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Sisyphusarbeit
Autor: Mark de Boer

„Was soll das heißen – Sie haben nichts gefunden?“ Captain Andersson wiederholte ungläubig die Worte von Elisheba Krann. Wie einige Tage zuvor nahm die Aenar auch dieses Mal an der geheimen Sitzung teil. Nach Rücksprache mit dem Ermittlerteam waren alle der Meinung, mit dem neuen XO zunächst keine zusätzliche, unbekannte Variable in die Gleichung zu bringen. Auch wenn er einen tadellosen Ruf besaß, sollte diese Ermittlung nicht noch mehr Personen bekannt werden. Also hatte der Captain mit verschiedenen Tricks dafür gesorgt, dass die junge Frau bis zum offiziellen Stapellauf weiterhin an Bord der USS Katana bleiben konnte. Sollten sie bis dahin die Mission noch nicht beendet haben können, blieben ihr noch einige Tage Urlaub, den sie anträte, bevor sie dann endgültig die Ausbildung an der Sternenflottenakademie würde antreten müssen. Nun sah der Captain die junge Frau an. Der Testflug hatte mehrere Stunden gedauert. Zeit genug, um ein möglichst genaues Bild von der Phalanx zu bekommen. Nachdem sie kurz nach Mitternacht zur Station zurückgekehrt waren, hatten sich seine Frau, Dr. Dalen Lazarus und Elisheba Krann zur Datenanalyse zurückgezogen. Garrick hatte fest damit gerechnet, einen großen Fortschritt zu erzielen, und nun sollten sie nichts in der Hand haben? Nichts?

„Nun ja, nichts ist vielleicht übertrieben.“, entgegnete Dr. Lazarus. „Wir haben ein kleines Gerät an der Phalanx gefunden, aber soweit wir das beurteilen können, tut es nicht das, was wir erwartet haben.“ „Klären Sie mich bitte auf.“, forderte der Captain nun seinen leitenden Wissenschaftsoffizier auf, während er wieder in seinem Sessel Platz nahm. Ihm war gar nicht bewusst gewesen, dass er aufgesprungen war. Dr. Lazarus nahm diese Einladung gerne auf und ging an den Bildschirm. Er betätigte einige Tasten an dem Terminal, und ein kleines Gerät wurde angezeigt. Zahlenkolonnen und weitere grafische Details wurden rechts daneben angezeigt. „Dieses kleine Gerät verhindert nicht, dass die Phalanx Raumschiffe entdeckt, die das Wurmloch passieren. Nein, dieses Gerät veranlasst die Phalanx dazu, intensive Scans der verschiedenen Universen durch das Wurmloch durchzuführen. Anschließend werden diese Daten per Subraum verschickt. Die Unregelmäßigkeiten in den Protokollen rühren von dem Versuch, sowohl diese Scans als auch die Datenübertragung geheim zu halten. Soweit wir feststellen konnten, wurden sogar falsche Sensorergebnisse erzeugt, um die verringerten Menge an Sensordaten gegenüber den rechtmäßigen Empfängern zu verschleiern. Sehr geschickt gemacht, muss ich sagen.“ Er nickte leicht, während er dieses Kompliment an Unbekannt machte. „Das erklärt auch, wozu sie immer noch Sternenflottenangehörige ansprechen. Wir hatten uns schon insgeheim gefragt, wozu wir benötigt werden, wenn sie tatsächlich unentdeckt durch das Wurmloch fliegen können.“, ergänzte Lew. „Ja, das ergibt Sinn. Sie scannen die anderen Universen durch das Wurmloch. Aber das ergibt natürlich nur ein sehr rudimentäres Bild.“, bestätigte Seeta. „Was können Sie uns über die Empfänger der Daten sagen, Doktor?“, fragte Andersson und verbesserte sich sogleich: „Der unrechtmäßigen Daten, natürlich.“ „Die Daten werden verschlüsselt und an eine uns unbekannte Adresse geschickt. Bisher ist es uns noch nicht gelungen, die Art der Daten und den Empfänger zu entschlüsseln. Hierzu wird wohl eine detailliertere Analyse des Gerät notwendig sein.“ „Ohne Ihrer Entscheidung zuvorkommen zu wollen, Captain, befürchte ich, dass die offizielle Entdeckung des Geräts und die Unterbrechung des Datenstroms unseren Gegner aufschrecken würden, so dass er für immer verschwindet.“, schaltete sich McBride in das Gespräch ein. „Ich würde vorschlagen, Commander Yadeel und Dr. Lazarus versuchen zunächst ihr Glück weiterhin mit den bisherigen Daten über das Gerät, bevor wir den Schmugglern offenbaren, dass wir ihr kleines Geheimnis entdeckt haben.“

