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Log 121

From PathfinderWiki

Emotionen
Autor: Garrick Andersson
Autor: Mark de Boer
Autor: Seeta Yadeel

„Persönliches Logbuch Mark de Boer, Sternzeit 58.796,4. Das sind meine letzten Momente hier in der Basis. Gleich werden wir zur USS Katana gebracht, wo morgen unser Dienst beginnt. Mit einer kleinen Träne werde ich die Basis verlassen. Die vergangenen sechs Jahre haben mir sehr gefallen. Nun wird eine neue Zeit anbrechen. Ich bin gespannt, was uns erwartet… de Boer Ende.“

Mark stand in seiner Kabine und packte seine Sachen zusammen. Er betrachtete seine privaten Dinge und wunderte sich, dass er sich in den 19 Jahren, die er nun schon in dieser Zeit lebte, nicht mehr Sachen zugelegt hatte. Aber anfangs hatte er sich fast schon verzweifelt an die Dinge geklammert, die mit ihm die Reise ins 24. Jahrhundert angetreten hatten. Später hatte er sich nur wenig für neue Dinge interessiert. Sein Blick fiel auf das PADD, das der Admiral ihm gegeben hatte. Er nahm es in die Hand und sah sich noch einmal die Pläne für den Feldversuch an. Mit Interesse hatte er sich die Spezifikationen der Spitfire angesehen. Ein sehr schöner Jäger, schnell und wendig – ideal für den Kampf gegen andere Jäger oder kleinere Raumschiffe. Die Azrael hingegen war ein schwer bewaffneter Kampfflieger, der es mit größeren Raumschiffen aufnehmen konnte. Weniger wendig, aber absolut tödlich. Beide Schiffsarten zu kombinieren, ließ auf den ersten Blick im Prinzip nur eine Taktik zu: die Azrael-Fighter brechen zu ihrem primären Ziel durch und bombardieren es, während die Spitfire-Fighter ihnen dabei den Rücken und die Flanken frei halten. Eine alte Taktik, die es auch bereits im zweiten Weltkrieg gegeben hatte. Mark konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Egal wie viel Hightech auch in den Fliegern steckte, an den eigentlichen Regeln des Flugkampfes hatte sich nichts geändert. Aber das kam ihm ja auch zugute. So konnte er mit seiner Kampferfahrung sein fehlendes Technikwissen wieder wettmachen. Dann sah er sich das Profil seines neuen Staffelführers an. Lew Sulik, ein verdammt guter Pilot, der immer wieder Ärger mit seinen Vorgesetzten bekam, aber bedingungslos zu seinem Team stand. Als Mark das Profil las, musste er unweigerlich an einen B-Movie aus dem späten 20. Jahrhundert namens „Top Gun“ denken. „Ich bin echt gespannt, was das wohl gibt. Die zwei Azrael-Fighter sind ja nicht unbedingt das, was dieser Sulik ständig an Verstärkung fordert. Ich bin gespannt, wie er auf einen neuen Maschinentyp reagiert.“, dachte Mark. Der Türsummer riss ihn aus seinen Gedanken. Ein junger Crewman stand vor seiner Kabine. „Lieutenant de Boer, das Transportshuttle steht bereit, Sie zur USS Katana zu bringen. Bitte kommen Sie zum Shuttlehangar.“, meldete er. Mark schnappte sich seine Tasche mit seinen persönlichen Dingen und seine Gitarre, während der Crewman seinen großen Koffer trug und ihn zum Hangar begleitete.


