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Der Ernst aller Dinge
Autor: Gregory Tyrone

Es war schon weit nach Mitternacht, als der exzentrische Chefarzt der USS Katana endlich sein Tischdisplay deaktivierte und sich seufzend zurücklehnte. Wie lange hatte er hier jetzt gearbeitet? Die Patientenakten der durch die Sporenwesen getöteten Crewmitglieder waren abgeschlossen, das medizinische Logbuch der Katana aktualisiert und ein ausführlicher Medobericht für die Sternenflotte war versendebereit - gleich am nächsten Morgen würde er per Subraumfunk hinausgehen.

Ein schmerzhaftes Ziehen in seinem rechten Bein erinnerte ihn an sein Handicap, das in den letzten Jahren auf der Delta-Station nicht hatte geheilt werden können, trotz aller Fortschritte in der Medizin blieb er ein Teilzeitkrüppel. Das Patterson-Syndrom raubte ihm viel von seiner Kraft und Greg hasste es noch mehr als alles andere auf der Welt. Mit angestrengtem Blick rieb er das Bein und stieß sich auf seinem Stuhl mit dem anderen Bein etwas vom Tisch ab, um die schmerzende Gliedmaße ausstrecken zu können. Aber war er wirklich mit sich selbst im Reinen, war es nur die Krankheit? Oder hatte diese Krankheit auch ihn zu etwas verändert, was nicht mehr der Greg Tyrone war, der einst beruflichen Erfolg, eine gewisse Anziehungskraft auf Frauen und einen messerscharfen Intellekt gleichermaßen gehabt hatte? Nun gut, der Intellekt und sein medizinischer Sachverstand waren noch da, und durch die Erfahrungen der letzten Jahre fühlte er sich in fachlicher Hinsicht stärker denn je. Wer binnen weniger Monate von ambulanten Kurzbehandlungen kleiner Wehwehchen über Notoperationen von Kriegsverletzungen, medizinische Grenzforschung und geheimdienstliche Zuarbeit bis hin zur Epidemiebekämpfung alles an denkbaren medizinischen Herausforderungen präsentiert bekam und meisterte, konnte so schlecht nicht sein.

Aber irgendwie war da etwas verlorengegangen. Warum sich im Gegensatz zu manch anderem Mann seines Alters eher weniger als mehr Frauen für ihn interessierten, war ihm schleierhaft. Sicherlich übte er eine gewisse Faszination auf seine Umgebung aus, und das nur deshalb, weil er eben so war wie er war - brilliant, aber ex- und egozentrisch. Und was die Art von Angehörigen des vermeintlich schwachen Geschlechts betraf, die sich für ihn interessierte - nun, einen Gewinn stellte keine der Interessentinnen der vergangenen Jahre dar. Ausnahmslos waren es durchgeknallte Schnicksen oder abgehalfterte Frauen mittleren Alters gewesen, die ein Interesse an ihm gezeigt hatten, und das wollte er ja auch nicht. Er wollte weder ein Opfer einer 40-Jährigen mit Torschlusspanik werden, die ihn nur wegen seiner Fortpflanzungsfähigkeit überhaupt ansah, noch wollte er zum Objekt der Begierde irgendeiner zwangsneurotisch oder gar psychotisch belasteten Mittzwanzigerin werden, die ihn mit ihrer Art von Liebe förmlich ersticken würde - egal ob aus Versehen oder vielleicht mit Absicht. Wobei er eigentlich beides ganz gut fände - Fortpflanzung UND Liebe, aber eben nicht ohne Bedingungen. Ach, wäre das Leben doch einfacher.

Angestrengt erhob sich Greg aus seinem Sessel und stützte sich auf seinen Stock. Er hinkte zum Replikator hinüber. "Computer, ein Glas Whisky, Scotch Speyside Single Malt, 18 Jahre, kalt", befahl er und der Computer bestätigte das. Normalerweise wäre da ein Hinweis darauf erklungen, dass der Verzehr alkoholischer Getränke nicht erwünscht sei, aber als Chief Medical Officer hatte man so seine Privilegien. Das gewünschte Getränk materialisierte in einem achteckigen Tumblerglas und Greg nippte einen Schluck davon, bevor er aus seinem Büro in den Behandlungsraum humpelte.