Andersson überlegte. Einerseits wäre ihm nichts lieber, als diese Mission endlich abzuschließen. Ihm lag dieses Räuber-und-Gendarmen-Spiel nicht. Er mochte es als Kind schon nicht. Und jetzt, mit all seinen so viel komplizierteren Regeln, erst recht nicht. Und für einen Moment juckte es ihm in den Fingern, den Schmugglern offen zu zeigen, dass sie ihnen auf den Fersen waren, so dass diese für immer aus dem Gemini-System verschwanden. Aber dieser Moment verschwand. Ihm war klar, dass sie eine günstige Gelegenheit hatten, die wirklichen Hintermänner zu erwischen und nicht irgendwelche Handlanger, die keine Ahnung hatten und somit keinen echten Erfolg darstellten. Trotzdem entfuhr ihm ein tiefer Seufzer, als er seine Frau fragte: „Seeta, wie lange dauert eine ausführliche Analyse der Daten, wie sie aktuell vorliegen?“ Die Zandarianerin zog die Stirn kraus und sagte nach reiflicher Überlegung: „Was wir bisher herausgefunden haben, zeigt, dass dies die Arbeit von Profis ist. Ich meine damit nicht, dass die ganz gut sind, sondern das sind echte Profis. Wir werden unser möglichstes tun, aber ich kann nicht versprechen, dass wir etwas herausfinden.“ Sie ließ eine dramatische Pause, bevor sie tief ein- und wieder ausatmete und dann fortfuhr: „Auch wenn ich es hasse, das zu sagen, aber vielleicht wäre es eine Alternative, Toreen zu fragen. Immerhin ist er ein Experte darin, Dinge geheim zu halten. Vielleicht kennt er dieses Gerät.“ „Nach all deinen Erfahrungen mit diesem Mann wundert es mich doch sehr, dass du ihn ins Spiel bringst.“, erwiderte ihr Mann ruhig, ohne sie aus den Augen zu lassen. „Und nach all den Erfahrungen, die ich mit ihm gemacht habe, möchte ich ihn nicht in diese Mission einweihen. Es wundert mich ohnehin, dass er noch nichts bemerkt hat. Falls das wirklich so sein sollte…“ Lieutenant Commander Ramirez hatte während der ganzen Besprechung bisher ungewohnt ruhig zugehört. Er blickte auf den Monitor und schien gedanklich abwesend. Dann aber meldete er sich zu Wort. „Captain, darf ich mir die Daten über das Gerät einmal genauer ansehen?“ Verwunderte Blicke vereinten sich auf den Spanier, der sich zu einer Erklärung genötigt sah. „Ich werde bei der Entschlüsselung sicher nicht behilflich sein können. Das ist ein Gebiet, auf dem ich mich nicht auskenne. Aber ich kann versuchen, etwas über das Gerät selbst herauszufinden. Vielleicht finde ich dort eine Spur.“ „Eine ausgezeichnete Idee.“, bestärkte ihn Savarro anerkennend, und auch Andersson nickte. „Machen Sie das so. Mehr bleibt uns wohl vorerst nicht zu tun oder hat irgendjemand noch weitere Neuigkeiten?“

„Ja, Captain.“, meldete sich Mark de Boer zu Wort. Er hatte sich im Vorfeld noch eine Weile mit seinem Freund Lew gestritten, wie und was sie den Ermittlern und dem Captain sagen sollten und konnten. Letztendlich waren sie überein gekommen, die Schlägerei auszuklammern und nur das Gespräch mit Viviane zu erwähnen. „Sir, diese Frau, diese Viviane, ist wieder mit uns in Kontakt getreten. Die Umstände waren … günstig, so dass sie diesmal deutlich klarer in ihrem Angebot aufgetreten ist.“ Er blickte kurz zu Lew, der aber keine Miene verzog. „Sie hat uns ziemlich deutlich gesagt, dass sie uns dafür bezahlen würde, dass wir sie mit Gegenständen aus den anderen Universen versorgen. Wir haben ihr gesagt, dass das derzeit nicht möglich sei, weil die Katana noch nicht wieder flugfähig sei. Daraufhin hat sie Informationen über die anderen Universen gefordert. Wir würden diese Gelegenheit gerne wahrnehmen und sie mit minder wichtigen Informationen versorgen. Sie glaubt, uns am Haken zu haben. Wir würden sie jetzt gerne ein wenig ködern.“ „Meine Herren…“, wandte sich Andersson an die beiden Ermittler. „Ich würde sagen, hier haben Sie den Hintermann beziehungsweise die Hinterfrau. Wenn Sie sie festnehmen, werden Sie sicher einige interessante Informationen von ihr erhalten können.“ „Captain.“, widersprach Lew. „Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass sie die treibende Kraft dahinter ist. Sicher, sie hat bestimmt schon einen gehobenen Rang innerhalb dieser Schmugglerbande, aber ich glaube nicht, dass sie die notwendige Härte hätte, um sich an die Spitze zu setzen.“ „Das sehe ich genauso.“, pflichtete ihm sein Freund bei. „Diese Frau ist eher für die Kontaktaufnahme oder Abwicklung zuständig. Sie hat zu viel Stil für die Drecksarbeit. Ich glaube, dass hinter ihr mindestens ein Mann steckt, der der wahre Boss ist und der für ihren Schutz sorgt. Ich glaube, über Viviane kommen wir an ihn heran.“ „Ja, Ihre letzten Schilderungen legen den Verdacht nahe, dass es sich nicht nur um eine kleine Schmugglerbande handelt. Ich könnte mir sogar gut vorstellen, dass wir es hier mit Schmuggel im großen Stil zu tun haben. Sie haben eine Kontaktperson in ihren Reihen, die genug Stil, Benehmen und Wissen besitzt, um auch in höheren Kreisen zu verkehren.“ Savarro wandte sich den beiden Piloten zu. „Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, wundert es mich schon, dass sich diese Viviane an Sie beide gewandt hat. Offenbar vermutet man in den mittleren Kommandorängen derzeit mehr Erfolg als in den gehobenen Kommandoebenen. Ich würde empfehlen, einen Datenkristall mit einigen interessanten Informationen über eines der Universen zu erstellen, der ihren Appetit weckt. Dies könnte ein wirklicher Durchbruch werden.“

