dies verhinderte, weil die Außentür beschädigt war. De Boer errichtete ein mobiles Kraftfeld um die Außentür, mit dem sie die Drohne für diese Mission ausgestattet hatten, um zu verhindern, dass der Unterdruck alles im Inneren der Station ins Weltall zieht. Danach steuerte er den Flugkörper zur inneren Schleusentür, verankerte ihn und aktivierte den Schneidbrenner. Spielend leicht zerschnitt das Gerät die Tür. Sekunden später fiel das herausgeschnittene Stück zu Boden. Der Weg in die Station war jetzt frei.
„Wie sind die Werte?“, fragte Seeta Yadeel. „Die sind innerhalb der normalen Parameter.“, antwortete Natalie Bardal. Die Verbin-dung zur Drohne ist trotz der Entfernung ausgezeichnet. „Okay. Mr. De Boer, alle Werte im grünen Bereich. Betreten Sie die Station.“, gab die Chefingenieurin den Befehl. Die Drohne löste sich aus der Verankerung und schwebte durch die Öffnung in das Stationsinnere. Dort ließ Mark sie langsam um sich selbst drehen, um einen ersten Eindruck von der Station zu bekommen, und sog überrascht die Luft ein. „Was ist los?“, fragte Natalie besorgt. „Ist alles in Ordnung?“ „Seht ihr das nicht? Es herrscht Schwerkraft auf der Station. Sie waren also tech-nisch fortgeschrittener, als wir dachten.“ Schnell überprüften die beiden die eingehenden Werte. „0,95g. Fast Erdstandard.“, murmelte Garrick, der neugierig zugesehen hatte. „Be-eindruckend!“
Der Niederländer ließ die Drohne einen Scan des Bereichs durchführen. „Ich erkenne vier Leichname hier in der Anlage. So wie es aussieht, hat es auch hier einen Kampf gegeben.“ Erstattete er Bericht. „Können Sie erkennen, was passiert ist?“, fragte Captain Ebbersmann. Mark ließ die Drohne ein weiteres Mal einen 360°-Scan durchführen, diesmal aber konzentrierte er sich besonders auf die Leichen. „Im vorderen Bereich liegt ein Mann. Ich vermute, er wurde erwürgt. Ich erkenne Striemen am Hals. Dann im mittleren Bereich liegen zwei Leichen. Ein Mann und eine Frau. Sie scheinen sich gegenseitig umgebracht zu haben. Die Indizien deuten darauf hin, dass die Frau den Mann mit einem Messer erstochen hat. Seine Wunden passen zu dem Messer, das sie in der rechten Hand hält. Und er scheint sie erschlagen zu haben. Neben ihm liegt ein massiver Gegenstand, der blutverschmiert ist. Außerdem ist ihr Schädel eingeschlagen. Es muss ein unerbittlicher Kampf gewesen sein. Die Wunden sind verheerend.“ Mark steuerte die Drohne in den hinteren Bereich. Dort befand sich hinter einem Schreibtisch die vierte Leiche. „Oh, das ist interessant…“, murmelte Mark. „Was ist?“, fragte Natalie. „Dieser Mann wurde nicht ermordet. Er hat sich selbst getötet, indem er sich die Pulsadern aufgeschnitten hat. Hier auf dem Schreibtisch liegt Messer.“ „Könnte es nicht doch sein, dass er ermordet wurde?“ „Ich sehe keine Abwehrverletzungen. Außerdem liegt das Messer akkurat auf dem Schreibtisch. Und sein Tod liegt noch nicht so weit zurück. Das zeigt der Verwe-sungszustand der Leichen.“ Er stockte kurz. „Dieser Rechner hier ist aktiv. Soll ich versuchen, Daten abzurufen?“ Seeta sah den XO und den Captain an. „Das könnte unsere Chance sein, ein wenig mehr über die Katastrophe zu erfahren.“ Der Captain nickte zustimmend. „Sie haben grünes Licht. Versuchen Sie, soviel wie möglich zu kopieren.“
Die Drohne platzierte sich oberhalb des Terminals. Sie sandte ein helles, rötliches Licht aus, das auf den Computer gerichtet war. Nach einer Weile fand Mark, was er gesucht hatte: Die Interface-Verbindung war anfällig. Er richtete sein Augenmerk auf diese Stelle. Ein kabelähnlicher Schlauch fuhr aus der Drohne. Sein Ende, das entfernt an einen großen Neuralstimulator erinnerte, heftete sich an die Schnittstelle. Mark aktivierte den kleinen Apparat und begann, sämtliche Daten des Datenspei-chers herunterzuladen.