Er besah den Stasebehälter, der die Sporen dieser fremden Lebensform beinhaltete und prüfte die Energieanzeige. Ein Ausfall dieses Behälters, und der Alptraum ginge von vorne los. Aber die Anzeige war in Ordnung, ein Glück. Dann meldete sich eine leise Stimme in Gregs Kopf.

'Was, wenn dieser Behälter nun doch im Transporterpuffer zerlegt würde? Wenn er einfach verschwände? Wäre das wirklich so falsch? Immerhin beinhaltet er einige Mörder. Das Recht des Einen endet da, wo das Recht des Anderen beginnt - und das Recht zu leben ist das fundamentalste Recht, das wir haben. Diese Wesen haben anderen dieses Recht genommen, und man soll sie dafür nicht bestrafen? Es wäre gerecht, dies zu tun. Dass der Captain lieber für Sternenflottenvorschriften als für Gerechtigkeit eintritt, ist eine Schwäche, die niemandem hilft.'

'Aber der Captain hat diese Entscheidung getroffen, die ihm nun mal obliegt', wandte eine andere Stimme in seinem Kopf ein - die Stimme der Vernunft.'Und egal wie andere diesbezüglich fühlen, ob sie das als gerecht ansehen oder nicht: Wenn sie sich über diese Entscheidung hinwegsetzen, ignorieren sie einen wesentlichen Teil dessen, was zu verteidigen sie geschworen haben, nämlich Recht und Gesetz der Flotte. Diese Wesen sind gefährlich, aber das ist auch jedes Raubtier, wenn es sich ein Leben nimmt, um selbst zu überleben. Rechtlich bestraft werden kann ein solches Wesen nicht.'

'Ein Raubtier ist triebgesteuert, alles was es tut, tut es ohne nachzudenken. Diese Wesen hier sind jedoch intelligent', warf die kritische Stimme ein, 'und sie nehmen sich wissentlich ein Leben, suchen nicht einmal nach Auswegen oder Alternativen. Sie töten nicht, sie morden. Sie nehmen einem Wesen das, was es ausmacht und missbrauchen seine Hülle und seine Biofunktionen für den einzigen Zweck, sich selbst fortzupflanzen - und damit wieder ein Leben auszulöschen. Talos IV beispielsweise steht immer noch unter Quarantäne und es ist bei Strafe verboten, sich diesem Planeten auch nur zu nähern, weil die Lebensweise der Wesen dort mit unserer inkompatibel ist und ihr Leben unserem Tod gleichkommt. Lange Zeit war es gar unter Androhung der Todesstrafe verboten, den Raum um Talos zu betreten. Da war die Flotte bereit, drastische Maßnahmen zum Schutz ihrer selbst zu ergreifen, und jetzt soll sie es nicht sein?'

'Gesetze entstehen nicht aus dem Nirwana', erörterte wieder die Vernunft. 'Sie haben einen Grund, sind sinnvoll und sollen einen Ausgleich herstellen, mit dem die überwiegende Masse der Leute, die ihnen unterliegen, leben können. Setzt man sich über diese Gesetze hinweg, und sei es aus einem Beweggrund wie Rache oder dem berühmten 'Auge um Auge', so handelt man ebenfalls aus einem Trieb heraus und ist damit keinen Deut besser als ein Raubtier, auch wenn man als denkendes Wesen die Konsequenzen seines Handelns zu tragen hat. Vielleicht sollten diese Wesen nach den Gesetzen der Sternenflotte be- und eventuell verurteilt werden; wobei sich die Frage stellt, wie das justiziabel stattfinden soll angesichts der Tatsache, dass diese Wesen Wirtskörper benötigen. Es hat noch niemand einen Trill-Symbionten ohne Wirt angeklagt. Da es keinen Weg gibt, den man ethisch oder rechtlich verantworten könnte, wäre der vom Captain gewählte Weg also der salomonischste.'

Nach diesen Gedanken, die Greg binnen weniger Sekunden in seinem Kopf gewälzt hatte, nahm er kopfschüttelnd einen Schluck von seinem Whisky und sah sich um. Die Nachtschwester saß in einer Ecke und las in einem PADD, während die lebenden Patienten tief und fest schliefen. Die Toten waren wenigstens inzwischen ins Leichenschauhaus gebracht worden, so dass sich niemand mehr an ihrem Anblick belasten musste. Tyrone sann über die Möglichkeiten nach, die nun noch blieben. Wie konnte man diesen Wesen ein Leben ermöglichen, ohne damit das von Flottenangehörigen zu gefährden? Es brauchte einen lebenden, funktionstüchtigen Körper ohne Geist. Wo gab es so etwas zu holen?