Captain Andersson schwirrte der Kopf. Das waren alles zu viele Informationen auf einmal nach dieser viel zu kurzen Nacht, in der Luma Erika ihn erfolgreich wach gehalten hatte, nachdem sie schlimme Albträume gehabt hatte. Am liebsten hätte er jetzt alle aus dem Besprechungszimmer gejagt und sich dann für zwei Stunden aufs Sofa schlafen gelegt. So sah er ein wenig hilflos seine ehemalige XO an. „Lieutenant Commander Krann, was denken Sie darüber?“ „Ich würde sagen, wir gehen auf drei Ebenen vor: Wir analysieren dieses Gerät und die Daten, wir untersuchen die Herkunft dieses Geräts und nutzen die Undercover-Kontakte, die sich jetzt so langsam bilden. Gerade letztere können wir nicht wieder etablieren, wenn wir hier zu voreilig vorgehen. Mit Ihrer Erlaubnis stelle ich interessante, aber letztlich harmlose Daten zusammen. Ich würde das Universum mit den Androiden und den Robotern vorschlagen. Das mit diesem Kampfschiff auf der Flucht.“ „Der Galactica… Ja, das klingt gut. Dort ist auch nicht viel zu holen. Es gibt dort wenige Zivilisationen, denen die Schmuggler wirklich schaden könnten. Dafür ist dort alles zu weit verstreut. Machen Sie es so.“

Nachdem sich niemand mehr zu Wort gemeldet hatte, löste Captain Andersson die Runde auf. Savarro trat auf den Sicherheitschef der Katana zu. „Sehr gute Arbeit, Mister Ramirez. Man merkt Ihnen an, dass Ihnen diese Arbeit liegt. Machen Sie weiter so. Ihr Vorschlag könnte uns an anderer Front einen großen Schritt voranbringen.“ Ramirez sah den Ermittler etwas irritiert an. „Danke…“


61955.8 (14.12.2384, 21:23 Uhr)

Ramirez rieb sich den völlig verspannten Nacken. Seit Stunden hatte er auf den Bildschirm gestarrt, hatte Spezifikationen gelesen und Daten analysiert, ohne auch nur einen Schritt vorangekommen zu sein. Er bemerkte, dass sein Blick zu verschwimmen begann und die Buchstaben vor seinen Augen tanzten. Er schloss die Augen und versuchte, seine verkrampften Muskeln zu entspannen. Der Erfolg war, dass sein Magen sich laut knurrend bemerkbar machte. Ramirez seufzte tief und ging zum Replikator. Während er seine Gazpacho löffelte, ließ er seine Gedanken wandern. Vor genau vier Jahren war er an Bord der USS Katana gekommen. Und seit vierzehn Jahren war er nun im Sicherheitsbereich tätig. Ein interessanter Job. Es entsprach seinem Naturell. Aber dennoch fühlte er sich seit einiger Zeit nicht mehr so zufrieden mit seiner Arbeit. Es waren zu viele Veränderungen in letzter Zeit geschehen. Zu viele Wechsel, auch – oder vor allem – in den Führungsebenen. Und durch die vollständige Reparatur des Schiffs musste er auch noch das ständige Kommen und Gehen von Mechanikern, Servicemitarbeitern und anderem Personal überwachen, das eigentlich nicht zum Schiff gehörte. Das erschwerte seine Arbeit. So langsam stand ihm der Sinn aber nach mehr Konstanz. Es wurde Zeit, dass das Schiff wieder auf Missionen ging. „Dazu muss aber erstmal diese Diebesbande hinter Gitter.“, murmelte er leise. „Und glaubt mir: Ich werde euch aufspüren!“ Mit einem teuflischen Grinsen setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch. Diese Jagd nach den Schmugglern machte ihm irgendwie auch Spaß. Das Wühlen nach Hinweisen, wo andere nichts sahen, das war sein Ding. Und auch die Zusammenarbeit mit den beiden Ermittlern gestaltete sich sehr viel angenehmer als er gedacht hatte. Er mochte ihre akribische Art, ihr stringentes Vorgehen und ihr Durchhaltevermögen. Er war froh, dass auch andere Menschen seine Art zu arbeiten teilten. Mit frischer Energie machte er sich ans Werk. Er wollte diesmal etwas anders vorgehen als zuvor. Er aktivierte sein Hologramm-Display. „Computer, lege mir das unbekannte Gerät auf dieses Display. Keine Daten oder Erläuterungen, nur das Gerät.“ Es dauerte keine Sekunde, und das Gerät wurde wie gefordert angezeigt. Manoel besah es sich von allen Seiten, vergrößerte mal dieses, mal jenes Detail und machte sich Notizen in sein Büchlein – ein kleines PADD, das er zum Abschluss der Sternenflottenakademie von seiner Schwester Conchita geschenkt bekommen hatte.

Er blickte konzentriert auf die Darstellung des Geräts, als wollte er sie zwingen, die Geheimnisse, die ihm innewohnten, zu offenbaren. Nach einiger Zeit trat er einen Schritt zurück. „Computer, gibt es Daten über das Innere des unbekannten Geräts.“ „Positiv.“ „Sehr gut. Computer, zerlege das unbekannte Gerät in seine Einzelteile und zeige mir die Einzelteile auf diesem Display.“ „Daten unvollständig. Befehl nicht ausführbar.“ „Computer, können die fehlenden Daten interpoliert werden?“ „Positiv.“ „Wie groß ist die Unsicherheit bei den interpolierten Daten?“ „Sie liegen bei 11,37 %.“ Ramirez überlegte kurz. Dieser Wert war nicht gerade berauschend, aber dem Spanier blieb ohnehin keine echte Wahl. „Computer, zerlege das unbekannte Gerät in seine Einzelteile und zeige mir diese auf dem Display an. Fehlende Daten dafür interpolieren.“ Nach ein paar Sekunden erschienen viele verschiedene Teile auf seinem Display. Er machte sich daran, diese nach einem ihm eigenen Muster zu kleinen virtuellen Häufchen zu sortieren. Dann nahm er sich das erste Häufchen vor. Er besah sich die Teile von allen Seiten, zoomte mal hinein, mal hinaus, ohne selbst zu wissen, wonach er eigentlich genau suchte. Schließlich schüttelte er den Kopf und schob den gesamten Stapel zur Seite. Er nahm sich den zweiten Stapel, und wieder folgte er der gleichen Prozedur. Das Ergebnis war wieder negativ. Ebenso die Untersuchung des dritten und des vierten Stapel.