„Lieutenant. Die Verbindung zur Drohne wird schwächer…“, informierte ihn die Chefingenieurin. „Ja, ich merke es. Die Drohne reagiert schleppender. Ich werde die Intensität der Übertragung erhöhen.“, antwortete der der Pilot und erteilte dem Steuerungsmodul entsprechende Befehle.
„Woher kommt dieser Verbindungsabfall?“, fragte der XO interessiert. „Das müssen wir noch genauer untersuchen. Die Drohne befindet sich jetzt tief in der Raumstation, nahe des geschützten Bereichs, den unsere Sensoren noch nicht durchdringen können. Vielleicht schwächt das auch das Signal.“, antwortete Fähnrich Bardal. „Und nicht zuletzt handelt es sich bei dieser Technologie noch um einen Prototy-pen.“, ergänzte Seeta. „Wir sind noch in der Testphase. Wir hatten noch nie einen so langen Test über eine so große Distanz. Ich bin mit diesem Verlauf sehr zufrieden.“
de Boer spürte, wie die Verbindung zur Drohne wieder intensiver wurde. Es war für ihn fast so, als wäre er ein Teil dieser Maschine und diese Sensoren seine Augen. Er hatte diese Momente bislang nur in seinem Fighter gehabt. Dort saß er aber in der Maschine. Jetzt saß er weit entfernt und war doch gleichzeitig ganz nah. Auch wenn seine Aufgabe gerade nicht sonderlich aufregend war – er überwachte den Status des Datendownloads – so empfand er es dennoch als unheimlich span-nende Erfahrung. Es waren mittlerweile fast 94% der Festplatte übertragen, als er plötzlich einen küh-len Hauch im Nacken spürte, der ihn frösteln ließ. „Wer bist du? WAS bist du?“ Eine Stimme, kalt wie Eis und klar wie Kristall, zer-schnitt die Stille in der Station und ließ Mark erschrocken den Kopf zur Seite drehen. Dies veranlasste die Drohne, ebenfalls eine Wendung durchzuführen, so dass fast das Kabel aus seiner Halterung gerissen wurde. Er sah jedoch nichts.