Komapatienten ohne Aussicht auf ein Erwachen. Kryopatienten, die zu lange eingefroren waren und deren Hirnfunktionen erloschen waren. Beides Möglichkeiten, die zumindest nicht allzu verwerflich waren, wenn man esoterische Weltverbesserer mal außen vor ließ, die meinten, die Seele stürbe erst mit dem biologischen Tod. Wissenschaftlich - also bezogen auf den Geist und die Persönlichkeit eines Lebewesens - war das schon seit Jahrhunderten widerlegt; wurde das Gehirn einige Zeit unterversorgt, war nun mal bei verbleibender biologischer Lebensfähigkeit die Festplatte trotzdem formatiert. Und religiösen Deutungen von 'Seele' hatte Greg noch nie angehangen, der Mensch war ein Produkt aus Fleisch und Blut sowie der Gesamtheit der biochemischen Reaktionen in seinem Cortex und der daran angehängten Nervenbahnen.

Zumindest eine denkbare Möglichkeit. Oder...

Greg ließ beinahe seinen Whisky fallen, als ihm eine Idee kam. Er hatte einige Zeit zuvor in einem Nebensatz eines wissenschaftlichen Aufsatzes über die Regeneration von Persönlichkeit etwas interessantes, aber zu abgefahren klingendes gelesen und damals laut gelacht. Jetzt könnte es vielleicht eine Lösung geben. Eilig stellte er das Whiskyglas auf die Liege neben den Stasebehälter und eilte aus der Krankenstation, so schnell es ging.


Ein wohltuender Schlaf hatte Garrick eingeholt, als er sich einige Stunden zuvor aus der Krankenstation in sein Quartier begeben hatte. Die letzten Tage waren so anstrengend gewesen, dass er am liebsten einen ganzen Tag durchschlafen wollte. Die Übernahme von Crewmitgliedern durch körperlose Wesen, der Fast-Tod seiner Freundin und das Glück, eine Telepathin an Bord gehabt zu haben, die die Gefahr als einzige rechtzeitig erkannt hatte, waren genug Ereignisse für einen ganzen Roman, und das alles binnen weniger Tage.

Unsanft wurde der CO aus der Traumwelt geholt, in der er sich gerade befand, als ein vermehrtes Betätigen des Türsummers seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Seltsamerweise ließ sich Luma-Erika von diesem Gebimmel nicht stören, weswegen Garrick nur in seine Schlafkleidung gehüllt zur Tür schlappte und diese öffnete. Etwas überrascht traf er dort den Chefarzt Dr. Tyrone an, der erst mit dem Betätigen des Summers aufhörte, als ihn der CO entnervt und aus zusammengekniffenen Augen ansah. "Dr. Tyrone, wissen Sie eig-"

"Ich muss mit Ihnen reden", erklärte Tyrone und trat ein, was Garrick nur mit einem leisen, aber empörten "Was fällt Ihnen-" zu quittieren wusste, bevor der Doc wieder das Wort an sich riss, während sich die Tür hinter ihm schloss. "Es ist dringend, Sir, und ich glaube nicht dass Sie in diesem Aufzug auf dem Gang stehen wollen", erklärte Greg und deutete mit dem Stock auf Andersons Schlafgewand. "Also komme ich mal besser rein. Es sei denn, Sie wollen, dass jeder hier an Bord morgen früh weiß, dass..."

Dem Captain, der zu sehr verschlafen war, um sich dieses Angriffs so schnell zu erwehren, blieb nichts übrig, als angestrengt blinzelnd einen Finger auf die Lippen zu legen und den Kopf in Richtung des Kinderbetts zu neigen, woraufhin Greg einen verstehenden Gesichtsausdruck zeigte und die Stimme merklich senkte. "Oh... Okay. Wo war ich? Achja: dass Sie in gestreiften Boxershorts schlafen." Seufzend wies Garrick dem CMO den Weg in sein Arbeitszimmer, wo er die Tür hinter sich schloss und sich auf seinen Sessel setzte, dem gegenüber Tyrone bereits Platz genommen hatte.