Am Ende blieb Ramirez nur der kleine Stapel mit den elektronischen Bauteilen. Er verstand nahezu nichts davon, wozu diese kleinen Dinge fähig waren und wozu sie benötigt wurden, aber darauf kam es ihm auch gar nicht an. Er besah sich jedes noch so kleine Teil und drehte und wendete es. Schließlich hielt er inne. Er vergrößerte das aktuelle Bauteil so weit, dass es fast so groß wie sein Kopf war. Er beugte sich vor und kniff die Augen zusammen. Dann trat er einen Schritt zurück und legte den Kopf schief. Dann fing er an, breit zu grinsen. Er markierte einen Bereich an dem Bauteil. „Computer, ist der markierte Bereich interpoliert oder handelt es sich um Originaldaten?“ „Der Bereich besteht zu 99,89 % aus originalen Daten.“ „Yessss!“ Er ballte die Faust, bevor er fortfuhr. „Computer, handelt es sich bei den Spuren auf dem Bauteil um Teile eines Fingerabdrucks?“ „Positiv.“ Sein Grinsen wurde noch breiter. „Computer, isoliere den Teilabdruck, entferne alle interpolierten Daten, lege das Ergebnis auf Terminal 2 und speichere es zusätzlich in meinem PADD.“ Er ging zu seinem Terminal, gab einen speziellen Zugriffscode ein und startete die Suche nach dem Besitzer des Abdrucks.


61956.2 (15.12.2384, 00:53 Uhr)

Mark lag im Bett und starrte an die Decke im Dunkeln. Nach der harten Prügelei und den beiden langen Schichten fühlte er jeden Muskel in seinem Körper. Er hatte ein heißes Bad genommen und sogar beruhigenden Kräutertee getrunken. Trotzdem wollte sich der Schlaf nicht einstellen. Seine Gedanken waren zäh wie Sirup, wollten sich aber dennoch nicht beruhigen. Sein Körper schrie nach Schlaf, sein Hirn lief aber immer noch im roten Bereich. Und so lag er nun schon über eine Stunde wach auf dem Rücken. Normalerweise hätte er sich von rechts nach links gedreht, bis sein Körper den Kampf gegen sein Hirn gewann und endlich zur Ruhe kam. Aber heute rührte er sich nicht, um Tessa nicht zu wecken. Stattdessen hatte er angefangen, ihre Atmung zu zählen. 924-mal hatte sie nun schon geatmet, etwa 14-mal pro Minute. In den letzten zwei Minuten war ihre Atmung flacher geworden – ein eindeutiges Zeichen, dass sie wach war, es ihn aber nicht wissen lassen wollte. „Kannst du wieder nicht schlafen?“, brach Tessa schließlich das Schweigen. Nach der Stille der vergangenen Stunde erschien ihm diese Frage beinahe geschrien. Er schüttelte den Kopf, bis ihm klar wurde, dass sie das nicht sehen konnte. ‚So müde… so unendlich müde…‘, ging es ihm durch den Kopf. „Nein.“, brachte er schließlich hervor. Er hörte, wie sie sich zu ihm drehte und auf einen Arm aufstützte. „Was ist los?“, fragte sie. „Hast du wieder Albträume?“ ‚Woher weiß sie denn davon?‘, fragte eine leise Stimme in seinem Kopf. „Nein. Mir gehen tausend Dinge durch den Kopf. Ich kann gerade einfach nicht richtig abschalten.“ Rascheln im Bett. Sie hatte sich aufgerichtet. „Du bist doch sehr viel mit Lew unterwegs in letzter Zeit…“ Mark hörte die Spur von Unsicherheit in ihrer Stimme. ‚Jetzt kommt’s!‘, fuhr es ihm durch den Kopf. „Hat er eine Affäre? Sei ehrlich!“, schoss sie hervor. „Was?“ Mark war total perplex. „Nein. Wie kommst du denn darauf?“ „Und was ist mit dir?“, bohrte sie weiter, ohne auf seine Frage einzugehen. ‚Ka-Tching! Der Kandidat hat hundert Punkte!‘, ertönte die Stimme eines längst verstorbenen Showmasters in seinem Kopf. ‚Ach, halt’s Maul!‘, schimpfte er sich selbst in Gedanken. Er drehte den Kopf in ihre Richtung. „Nein, habe ich nicht. Es gibt keine andere Frau…“ ‚Dann erzähl ihr doch von Annie!‘, forderte ihn eine hässlich giftige Stimme in seinem Inneren auf. ‚Oder von Viviane!‘, ergänzte eine zweite, ebenso abscheuliche Stimme. ‚Oh Mann, ich gehöre echt in die Klapse…‘, dachte er. „Ihr beide seid immer die halbe Nacht weg. Natalie und ich machen uns Sorgen.“ „Das müsst ihr nicht. Alles in Ordnung. Wir arbeiten nur lange und haben viel um die Ohren momentan.“ Ihm kam seine eigene Stimme verräterisch vor. Stille trat ein. Kalt und leer wie das Nichts zwischen den Sternen. Dann spürte er ihre Hand auf seiner Wange. „Wenn irgendwas ist… ich bin immer für dich da.“ Diese zarte Stimme, ihre sanfte Berührung… in diesem Moment seiner totalen Schwäche… zerbrachen den Eispanzer, der sich um sein Herz gelegt hatte. Lautlos liefen ihm die Tränen herunter. Ein Schluchzen entrann schließlich seiner Kehle, der den ganzen Schmerz, der in ihm wohnte, besser ausdrückte, als jedes Wort es gekonnt hätte. „Baby, was ist los?“, fragte Tessa besorgt und drückte ihn an sich. Er klammerte sich an ihr fest und weinte. Weinte die ganzen heißen Tränen, die sich in den letzten Wochen der Albträume angehäuft hatten, aber nicht geweint worden waren. Währenddessen hielt sie ihn fest und streichelte ihm durch das Haar. Irgendwann waren seine Tränen versiegt, aber er hatte sich weiter an sie geklammert, während sie beruhigende Laute geflüstert hatte. Sie fragte nicht, hakte nicht nach, sondern hielt ihn einfach nur fest. Er fühlte sich so ausgelaugt, aber immer noch steckte ein schwerer Kloß in seiner Kehle. Ihr fast schon hypnotischer Singsang beruhigte ihn. Sie küsste ihn auf die Stirn, eine zarte Geste, die ihn zutiefst berührte und sein Herz überfließen ließ. Ein schwerer Seufzer entrann ihm, und schließlich öffnete er sich gänzlich.