Sämtliche Warnsignale blinkten rot auf, als die Drohne das Datenkabel bis aufs äu-ßerste belastete. „Was macht er denn da?“, fragte Seeta ärgerlich. „Mark, was ist los?“, fragte Natalie alarmiert. Die Monitore, die den Piloten überwach-ten zeigten einen rapiden Anstieg der natürlichen Adrenalin-Werte und eine erhöhte Betawellen-Aktivität. „Ist alles in Ordnung?“ „Ja…“, antwortete Mark zögerlich. „Habt ihr das auch gehört?“ „Was gehört?“, fragte Seeta skeptisch. „Eine Stimme… sie fragte, wer oder was ich sei. Meine Scans zeigen aber, dass sich hier niemand aufhält.“ „Holen Sie die Drohne da raus!“, befahl der XO aufgeregt. „Garrick, was soll das? Das hier ist unser Auftrag. Du kannst da nicht einfach dazwi-schenfunken!“, zischte ihn Yadeel wütend an. Andersson legte beruhigend eine Hand auf ihre Schulter, die sie aber abschüttelte. „Das, was ich gerade mitbekommen habe, entspricht genau dem, was Dr. Maddigan mir berichtet hat über Fähnrich Thomas. Die erhöhten Biowerte, seltsame Visionen… Und auch bei Lieutenant Tenor hat der Doktor hohe Betawellen-Aktivitäten und starke Stresssymptome festgestellt. Was immer in der Station ist, zeigt seine Wirkung nun auch auf Lieutenant de Boer. Du solltest ihn da besser rausholen… also die Drohne.“ „Sir, ich bin mit dem Download fast fertig. Ein paar Sekunden noch.“, warf de Boer ein. „Danach würde ich die Drohne umgehend zurückziehen.“ „Captain…“, wandte sich Andersson zu Ebbersmann. „Ziehen Sie die Drohne zurück!“, befahl dieser. „Sofort! Ich gehe dieses Risiko nicht ein.“ „Der Download ist in zwei Sekunden beendet, Sir.“, insistierte Mark erneut. „Lieutenant…“, rief Garrick. „Ja, Sir… Der Download… ist fertig! Ich koppel die Drohne ab und fliege zurück.“
Mit einem schmatzenden Geräusch löste sich das Ende vom Datenkabel von der Schnittstelle des Rechners und fuhr wieder in die Drohne ein. Diese erhob sich aus ihrer Parkposition und schwenkte um 180°. Langsam schwebte sie in Richtung des Ausgangs.
Mark hatte die Drohne schon fast in der Schleuse, als er wieder einen kühlen Hauch zu spüren glaubte. „Wo willst du hin? Ich will, dass du bleibst!“ Die eiskalte emotionslose Stimme halte durch seinen Kopf. „Ich verschwinde von hier. Was denkst du denn?“, murmelte Mark. Er versucht, sich voll auf den Flug der Drohne zu konzentrieren. Aber es fiel ihm immer schwerer. „ICH WILL, DASS DU BLEIBST!!!“ Die Stimme klang nun eindeutig zornig und ver-trieb jeden klaren Gedanken aus Marks Kopf. Schnell drosselte er die Verbindungs-stärke zur Drohne. Sofort konnte er sich wieder besser konzentrieren, spürte diese Stimme aber immer noch wie einen hämmernden Schmerz in seinem Kopf. So schnell es ging, zog er die Drohne in die Schleuse zurück, befestigte ein mobiles Kraftfeld an der inneren Öffnung und öffnete deaktivierte das äußere Kraftfeld. Hek-tisch steuerte er die Drohne ins Weltall. Die Stimme stach immer noch in seinem Kopf. „NEIN!!! NEIN!!! NEIN!!! BLEIB HIER!!!“ „Vergiss es, Miststück!“, brummte Mark und flog die Drohne auf direktem Weg zur Katana. Kaum hatte er die Drohne sicher im Hangar gelandet und die Verbindung zu ihr beendet, sackte er erschöpft in sich zusammen. Er war schweißgebadet. Natalie eilte zu ihm und gab ihm erstmal einen Becher Wasser, den er gierig leerte. „Oh Mann, was für ein Trip. Mir brummt immer noch der Schädel von dieser furchteinflößenden Stimme.“, meinte er nach ein paar Minuten. „Gehen Sie erstmal auf die Krankenstation und lassen sich durchchecken.“, befahl ihm Andersson und ergänzte in Richtung Sulik und Bardal: „Und Sie beide werden ihn begleiten und darauf achten, dass er keinen Unsinn macht.“ „Joah, schon klar…“, antwortete Lew und half seinem Kameraden aus dem Sessel. Gemeinsam mit Bardal stützte er den erschöpften Piloten zum Hangarschott. Auf der Schwelle drehte sich Mark nochmal um. „Sir, auf dem Rechner war eine Datei noch geöffnet. Anscheinend hat der Tote daran bis zum Schluss gearbeitet, bis er sich selbst getötet hat. Die Datei befindet sich in einem speziellen Verfahren.“