"Was wollen Sie, Doc?", fragte Garrick deutlich entnervt und kratzte sich am Hals. Eine Rasur wäre mal wieder vonnöten. "Ich habe mir Gedanken gemacht", erklärte Greg und wurde präziser, bevor Garrick gereizt reagieren konnte. "Über unsere sporigen Freunde auf der Krankenstation. Sie hatten Recht mit der Entscheidung, ihnen die Körper zu nehmen, die sie sich einfach so angeeignet und als Fortpflanzungshilfe erdacht hatten. Das warf aber das Problem auf, wie denn überhaupt irgendwas mit diesen Wesen angestellt werden kann, was nicht einer der Parteien - ihnen oder uns - die Existenzgrundlage nimmt."

"Kommen Sie zum Punkt, Doc", wandte Garrick ein und runzelte die Stirn. Das sollte wichtig sein? "Der Punkt ist", fuhr Greg indes fort, "dass es tatsächlich eine oder gar mehrere Möglichkeiten geben dürfte, diese Wesen mit Körpern auszustatten, ohne dass sie ein Leben dafür auslöschen müssten."

"Ich verstehe nicht, wohin das führt", erklärte der Captain und nahm sich vor, Tyrone gleich hinauszuwerfen, wenn er nicht langsam mal zur Sache kam.

"Ganz einfach, Sir: Wenn diese Wesen einen Körper erhalten könnten, der gewissermaßen niemandem mehr gehört, könnte man sie für die hier begangenen Verbrechen nach Sternenflottengesetzen verurteilen, was in einer Stasekammer nicht möglich ist, da sich Sporen nicht artikulieren können, ganz abgesehen von der Unfähigkeit, sich einen Anwalt zu leisten ohne an diesem gleich eine feindliche Übernahme zu vollziehen", witzelte Greg, was Garrick mit einer bestenfalls als müdes Lächeln zu bezeichnenden Miene kommentierte. "Wenn wir also im Bereich der Sternenflotte Patienten finden könnten, die einer der folgenden Gruppen angehören, könnten wir ethisch gesehen einigermaßen unzweifelhaft eine Lösung für den Konflikt zwischen Recht und Gerechtigkeit finden. Ideal wären Tiefkomapatienten mit erloschenen Gehirnströmen, Kryopatienten - da soll es noch irgendwo welche geben, habe ich gehört, denn die Erkenntnis, dass Kryostase tatsächlich Humbug ist, ist zumindest bei einigen Leuten erst wenige Jahre alt - oder... und jetzt kommt es... ehemalige Borg."

"BITTE?" Garrick war schlagartig wach und glaubte, sich verhört zu haben. Das Borgkollektiv war bereits schon fünf Jahre zuvor zerstört worden, als die Voyager zurückgekehrt war. Und jetzt wollte dieser irre Wissenschaftler noch Borg auftreiben? "Ihnen ist klar, dass die Borg nicht mehr existieren??", fragte er rhetorisch.

"Was, ehrlich? Oh, muss ich verpasst haben", entgegnete Greg sarkastisch. "Ernsthaft, Sir: Ich weiß, dass die Sternenflotte noch Borg-Gefangene hält, die seit der Zerstörung des Kollektivs nur noch vor sich hinvegetieren, da ihnen mit dem Kollektiv jegliche Form von Identität oder Persönlichkeit abhanden gekommen ist. Seven of Nine war eine ziemliche Ausnahme, was die Regeneration einer Persönlichkeit nach dem totalen Verlust derselben angeht. Die Lebewesen, die diese Drohnen einmal waren, sind schon vor Jahren durch die Borg zerstört worden, und alle Versuche der Flotte, diesen geistig toten Lebewesen wieder eine Persönlichkeit zu geben, sind gescheitert. War vor etwa acht Monaten in einer Ausgabe eines großen föderationsweit veröffentlicheten Journals der Psychogenetik enthalten, welches ich zufällig abonniert habe."

"Und was ist an dieser Information derart wichtig, dass Sie mir meinen Schlaf rauben, Doc?", fragte Garrick nochmals. Zugegeben, die Idee klang interessant - aber warum er diese nicht am Tag darauf vorgetragen bekommen konnte, sondern sich zu nächtlicher Stunde damit beschäftigen musste, leuchtete ihm nicht ein.