Es war jetzt fünf Uhr in der Nacht. Noch immer lag Mark wach im Bett. Er fühlte sich müde und schwer, aber im Gegensatz zum Anfang der Nacht fühlte es sich diesmal gut an. Richtig. Er hatte ihr in den vergangenen Stunden alles erzählt, was ihn bedrückte. Von Annie, von den Albträumen, seinen schlaflosen Nächten, dem Alkohol, dem Missbrauch der Kampfdrogen und auch von der Mission. Es war für ihn ein heiliger Augenblick der totalen Klarheit, die totale Offenheit und Ehrlichkeit verlangte. Und so hatte er ihr alles erzählt und nichts ausgelassen. Tessa hatte ihm zugehört, hatte ihn nicht unterbrochen. Jetzt lag er in ihrem Schoß und fühlte sich wie ein kleines Kind. Dieser Augenblick hatte ihn auseinandergenommen, zerschlagen und zertrümmert und ihn dann wieder neu zusammengesetzt. Eigentlich gab es nur noch eine Angst in ihm: Wie würde sie auf seine Offenheit reagieren? Sie rutschte zu ihm herunter, bis ihr Gesicht ganz nah vor seinem war. Er konnte erkennen, dass auch sie geweint hatte. Still und leise. „Danke, dass du mir das alles erzählt hast. Das bedeutet mir unendlich viel.“ Sie beugte sich vor und nahm sein Gesicht zärtlich in ihre Hände. „Ich liebe dich.“, flüsterte sie und küsste ihn.


61956.5 (15.12.2384, 03:31 Uhr)

Ein Piepen riss den Sicherheitschef der USS Katana aus seinem Schlaf. Irritiert blickte er sich um und musste erst einmal die Umgebung einsortieren. Dann fiel ihm ein, dass er sich auf die kleine Couch gelegt hatte, nachdem er die Suche nach dem Fingerabdruck gestartet hatte. „Der Fingerabdruck!“, entfuhr es ihm. Er schnellte hoch und eilte zum Terminal. Dort wurde ein Name angezeigt. Manoel setzte sich und überflog die Informationen. Die Trefferwahrscheinlichkeit lag bei 98,87 %, und auch von seiner bisherigen „Karriere“ passte er gut ins Bild. Ramirez aktivierte seinen Kommunikator. „Ca…“, dann hielt er inne und schloss den Kanal wieder. Es war mitten in der Nacht. Keine Zeit, in der man seinen Captain wecken wollte oder sollte. Es sei denn, es war äußerst wichtig. Er überlegte kurz. Dann aktivierte er wieder seinen Kommunikator. „Mister McBride, Mister Savarro…“ „McBride hier. Was gibt es denn, Mister Ramirez?“ Die Reaktion hatte keine zwei Sekunden auf sich warten lassen. Seltsamerweise überraschte dies Ramirez weniger als die Tatsache, dass er nicht überrascht war. Stattdessen antwortete Ramirez: „Ich habe eine heiße Spur entdeckt.“

Eine halbe Stunde später saßen die beiden Ermittler und der Sicherheitschef in einem Shuttle auf dem Weg in den Zivilkomplex. Der Spanier hatte ihnen von seiner Entdeckung berichtet. Die beiden Männer waren zutiefst beeindruckt von Manoels Vorgehensweise. „Was können Sie uns über den vermutlichen Täter sagen?“, fragte der Chefermittler schließlich. Ramirez räusperte sich und begann, die vorliegenden Informationen zusammenzufassen. „Hazar Nalas, 2354 geboren auf Bajor während der cardassianischen Besatzungszeit. Er scheint ein äußerst intelligenter Junge gewesen zu sein, dessen Fähigkeiten aber nie richtig gefördert wurden. Also ist er auf die schiefe Bahn geraten. Zuerst kleinere Diebstähle, dann Überfälle und so weiter und so weiter. Irgendwann schloss er sich dem Widerstand an. Er wurde dort zu einem ausgemachten Experten für Bomben, Sprengfallen und Apparaturen aller Art. Verlässliche Informationen aus dieser Zeit sind rar, aber wenn es stimmt, was hier steht, gehen mindestens fünf Anschläge auf sein Konto, bei denen mehrere Dutzend Cardassianer ihr Leben verloren. Er wurde nie erwischt oder dafür bestraft, auch wenn die Cardassianer alles darangesetzt haben, diesen Unbekannten in die Finger zu bekommen.“ Ramirez machte eine kurze Pause und sah die beiden Ermittler an. Beide hörten aufmerksam zu. Also fuhr er fort: „ Nach dem Abzug der Besatzungsarmee wurde es still um ihn. Die Aufzeichnungen sind äußerst lückenhaft. Sporadisch taucht er auf und stellte seine Dienste diversen Gruppierungen zur Verfügung. Bei einer Aktion konnte er verhaftet werden. Daher sind auch seine biometrischen Daten im Computer vorhanden. Er hat eine kurze Haftstrafe verbüßt und ist seitdem nie wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Die letzten Informationen besagen, dass er sich vor einem knappen Jahr auf Gemini-IV niedergelassen hat und mit Kleinwaren aller Art handelt. Was er hier tatsächlich macht, ist uns nicht bekannt.“ „Hmm… Wir sollten auf jeden Fall äußerst vorsichtig sein. Dieser Mann scheint nicht vor Mord zurückzuschrecken. Phaser auf stärkste Betäubung. Kein unnötiges Risiko, keine Heldentaten. Wir benötigen den Mann lebend.“ „Lieutenant Commander. Wir haben das Zielgebiet erreicht, Sir.“, vermeldete der Pilot, ein Mann aus Ramirez‘ Truppe. „Danke, Lieutenant. Scannen Sie dieses Gebiet, wenn wir unten sind. Halten Sie sich bereit, falls es irgendwelche Schwierigkeiten geben sollte.“