Als die Drei den Hangar verlassen hatten, drehte sich Captain Ebbersmann zu den beiden anderen Führungsoffizieren um. „Mister Andersson, lassen Sie Lieutenant de Boer für die nächste Zeit überwachen. Ich will keinen weiteren Zwischenfall wie mit dem anderen Piloten. Und Miss Yadeel, Sie werten die Daten der Drohne aus. Analysieren Sie nochmal alles, was sie aufgezeichnet hat. Strahlungen, Energiewerte alles. Ich will wissen, was mit dieser Station los ist. Und arbeiten Sie sich durch die heruntergeladenen Daten der Station. Ziehen Sie Dr. Maddigan und Dr. Lazarus zu Rate. Fangen Sie am besten mit der geöffneten Datei an. Um achtzehnhundert gibt es eine Sitzung, da will ich erste Ergebnisse hören.“
Dr. Maddigan und Dr. Lazarus saßen vor den bereits übersetzten Fragmenten der Datei. Die Sprache dieses unbekannten Volks, sie hatten ihnen den Namen „Does“ gegeben, stellte sich als echte Herausforderung für die automatischen Überset-zungsprogramme heraus, da sie äußerst kompliziert und mehrdeutig war. Und so gab es immer nur kurze Textpassagen, die übersetzt werden konnten.
Lieutenant Commander Yadeel betrat den Raum. „Also Anomalien, erhöhte Strah-lungen oder Energiewerte wurden nicht aufgezeichnet. Wir sind also wieder so schlau wie zuvor. Haben Sie etwas herausgefunden, meine Herren?“ „Wir kommen leider nicht so gut voran, wie wir es erwartet hätten. Aber eines können wir mit Sicherheit sagen: Es handelt sich bei der Datei um eine Art Tagebuch oder Logbuch. Der Schreiber scheint unter immensem Stress gestanden zu haben und sehr starke Selbstvorwürfe gehabt zu haben. Hier lesen Sie selbst.“ Die junge Zanderianerin nahm die Datei, die ihm Dr. Lazarus hinhielt und begann, die Übersetzung zu lesen.
„8. Praal, 190. Zyklus, Phase 335: Mögen die Götter mir meinen Frevel vergeben. Ich habe mein Volk dem Untergang geweiht. Mehr noch… Ich habe sie alle getötet. Dabei wollte ich nur das Beste für uns und für meine Tochter. Aber der Weg in die Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Als Teil meiner Buße werde ich meinen Weg in die ewige Verdammnis aufzeigen. Mögen die Götter über mich richten.“
Sie sah auf. „Das ist alles?“, fragte sie erstaunt. „Nein, nicht ganz. Es gibt noch ein paar Teile, die aber aus einer mittleren Passage entstammen und bislang nur wenig Sinn ergeben. Es scheint aber um eine For-schung zu gehen.“, erwiderte Dr. Maddigan. „Hmm, das ist aber ja noch nicht sonderlich viel.“, murmelte Seeta. „Machen Sie wei-ter. In zwei Stunden fängt die Besprechung an.“ Sie verließ den Raum.
Seufzend wandte sich Dr. Maddigan dem Terminal zu, auf dem die Übersetzung lief. Er starrte auf den Bildschirm, bis dieser schließlich mit einem Ping signalisierte, dass wieder ein Teil übersetzt werden konnte. Erfreut übertrug er das Fragment auf den portablen Computer, den sie in der Mitte des Tisches stehen hatten. „Oh, es ist ein Video.“, rief Dr. Lazarus erstaunt aus. „Starten Sie es. Mal sehen, was wir erfahren.“
Das Video zeigte ein Baby in einem Bettchen. Einige Apparaturen waren rings um das Bett verteilt. Was sie zu bedeuten hatten, blieb zunächst unklar. Aus dem Off erklang eine Stimme.