"Ich habe morgen früh meinen Medobericht bei Starfleet Medical vorzulegen, schließlich ist diese Situation mit den Sporenwesen eine ziemlich außergewöhnliche. Ich könnte sicherlich auch einfach meine persönliche Meinung dort einbringen und meine ganzen soeben erörterten Schlussfolgerungen hineinschreiben, was aber binnen weniger Stunden einen Anruf eines Mitarbeiters des Medizinstabes der Flotte bei Ihnen zur Folge hätte, ob Sie noch alle Tassen im Schrank haben." Eine Kunstpause, dann fuhr Greg fort. "Oder aber ich spreche erstmal mit Ihnen und wir klären, wie weit ich gehen sollte, so dass Sie es noch vertreten können, wodurch Sie dem bösen Medostabmitarbeiter gleich den Wind aus den Segeln nehmen könnten. Denn wenn ich mal ganz unbescheiden kommentieren darf: Die Lösung ist meiner fachlichen Meinung nach gleichermaßen legal UND ethisch vertretbar, wodurch wir auf elegante Weise einen Weg finden, Gerechtigkeit für alle zu erreichen. Und wenn dann ein Ort für diese Wesen gefunden wird - oder aber ein Weg, ihnen ein Weiterleben zu ermöglichen OHNE dass sie dafür Leben auslöschen müssen - dürften wirklich alle Parteien zufrieden sein, auch die Angehörigen von Dr. Cloyne, Ensign Hintz, Ensign Kuntz und so weiter."

Garrick dachte über das Gesagte nach. "Über wieviele gefangene Borg reden wir?"

"Etwa einhundertzwanzig, die von dem durch Captain Janeway eingesetzten Pathogen nicht getötet wurden. Sie stammen aus verschiedenen Operationen und sind durch Starfleet Medical und den Geheimdienst zusammen in einer Einrichtung untergebracht worden. Die Forschung an diesen Borg ist aber wie gesagt seit einiger Zeit am Ende."

"einhundertzwanzig? Damit könnte diese Magter ja einen ganzen Clan bekommen", konstatierte Garrick überrascht und wunderte sich, warum er nichts von so vielen Borg-Gefangenen gehört hatte.

Greg setzte nach. "Das Gute und vielleicht gar pädagogisch Elegante daran ist: Diese Wesen profitieren von den Erinnerungen ihres Wirts. Nun haben Borg keine eigenen Erinnerungen mehr, nur noch Echos des Kollektivs, die natürlich nicht besonders reichhaltig oder auch nur ansatzweise vollständig sind, und verschüttete Erinnerungen des Wirts an die Zeit vor und während der Assimilierung. Und die Borg hatten ja sogar so etwas wie eine Mission beziehungsweise eine Aufgabe; nicht wie diese Lebewesen. Vielleicht lernen die Sporenwesen auf diese Weise ja etwas, wenn sie erkennen wie schlimm es ist, als Person gelöscht und einem anderen Zweck zum willfährigen Instrument gemacht zu werden. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, ihnen so die Vorteile einer zumindest symbiotischen Verbindung zu zeigen und ihnen - so sie es können - einen auch für unseren Bereich akzeptablen Lebensweg zu zeigen. Die Trill gehören ja nun auch schon länger zur Föderation und sind gern gesehene Mitglieder."

Er atmete durch. "Und wenn es nicht klappt und diese Wesen nicht anders können oder wollen - nun, dann sind die Ex-Borg zumindest keine größeren Verluste, wenn man sie verbannt."

Garrick schwieg den Arzt eine Weile an, die Hand in Denkerpose an den Mund gelegt und abwechselnd Tyrone und das Bild hinter ihm an der Wand musternd. Schließlich löste er seine Haltung und beugte sich vor, die gefalteten Hände auf die Tischplatte legend.

"Nun gut, Doc. Die Idee klingt gut, wenn Ihre Schlussfolgerungen alle so richtig sind und es keine vielleicht übersehenen Bedenken gibt. Schreiben Sie Ihren Bericht, mit allen Ideen die Sie mir gerade vorgetragen haben. Ich werde über das Gesagte nachdenken und wenn ein solcher Anruf kommt, rechtfertige ich das, was meiner Ansicht nach zu rechtfertigen ist. Aber es wird sicher Einwände gegen ein solches Vorgehen geben und ich werde vielleicht nicht alle entkräften können. Ich sage es sicherheitshalber ganz deutlich: SIE tragen das Risiko für falsche fachliche Schlussfolgerungen, ich werde Ihnen ausschließlich in meiner Funktion als Captain beispringen können. Also gehen Sie nicht zu weit."