Wie geplant waren sie zirka hundert Meter von Hazars Wohnung auf die Oberfläche gebeamt worden. Sie waren auf Nummer sicher gegangen und hatten darauf verzichtet, sich direkt in die Wohnung des Verdächtigen beamen zu lassen. Ramirez, der die meisten Einsätze dieser Art durchgeführt hatte, hatte die Führung übernommen. Sein Tricorder hatte keine versteckten Einrichtungen oder Fallen angezeigt, und so hatten die drei Männer auf sein Zeichen hin das Haus betreten und Raum für Raum nach dem Bajoraner durchsucht, immer auf der Hut vor etwaigen Sicherheitsmaßnahmen. Schließlich hatten sie Hazar im Badezimmer gefunden – im wahrsten Sinne des Wortes mit heruntergelassenen Hosen. Völlig überrascht und widerstandslos hatte er sich festnehmen lassen.


61956.8 (15.12.2384, 06:09 Uhr)

Hazar Nalas saß wütend im Verhörraum und starrte Ramirez und Savarro an. „Was glauben Sie eigentlich, was das hier werden soll? Sie können mich nicht einfach aus meinem Haus verschleppen. Ist das die neue Art, wie die Föderation mit seinen Bürgern umgeht? Was fällt Ihnen eigentlich ein? Ich habe Rechte.“ Savarro griff seelenruhig in seine Tasche und holte ein PADD heraus. „Was können Sie uns über dieses Gerät sagen?“ Er drehte es so, dass Hazar erkennen konnte, was darauf zu sehen war. Für einen kurzen Moment zuckten seine Augenbrauen. „Nichts.“, antwortete er, jedoch war Savarro das verräterische Zeichen nicht entgangen. „Aha, gut für Sie. Denn dieses Gerät ist bei einem Verbrechen benutzt worden.“ „Hey, ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen. Ich bin ein ehrlicher Mann.“ „Das freut mich. Ehrlichkeit ist gut. Ich mag ehrliche Menschen.“ Savarro rutschte ein wenig näher an den Bajoraner heran und nahm das PADD an sich. „Dann hätte ich jetzt gerne eine ehrliche Antwort… Sie behaupten, dieses Gerät noch nie gesehen zu haben. Wir erklären Sie sich dann, dass Ihre Fingerabdrücke auf den Bauteilen sind?“ Er hielt ihm das PADD hin, auf dem nun das Bauteil mit dem Abdruck zu sehen war. „Ich handle mit gebrauchten Elektronik- und Bauteilen. Wahrscheinlich hat irgendeiner das Teil bei mir gekauft und dann eingebaut. Ich habe nichts damit zu tun, was meine Kunden mit den gekauften Teilen anstellen.“ Damit hatte Hazar den wunden Punkt ihrer Argumentation getroffen. Savarro sah Ramirez an. Beide wussten, dass dieser Mann log. Jetzt mussten sie nur noch dafür sorgen, dass er sich verriet. „Mister Hazar. Das glauben Sie doch selbst nicht.“ „Mein Glaube steht hier nicht zur Debatte, aber falls es Sie interessiert, ich glaube an die Propheten! Und bevor Sie mir irgendwelche weiteren Fragen stellen, verlange ich einen Anwalt!“