8. Praal, 181. Zyklus, Phase 212: Das hier ist meine Tochter Darosa. Sie ist mein ganzer Stolz. Leider gab es Kompli-kationen bei ihrer Geburt. Sie ist von Geburt an taub und blind, und sie wird niemals reden können. Ich werde von nun an meine ganze Arbeit darauf konzentrieren, ihr zu helfen, ein normales Leben zu führen…“
Die Kamera schwenkte herum und zeigte einen Mann mittleren Alters.
„Ich habe mir bereits einige vielversprechende Methoden angesehen. Ich werde mich weiter mit ihnen beschäftigen, um mich dann für die Erfolgversprechendste zu ent-scheiden. Ich werde die Methoden nun kurz der Reihe nach vorstellen. Als erstes wäre da eine Methode eines Professors für Kybernetik, einen speziellen Sensor in das Gehirn einzupflanzen. Bei dieser invasiven Methode…“
Es folgte eine halbe Stunde lang ein Vortrag über verschiedene Wege, seiner Toch-ter zu helfen. Dr. Maddigan und Dr. Lazarus hörten gespannt zu, bis das Video schließlich abbrach. „Interessante Ansätze, die er da verfolgt hat.“, meinte Maddigan schließlich. „Aber keine wäre dazu in der Lage, eine ganze Welt zu zerstören.“ „Ja, da haben Sie Recht. Ich fürchte, wir müssen auf weitere Übersetzungen warten.“
„… und die nachfolgenden drei Jahre hat er verschiedene Richtungen ausprobiert. Aber er hat jeweils sehr schnell erkannt, dass sie einen großen Nachteil haben. Sie helfen nur den Personen ihr Augenlicht, ihr Gehör oder ihre Sprache wiederzuerlangen, wenn diese die Fähigkeit bereits vorher besessen und durch einen Unfall oder eine Krankheit verloren haben. Danach entschied er sich, eigene Forschungen zu betreiben.“, beendete Dr. Lazarus seinen Vortrag. Captain Ebbersmann hatte die ganze Zeit aufmerksam zugehört und ließ sich die einzelnen Punkte noch einmal durch den Kopf gehen. „In welche Richtung ging seine Forschung?“ „Das wissen wir nicht so genau. Er schreibt nur, dass er ein langes und interessantes Gespräch mit einem Biochemiker geführt hat, das ihn auf eine gänzlich andere Idee gebracht hat. Alles Weitere müssen wir erst noch übersetzen.“ „Also gut. Wenn Sie der Meinung sind, dass dieser Mann Recht hat und für den Untergang seiner Welt verantwortlich ist, machen Sie weiter. Ich will über Fortschritte informiert werden.“ Damit löste Ebbersmann die Besprechung auf.
„8. Praal, 185. Zyklus, Phase 385: Ich hatte heute ein Treffen mit Dr. Salinor, einem Experten auf dem Gebiet der Neu-rochemie. Er hat mir interessante Ergebnisse aus seiner Forschungsarbeit gezeigt. Seine Grundlagenforschung zur Steuerung von Haus- und Wachtieren ist sehr inte-ressant. Ich habe eine Idee, wie ich das mit meiner Arbeit verbinden kann. Aber das muss ich erst noch prüfen. Ich habe mit meinen beiden Kollegen darüber gespro-chen. Sie sehen ebenso wie ich einige Möglichkeiten, die Arbeit einzubauen. Aber es gibt einige Hindernisse, die wir noch beseitigen müssen dabei. Ich habe die Unterlagen von Dr. Salinor der Besprechungsnotiz beigefügt. Ich sehe Licht.“
„Haben Sie die Arbeit dieses Dr. Salinor gelesen?“, fragte Dr. Lazarus seinen Kollegen. „Ja, eine sehr interessante Arbeit, auch wenn ich die Richtung der Arbeit nicht mag. Man pflanzt Tieren kleine Geräte ein, die sie zu den Dingen zwingen, die der Besitzer der Fernbedienung will. Für mich ist das unwürdig.“ „Ja, ich stimme Ihnen zu. Kein Lebewesen, egal ob Mensch oder Tier, hat so eine Behandlung verdient. Aber ich bin gespannt, in welche Richtung er dieses Thema weiterführen will.“