"Würde ich nie tun, Sir", versetzte Greg und erhob sich. "Ach, nochwas-", wandte Garrick ein und Greg hielt inne. "Auch wenn ich jetzt den Zeitdruck verstehe, der Sie hierhergeführt hat... kommen Sie nicht nochmal auf die Idee, mich zu nachtschlafender Zeit einfach rauszuklingeln. Es gibt ein COM-System, das können Sie benutzen um mich anzurufen. Wenn es drängt, nehme ich mir gern die Zeit, aber ich bin nicht Captain dieses Schiffes, damit jeder in meinen Privatbereich reinstolpern kann wann er Lust dazu hat."

Greg nickte, er hatte verstanden. Sich überschwänglich zu entschuldigen war nicht seine Art, und so beließ er es auch jetzt dabei. "Captain...", nickte er Garrick zu und dieser entgegnete ein tonloses "Doc...", bevor der Chefarzt Andersons Quartier verließ.


Garrick rieb sich die Augen, als sich die Quartiertür schloss. "Der hat Nerven", sagte er kopfschüttelnd zu sich selbst, bevor auch er sein Arbeitszimmer verließ und bei seiner Tochter nach dem Rechten sah. Diese schlief passenderweise den Schlaf der Gerechten, und auch Garrick gedachte sich mehr davon zu nehmen. Der kommende Tag würde noch Arbeit mit sich bringen, die sich nicht von selbst erledigte, und es brauchte einen fitten CO, um die wartenden Herausforderungen zu meistern.

Würde er nochmal das Gespräch mit Tyrone suchen? Vermutlich nicht, stellte Garrick für sich fest, als er wieder in seinem Bett lag. Erstens war der Doc in mancherlei Hinsicht ziemlich beratungsresistent, zweitens hatte das, was er fachlich beizutragen hatte, eigentlich immer Hand und Fuß, und drittens gab es wichtigeres als über einen nächtlichen Besuch allzu viele Gedanken zu verlieren.

So gab sich der Captain seinem Schlaf hin und war binnen Sekunden wieder im Land der Träume verschwunden.


"NEIN, ich brauche einfach nur - Sie hören mir nicht zu!", bekam Greg zu Ohren, als er wieder die Krankenstation betrat, um den Medobericht nochmals abzuändern. Ein Offizier - seinen Bewegungen und der Stimmlage nach zu urteilen Lieutenant Sulik - stand gerade der Nachtschwester gegenüber, die eine abwehrend-entschuldigende Pose eingenommen hatte. "Sorry, da müssen Sie Dr. Tyrone fragen... da ist er ja. Dr. Tyrone, Lieutenant Sulik will ein Medikament haben."

"Ah. Selbstdiagnose oder Abhängigkeit?"

"Wie bitte?", entgegnete Sulik. "Naja, meinen Sie besser zu wissen als ein Arzt, was Sie brauchen oder... meinen Sie, etwas ganz dringend zu brauchen, wovon Ihnen jeder Arzt abraten würde?", setzte Greg trocken fragend nach.

Der Lieutenant, sich des sarkastischen Untertons in der Frage bewusst, reagierte leicht gereizt: "Ganz einfach, Doc, ich bin gesundheitlich etwas angeschlagen und hätte gern einfach ein Hypospray dagegen."

"Angeschlagen, mhmm. Nehmen Sie da Platz, ich bin sofort bei Ihnen."

"Ich habe eine Erkältung", schimpfte Sulik, "das weiß ich auch so! Ich will nur..."

"... möglichst schnell wieder fit sein, falls jemand Ihre exquisiten Fähigkeiten als Raumpilot vor 7 Uhr morgens gebrauchen könnte. Schon klar. Aber wenn Sie sich irren, haben Sie ein Quensar-Bronchialfieber, und wenn ich Ihnen dagegen unser Standardmedi gebe, fliegen Sie um 7 Uhr in was ganz anderem ins All - und das ohne jegliche Vitalfunktionen. Ungelenkt, natürlich. Also setzen Sie sich hin und lassen sich untersuchen, oder Sie dürfen Ihre kleine Erkältung die ganzen vier Tage auskosten, die sie dauert."

Der Pilot wusste, wann er am kürzeren Hebel saß, und auch wenn es ihm gegen den Strich ging, nahm er trotzig platz und wartete, bis Greg eine kurze Notiz gemacht hatte, um später nichts zu vergessen.