„Oh, den werden Sie auch benötigen.“, schaltete sich Ramirez ein. Savarro sah ihn für einen Moment irritiert an, konzentrierte sich dann aber auf Hazar. Der saß betont gelangweilt auf seinem Stuhl. „Was wollen Sie damit sagen? Wollen Sie mir drohen?“ „Sie sind Bajoraner…“, ignorierte Ramirez die Fragen. „Ach, das ist Ihnen aufgefallen? Sie sind clever und haben mich überführt. Ich bin Bajoraner. Aber das ist kein Verbrechen oder hat die Föderation sich zu einem rassistischen Reich entwickelt?“ „Bajor ist kein offizielles Mitglied der Föderation. Damit werde ich dem Auslieferungsgesuch der Cardassianer stattgeben müssen – bei Ihrer Vergangenheit sicher kein Vergnügen dort.“ „Die Cardassianer? Es gab eine Generalamnestie der cardassianischen Regierung für alle Bajoraner des Widerstands.“ „Das stimmt zwar, aber nur für Verbrechen gegen Cardassia während der Besatzungszeit. Dies hier fällt aber nicht darunter.“ Hazar Nalas rutschte unruhig umher. „Was haben die Cardassianer damit zu tun?“ „Oh, wussten Sie nicht, dass mit ihrem Gerät eine Sensorphalanx sabotiert wurde, die von Cardassia betrieben wurde?“ „Die Phalanx gehört der Föderation.“ „Zack, erwischt.“, dachte Savarro und bedeutete mit einem angedeuteten Kopfnicken, dass Ramirez weitermachen sollte. „Oh, das ist durchaus korrekt. Sie gehört der Föderation, wird aber gemeinschaftlich mit den Cardassianern betrieben. Und nun hat die dortige Regierung natürlich ein gesteigertes Interesse an dem Saboteur.“ „Ich habe damit aber nichts zu tun!“ „Das werden die cardassianischen Ermittler bei ihren Befragungen sicherlich dann feststellen. Oh, und die Generalamnestie haben die bestimmt auch nicht vergessen.“ Ramirez und Savarro gingen zur Tür. „Halt, warten Sie!“ Die beiden Männer drehten sich um. „Ich will einen Deal. Wenn ich kooperiere und Ihnen alles sagen, was ich weiß, dann werde ich nicht an Cardassia Prime ausgeliefert.“ Ramirez sah den Ermittler an, der ihm unmerklich zuzwinkerte. „Ich denke, dieses Versprechen kann ich Ihnen geben. Das gilt natürlich nur, wenn die Informationen für uns aussagekräftig sind, Mister Hazar. Nun liegt es an Ihnen.“


61957.1 (15.12.2384, 08:47 Uhr)

Manoel Ramirez saß gerade an seinem Bericht der letzten Stunden, den er in der nächsten Sitzung präsentieren wollte, als der Chefermittler eintrat. „Lieutenant Commander, ich wollte Ihnen gratulieren. Das war ausgezeichnete Arbeit. Sowohl die Spurensuche bei dem Gerät als auch die Befragung von Hazar. Der Trick mit der cardassianischen Beteiligung und der Auslieferung an Cardassia war sehr überzeugend.“ „Vielen Dank, Sir. Ich muss gestehen, dass es mir auch viel Spaß gemacht hat.“ „Das hat man Ihnen angemerkt. Darum bin ich hier und komme auch gleich zur Sache. Mister Ramirez, hätten Sie Interesse bei uns zu arbeiten? Wie Sie wissen, besteht bei uns gerade großer Bedarf an guten Ermittlern. Und Sie sind dafür wie geschaffen: ehrgeizig, hartnäckig, exakt, ideenreich… Ich glaube, Ihre Talente wären auf einem Schiff vergeudet.“ Ramirez zog die Stirn kraus und lehnte sich zurück. „Nun, Mister Savarro. Ich habe in letzter Zeit tatsächlich öfters über meine Zukunft nachgedacht. Und ich muss gestehen, dass mich Ihr Angebot äußerst reizt. Dennoch muss ich darüber nachdenken. Ich kann jetzt nicht so einfach zusagen.“ „Das müssen Sie auch gar nicht. So wie es aussieht, werden wir wohl noch eine Weile auf der Station sein. Denken Sie einfach nur gründlich über mein Angebot nach.“ Savarro stand auf und ließ den Sicherheitschef in seinem Büro allein. Ramirez sah ihm nach und dachte an seine Worte: ‚…Ihre Talente wären auf einem Schiff vergeudet…‘ Schließlich zuckte er die Schultern und konzentrierte sich wieder auf den Bericht.


61958.5 (15.12.2384, 21:03 Uhr)

Als Mark und Lew das Restaurant betraten, das Viviane ihnen aufgeschrieben hatte, kamen sie sich sofort fehl am Platz vor. Sie hatten sich zwar ordentlich in Schale geworfen, aber allein der Empfangschef schien schon deutlich vornehmer gekleidet zu sein. „Was kann ich für die Herren tun?“, war demnach auch sein gerade noch freundlicher Tonfall. „Miss Viviane erwartet uns.“, antwortete Mark schnell, bevor sich Lew womöglich noch über das herablassende Benehmen aufregen konnte. „Sehr wohl. Man wird Sie an Ihren Tisch begleiten.“ Ein Mann, der sowohl Kellner als auch Türsteher hätte sein können, erschien und führte die beiden Piloten durch das kleine Restaurant. Mark versuchte, ein paar Blicke auf die anderen Gäste zu erhaschen, aber der Raum war geschickt in kleine Nischen geteilt, in die man nicht einfach hineinsehen konnte. Ab und zu sah Mark grimmig dreinblickende Männer an den Nischen stehen. Offenbar Leibwächter oder ähnliches. „Die Gäste dieses Restaurants achten scheinbar sehr auf ihre Privatsphäre.“, flüsterte er Lew zu. „Allerdings.“, antwortete der Kellner, der sie zum Tisch führte. „Bitte warten Sie einen Moment.“

Sie waren an einer Nische angelangt, in der Viviane mit einem anderen Mann saß. Viviane war äußerst elegant gekleidet, in einem Kleid, das gerade so viel zeigte, um die Fantasie anzuregen, ohne dabei aber schlampig zu wirken. Der Mann passte so rein gar nicht zu ihr. Er war schmal, blass und irgendwie eingeschüchtert. „Das ist wohl nicht der Kopf der Organisation.“, murmelte Lew enttäuscht. Der Kellner ging zu Viviane und beugte sich vor. Kurze Zeit später kam er zurück und geleitete Mark und Lew zum Tisch. Viviane stand auf und begrüßte die beiden. „Es freut mich, dass Sie es einrichten konnten, vorbeizuschauen. Setzen Sie sich doch bitte. Heute gibt es Steak. Ich kann es Ihnen nur wärmstens ans Herz legen. Es ist ein Gedicht.“ Es folgte ein Smalltalk, der nur kurz vom Kellner unterbrochen wurde, als er die Getränke brachte und die Essenswünsche aufnahm.