„8. Praal, 187. Zyklus, Phase 151: Die Arbeit von Dr. Salinor hat sich als nicht zielführend herausgestellt. Sie ist zu grobschlächtig. Auf diese Weise kann man simple Tiere steuern. Aber ich will meine Tochter nicht zu einer Marionette machen. Ich will, dass sie ihre Umgebung wahr-nehmen kann. Ich bin doch enttäuscht, dass wir diese Methode nicht so adaptieren konnten, wie wir es gebraucht hätten.“
„Er geht den einzelnen Theorien schnell nach und verwirft sie aber auch sehr schnell.“, meinte Dalen Lazarus. „Ja, das schon. Aber schauen Sie sich mal die Versuchsreihen an, die er in dieser Zeit betrieben hat. Beeindruckend. Und das mit im Vergleich zu uns beschränkten Möglichkeiten.“
„8. Praal, 189. Zyklus, Phase 321: Mir sind ein paar Artikel eines gewissen Dr. Meglor. Er hat einen ziemlich zweifelhaf-ten Ruf, aber seine Ansätze in der Gentechnologie sind phänomenal. Ich werde ver-suchen, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Vielleicht ist das das Mosaiksteinchen, dass unsere bisherigen Teilergebnisse zu einem Bild abrundet.“
„Er ist immer noch bei den Forschungsarbeiten?“, fragte Ebbersmann. „Und Sie glauben wirklich, dass er der Auslöser für diese Katastrophe war? Ich kann das kaum glauben. Er scheint eher ein leidenschaftlicher Forscher zu sein, der ein Ziel unbedingt erreichen will. „Das sind oft die fanatischsten.“, entgegnete Dr. Lazarus. „Es gibt da viele Beispiele, die ich aufzählen könnte…“ „Danke, das ist nicht nötig.“, entgegnete der Captain schnell. Er wandte sich an Yadeel. „Haben Sie etwas herausgefunden? Geben die übrigen Daten Aufschluss darüber, was geschehen ist?“ „Nein, Sir. Die Daten sind vor allem Beschreibungen von endlosen Forschungsreihen der Station. Auswirkungen der Schwerelosigkeit, Sozialverhalten irgendwelcher Tiere und so weiter.“ „Hmm, was sagen die Sonden, die Sie zum Planeten geschickt haben?“, fragte Ebbersmann weiter. „Die haben nur das gezeigt, was wir erwartet haben. Sämtliches Leben wurde ausgelöscht. Der Planet ist für Jahrhunderte unbewohnbar. Aber es findet sich kein Hinweis auf die Ursache dieser Auslöschung.“ „Also gut. Dieser Professor scheint die einzige Spur zu sein, die wir noch haben. Machen Sie weiter und geben Sie mir Bescheid.“
„8. Praal, 189. Zyklus, Phase 398: Ich habe Dr. Meglor getroffen und habe ihm von meinem Projekt erzählt. Anfangs war er skeptisch. Als ich ihm aber ein paar Ergebnisse der verschiedenen Bereiche gezeigt habe, sah er sofort das Potenzial, das darin besteht. Wir haben uns lange Zeit über mögliche Kombinationen und Weiterentwicklungen unterhalten. Er will Mitglied meines Teams werden. Gleich morgen kommt er vorbei und informiert sich über unseren Stand. Seine Arbeit ist deutlich weiter, als die Artikel bislang zeigen. Ich glaube, er wird uns ein großes Stück voranbringen. Ich bin das erste Mal seit längerer Zeit wieder optimistisch.“
„Haben Sie irgendwelche Unterlagen von diesem Meglor gefunden?“, fragte Dr. Maddigan. „Es würde mich ja schon interessieren, in welcher Richtung er unterwegs war.“ „Nein, leider noch nicht. Aber der Computer arbeitet an den letzten Dateien. Ich bin gespannt, wohin das noch führt.“