Schließlich trat er mit einem Tricorder bewaffnet vor den Ukrainer. "So, wo zwickts denn?", fragte er gezielt provokant und der Raumpilot sprang darauf an. "Es _zwickt_ nicht, es _dröhnt_. Kopfschmerzen, Schnupfen, Kratzen im Hals. Erkältung halt. Kann ich jetzt was dagegen haben?"

Greg scannte den Mann mit dem Medotricorder und zuckte entsetzt zusammen. "Oh... mein... GOTT!" entfuhr es ihm und die Schwester sah besorgt drein. Lew wusste nicht, was er davon halten sollte. Trieb der Arzt sein Spielchen mit ihm?

"Was... was ist los?", erkundigte er sich etwas gereizt. Greg sah ihn an, als wäre er eine Leiche. "Sie müssen SCHNELL auf den OP-Tisch! Schwester Rania, bereiten Sie alles vor", wies er die Nachtschwester an, die sofort loseilte.

Lew wurde etwas unsicher. "Was denn? Was ist los, Doc?", fragte er nun etwas beunruhigt.

"Keine Zeit zum Reden", erklärte Tyrone im Vorbeigehen und Lew wusste neben den leichten Kopfschmerzen gar nicht mehr, was er davon halten sollte. "Was ist denn los, Doc? Reden Sie mit mir!"

"Nicht reden. Hier hinlegen", führte Greg den Piloten auf die Medoliege im OP-Raum und tätschelte ihm die Hand.

Was zum Geier sollte er haben? Es war immer eine Erkältung gewesen! Lew verstand die Welt nicht mehr. Völlig verunsichert ließ er über sich ergehen, dass die Schwester ihm ein paar Neural- und Herzfrequenzscanner anklebte und sah zum Doc, der an einem Tisch ein Hypospray vorbereitete. "Was ist, Doc? Ist es so gefährlich? Verdammt nochmal, reden Sie mit mir!"

Offenbar hatte das Verhalten des Arztes doch Wirkung gezeigt, der Pilot war deutlich verunsichert.

"DOC!"

Und dann lächelte Greg. Nicht mitfühlend, sondern eher hintergründig. "Interessant, wie schnell ich Sie dazu bringen kann meinem Urteil mehr Bedeutung beizumessen, nach dieser Last-Man-Standing-Aktion eben. Sie haben eine Erkältung."

"Sehen Sie! Kann ich je-"

"ABER!", unterbrach ihn der Arzt. "Keine gewöhnliche, sondern eine tarellianische Erkältung. Hätte ich Ihnen das Standardpräparat ohne zu checken verabreicht, hätten Sie _nichts_ davon gehabt, nur einen um einige Tage verlängerten Verlauf. Halten Sie also jetzt still und ich kann Ihnen das _passende_ Medikament verabreichen. Achtung, jetzt piekt es..." Damit löste er das Hypospray aus und der Pilot schüttelte seinen Kopf. "Hat nicht wirklich gepiekt, Doc. Aber das tut es nie.."

Greg verzog das Gesicht. "Das Hypospray nicht. Aber Sie dürften gleich einen stetig ansteigenden..."

Als Sulik laut "Au! Verdammt!" schrie und sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Arm rieb, fuhr Greg, der zusammengezuckt war, leiser fort: "... pieksenden Schmerz verspüren, der nach etwa zehn Sekunden wieder abebbt. Normal bei diesem Wirkstoff aber zu kompliziert, um es Ihnen ohne Schwierigkeiten verständlich zu machen. Sie können jetzt gehen", konstatierte der Arzt und trat mit einer einladenden Geste zur Seite.

Lew rieb sich immer noch den Arm und musterte den Doc angestrengt. Was für ein irrer Typ...

Dann ging er und Greg sah ihm verschmitzt lächelnd hinterher.

Die Schwester näherte sich ihm von der Seite. "Doc... das war nicht sehr taktvoll, wenn ich das mal so sagen darf."

"Aber lehrreich", entgegnete Greg und sah sich zufrieden um. War doch noch lustig geworden, der Abend.

Und dann fiel ihm ein, dass er noch etwas zu tun hatte und er seufzte. Ohne ein weiteres Wort zu sagen hinkte er in sein Büro und machte sich an die lästige Arbeit.