Mark war sich noch nicht im Klaren darüber, was für eine Rolle dieser andere Mann spielte. Er fühlte sich offensichtlich noch deplatzierter als die beiden Piloten und nahm auch nicht am Gespräch teil. Stattdessen beobachtete er die Szenerie intensiv. Als er Mark eine Weile beobachtet hatte, wandte sich der Niederländer direkt an ihn. „Gibt es irgendwelche Unklarheiten oder kann ich in sonstiger Weise helfen?“ Der Mann zuckte zurück, als habe Mark ihn geohrfeigt. „Sie müssen Youri entschuldigen.“, schaltete sich Viviane ein. „Er ist gesellschaftlichen Umgang dieser Art nicht gewohnt. Seine große Stunde schlägt erst später nach dem Essen.“ Nach diesem kleinen Zwischenfall verlief der Abend ereignislos. Die Gespräche verliefen freundlich, aber oberflächlich. Die meiste Zeit bestritten Mark und Viviane Konversation. Lew hatte sich ein wenig zurückgezogen, da er mit den Themen nichts anfangen konnte und auch Smalltalk nicht sonderlich mochte. Aber so konnte er seinerseits die Situation im Auge behalten. Als das Essen kam, erstarb das Gespräch nahezu gänzlich. Schuld daran war eindeutig das Essen. Nachdem Mark das Besteck beiseitegelegt hatte, lehnte er sich zurück. „Sie haben nicht übertrieben, Viviane. Das ist ein sehr gutes Steak. Ich bin froh, ihrem Ratschlag gefolgt zu sein.“ Die junge Frau lächelte: „Danke. Aber dabei ging es hier doch nur um ein Stück Fleisch.“ Mark lächelte zurück: „Ich meine nicht nur das Steak.“ Sie kam nicht zu einer Antwort, da gerade der Kellner an den Tisch trat, um das Geschirr wegzuräumen. Fasziniert beobachtete Mark, wie grazil sich dieser Hüne das ganze Geschirr auf den Arm lud und verschwand. „Das freut mich zu hören, Mark.“, nahm Viviane den Gesprächsfaden wieder auf. „Haben Sie die Daten, um die ich Sie gebeten habe?“ Mark griff in seine Jacke und zog einen Datenkristall heraus. Als er ihn Viviane geben wollte, nickte sie Youri zu. Er nahm den Kristall und legte ihn vor sich auf den Tisch. Dann zog er ein kleines Lesegerät hervor und steckte den Kristall hinein. Gebannt beobachteten ihn die übrigen Personen am Tisch bei dieser Tätigkeit. Youris Blick wurde gläsern. Offensichtlich war er irgendwie mit dem Gerät verbunden. „Youri ist mein Computerexperte.“, erklärte Viviane. „Er liebt technische Spielereien und hat sich ein paar davon implantieren lassen. Er ist sowas wie mein kleiner, persönlicher Borg.“ Sie kicherte mädchenhaft. Mark konnte diesen Vergleich durchaus nachvollziehen. Wahrscheinlich hatte es bei denen auch so begonnen – mit kleinen Verbesserungen hier und ein paar Tunings dort. Nach einiger Zeit klärte sich Youris Blick wieder. „Die Daten sind authentisch. Es ist ein Universum, das wir bisher noch nicht kennen und offenbar hauptsächlich von Menschen und Androiden bewohnt wird. Sie nennen es Galactica-Universum. Die Daten sind sehr interessant, aber leider nur sehr begrenzt.“ Viviane sah Mark fragend an. Er richtete sich auf. „Wir wollten damit unseren guten Willen zeigen, aber nicht gleich unser gesamtes Blatt offenlegen. Man kann nicht vorsichtig genug sein. Wenn Ihnen die Daten zusagen und unser Geschäft zustande kommt, können sie viele Terraquads davon bekommen.“ Viviane nagte kurz an ihrer Unterlippe und schien ein wenig abwesend zu sein. Dann nickte sie, mehr zu sich als zu Mark. „Ich verstehe. Das war vorausschauend gedacht. Ich denke, wir werden noch viel Freude miteinander haben.“ Sie lächelte verführerisch bei diesen Worten. Damit war das geschäftliche Gespräch auch wieder vorbei. Es folgte weiterer Smalltalk. Schließlich stand Viviane auf und lächelte Mark an. „Mark, wenn Sie weitere Daten haben, kommen Sie einfach in Ihre gewohnte Kneipe hier im Zivilkomplex. Ich werde Sie dann aufsuchen.“ Sie nickte Lew zu und verschwand aus der Nische. Youri beeilte sich, ihr zu folgen.

Während Mark und Lew sich auf den Heimweg machten, war Lew sehr still. Schließlich brach er sein Schweigen. „Sag mal, Mark. Du bist schon den ganzen Tag so gut drauf, und heute Abend erst recht. Du hast dich doch nicht etwa in diese Viviane verliebt.“ Mark lachte kurz auf. „Ich kann dich beruhigen. Mir geht es auch so bestens. Ich finde nur, wir haben große Fortschritte gemacht. Wir haben einen Kontakt ausgebaut, ein weiteres Mitglied der Gruppe kennengelernt und ein paar nette Informationen bekommen, die vielleicht ja mal ein Gesamtbild ergeben.“ „Nicht zu vergessen das gute Steak.“, ergänzte Lew grinsend. „Oh ja, mein Freund. Nicht zu vergessen das gute Steak…“