„8. Praal, 190. Zyklus, Phase 354 Es ist uns gelungen, die Arbeiten von Dr. Salinor mithilfe von De. Meglors Gentechnologie zu verfeinern. Erste Versuche mit Mäusen zeigen interessante Ergebnisse. Noch bin ich aber damit nicht zufrieden. Wir müssen noch einiges verbessern. Die Zahl der Mäuse, die abnorme Verhaltensweisen aufzeigen, ist noch zu hoch. Wir müssen hier noch mehr forschen und bessere Methoden entwickeln. Aber nichtsdes-totrotz sehe ich gute Fortschritte.“
„8. Praal, 191. Zyklus, Phase 199: Heute ist der zehnte Geburtstag meiner Tochter. Ich habe leider nicht viel Zeit, ihn mit ihr zu verbringen. Ich werde den ganzen Tag im Labor sein und an einer Lösung für meine Tochter arbeiten. Das soll mein Geschenk an sie werden.“
„Sie hatten Recht. Er wird fanatisch. Er sieht nur noch seine Arbeit. Ob wir uns der Ursache nähern?“ „Ich hoffe es. So langsam bekomme ich Kopfschmerzen von den vielen Theorien, die hier aufgestellt werden. Dieser Mann scheint wirklich ein Allround-Genie gewesen zu sein.“
„8. Praal, 192. Zyklus, Phase 384: Wir haben einen Durchbruch geschafft. Wir konnten eine Methode entwickeln, eine Maus und einen Hund so genetisch zu verändern und zu erweitern, dass wir ihnen über spezielle Sender Gefühle übertragen konnten. Es ist sensationell. Ich fühle, dass wir kurz davor stehen, unser Ziel zu erreichen.“
„8. Praal, 193. Zyklus, Phase 199: Heute ist Darosas zwölfter Geburtstag und gleichzeitig ihr großer Tag. Ich habe sie und auch mich seit 25 Phasen mit den Genmittel behandelt. Und es ist wunderbar. Ich spüre ihre Gedanken und ihre Gefühle. So etwas intensives habe ich noch nie erlebt. Darosas Ängste sind wie verschwunden. Ihr sind die Tränen übers Gesicht gelaufen, als sie mich dann erste Mal emotional sehen konnte. Mir fällt kein anderer Begriff dafür ein. Ich bin so glücklich. Mein Team will heute noch unbedingt feiern, aber ich werde den Abend bei meiner Tochter verbringen. Aber morgen muss ich unbedingt weiterarbeiten. Ich muss das Projekt sauber abschließen.“
„Wir sind gerade posthume Zeugen eines phänomenalen wissenschaftlichen Experiments geworden. Er hat seiner Tochter und sich empathische Fähigkeiten gegeben. Sowas habe ich noch nie gehört. Er war tatsächlich ein Genie.“, stellte Dr. Maddigan bewundernd fest. „Ja, aber er kennt trotzdem kein Ende. Ich glaube, wir sind auf der richtigen Spur.“
„8. Praal, 194. Zyklus, Phase 222: Unsere Verbindung wird immer enger. Ich kann sie jetzt überall spüren, sogar wenn wir nicht im selben Raum sind. Es ist fantastisch. Sie blüht regelrecht auf. Das war das Geschenk, das ich ihr immer machen wollte. Leider gibt es eine unschöne Nachricht. Die feindlichen Truppen der Trosi sind auf dem Vormarsch zu uns. Ich werde morgen mit meiner Forschungsarbeit auf der Raumstation fortfahren. Dr. Salima hat mir und Darosa einen Platz besorgen können.“
„8. Praal, 194. Zyklus, Phase 231: Die Trosi sind in unsere Hauptstadt eingefallen. Es gibt unzählige Tote und Verletzte. Dieser Krieg ist schrecklich. Warum können die nicht einfach ein wenig Mitgefühl zeigen?“
„8. Praal, 194. Zyklus, Phase 234: Ich habe einen Plan ausgearbeitet und werde ihn heute verwirklichen. Ich werde das Genmittel in hoher Dosis in der Atmosphäre und im Trinkwasser verbreiten. Sie sollen alle spüren, was Darosa und ich fühlen können. Das wird die Geschichte der Allegoraner von Grund auf verändern. Wir werden in eine Phase des Friedens eintre-ten, den niemand für möglich gehalten hat.“
„8. Praal, 194. Zyklus, Phase 274: Es läuft alles schief. Das Mittel hat genauso gewirkt, wie ich es mir gedacht habe. Aber die Folgen sind gänzlich anders. Diplomaten und Politiker können ihr Spiel nicht mehr spielen. Jeder weiß genau, was der andere fühlt und denkt. Dies hat zu Spannungen geführt, da freundliche Worte nicht mehr das verdecken konnten, was die Leute wirklich dachten. Außerdem werden die Erwachsenen verrückt. Die Vielzahl an Gefühlen und Stimmen sind scheinbar zu viel für sie. Bei den Kindern läuft es viel besser. Aber sie haben Angst wegen der Erwachsenen, die sich für sie seltsam und verstörend verhalten. Es sind Unruhen ausgebrochen. Es hat genau den entgegengesetzten Effekt, wie ich gewollt habe. Darosa empfindet alles mit, was unten passiert. Sie ist sehr stark im Empfangen. Und auch ihr Sendevermögen ist enorm gewachsen. Sie spürt alles und reagiert verängs-tigt und zornig. Ich mache mir Sorgen. Sie lässt sich manchmal nur schlecht beruhigen.“
„Was haben Sie herausgefunden?“, fragte der Captain. „Wir wissen jetzt, wie es zu dem Unglück gekommen ist.“, meinte Dr. Lazarus und fasste kurz zusammen, was sie in den letzten Tagen herausgefunden hatten. „Die empathischen Fähigkeiten des Mädchens wurden immer stärker. Sie war wie ein Verstärker, der jede Gefühlsregung zigfach zurückgeworfen hat. Das hat die Allegoraner schließlich in den Wahnsinn getrieben, der in diese totale Zerstörung mündete. Durch die gewollte gute Tat hat sich die totale Vernichtung entwickelt.“, ergänzte Dr. Maddigan schließlich. „Dann wäre dieses Rätsel auch gelüftet. Aber was ist mit meinen Leuten? Wieso reagieren sie so darauf?“ „Das Mädchen. Es ist in einer Art Stasis, die aber äußerst unzureichend ist. Der Doktor hatte gehofft, damit das Unheil noch abwenden zu können. Aber es war zu spät. Wir müssen dieses Schiff aus der Reichweite des Mädchens bringen, dann dürfte sich ihr Zustand wieder normalisieren.“ „Aber wir können das Mädchen nicht hier zurücklassen. Wahrscheinlich reagiert es auf uns verängstigt. Wir dürfen es nicht alleine lassen.“, meinte der Counselor sofort. „Nein, natürlich nicht. Aber wir können unsere Leute nicht so vor sich hinvegetieren lassen.“, rief Sulik empört aus. „Nein, aber ich hätte da einen Vorschlag.“, meinte Counselor Preja lächelnd.
Sternzeit 59.728,4 „Wir haben ein Schiff von Betazed gerufen, das das Mädchen bei sich aufgenommen hat und ihm zeigt, wie es seine neuen Fähigkeiten einsetzen kann und sich auch vor den vielen Gefühlen schützen kann. Ich denke, es ist eine gute Lösung. Betazed wird eine gute neue Heimat sein. Unseren Piloten geht es wieder gut. Dr. Maddigan hatte Recht. Durch die Abwesen-heit des Mädchens verschwanden auch die Symptome. Aber die beiden sind noch in psychologischer Betreuung. Sie werden wohl noch einige Zeit benötigen, die Erleb-nisse zu verarbeiten. Captain Ebbersmann Ende!“