Im Shuttlehangar warteten bereits Natalie Bardal und Kjetil Skorgan. „Wo bleibst du denn? Wir sollten auf der Katana sein, bevor sie den Orbit wieder verlässt!“, lästerte Kjetil. „Komm, lass ihn in Ruhe und hilf mir lieber bei meinen Sachen.“, mischte sich Natalie ein. Sie hatte tatsächlich so viele Koffer dabei, dass Mark sich ernsthaft fragte, was sie alles mit sich herumschleppte. Natalie schien seinen Gedanken erraten zu haben. „Man muss schließlich auf alles vorbereitet sein.“, meinte sie augenzwinkernd. Während die Gepäckstücke im Shuttle verstaut wurden, betrat Captain Fuchida den Hangar. „Ich möchte Ihnen viel Glück und viel Erfolg wünschen. Wie Sie wissen, bin ich skeptisch, was diesen Feldversuch betrifft. Geben Sie Ihr Bestes, um zu zeigen, dass ich mich irre. Ich weiß, was Sie können. Ich weiß, was diese Fighter können. Nun wird es wohl Zeit, es Ihren Gegnern zu zeigen. Noch einmal alles Gute!“ Mit diesen Worten entließ er die drei Kameraden ins Shuttle und verließ den Hangar. Nun dauerte es nur noch wenige Minuten, bis sie auf der Katana ankommen würden. Mark seufzte. Es war ein komisches Gefühl, seine gewohnte Umgebung zu verlassen. Aber er war froh, dass Natalie und Kjetil mit ihm kamen. Sie war die beste Mechanikerin, die er kannte, und er war ein echter Kumpel. Mark und Kjetil kannten sich schon aus der gemeinsamen Dienstzeit auf der USS Salvation. Gemeinsam hatte Sie Gefechte gegen das Dominion ausgetragen und sich mehr als nur einmal gegenseitig vor dem Abschuss bewahrt. Und auch, nachdem sich ihre Wege getrennt hatten, waren sie immer in Kontakt geblieben. Während Mark sich für das Forschungsprojekt entschieden hatte, hatte Kjetil noch zwei Jahre auf einer Raumstation gedient, bevor Mark ihn doch für das Projekt gewinnen konnte. Während Mark schweigend seinen Gedanken nachhing, war Natalie sehr aufgeregt. Für sie war es der erste Dienst auf einem Raumschiff. Sie war in einer Kolonie aufgewachsen und hatte bislang ausschließlich auf Planeten gearbeitet. Für sie stellte die Katana die Chance auf Abenteuer dar. Dementsprechend unruhig war sie. Es verging kein Augenblick, in dem sie nicht nervös vor sich hin plapperte. Kjetil hingegen hatte sich zum Piloten gesetzt und fachsimpelte mit ihm über das Fliegen in dichten Atmosphären. Ihn schien nichts jemals aus der Ruhe bringen zu können. Für einen Kampfpiloten war das eine hervorragende Eigenschaft. Gleichzeitig konnte ihm aber auch nichts die gute Laune verderben. „Wir haben die USS Katana in Sichtweite.“, meldete der Pilot. Sofort klebte Natalie praktisch mit der Nase an der Scheibe. Mark musste bei diesem fast kindlichen Verhalten lächeln. Aber auch er war beeindruckt, wie mächtig und einzigartig dieses Schiff war, auch wenn es derzeit ziemlich mitgenommen wirkte. Die Schäden wiesen auf ein heftiges Gefecht hin. Dennoch war es wirklich geschaffen für diese außergewöhnlichen Missionen, die es bislang überstanden hatte. Die Reise durch andere, parallele Universen – ein verdammt reizvoller Gedanke. Das konnte DIE Gelegenheit für ihn sein, doch noch in seine Zeit zurückzukehren. Zurück zu Annie, zu seinen Eltern und seiner kleinen Schwester. Diese Gedanken behielt er natürlich für sich. Er würde alles tun, um sich diese Chance zu bewahren.


Das Shuttle flog einen eleganten Bogen und näherte sich der USS Katana von achtern. Als es in den Shuttlehangar einflog, standen bereits einige Personen als Empfangskomitee bereit. Gemeinsam verließen die Drei das Shuttle und wurden von zwei Männern und einer Frau empfangen. Einer der beiden Männer sprach sie an: „Lieutenant Skorgan, Lieutenant de Boer, Fähnrich Bardal. Willkommen an Bord der USS Katana. Ich bin Lieutenant Commander Ramirez, der Sicherheitschef dieses Schiffs. Das hier… „, er deutete auf die blonde Frau zu seiner Rechten, „… ist Lieutenant Commander Silverdale, die Schiffscounselor.“ Er deutete nach links auf seinen zweiten Begleiter „Und dies ist Lieutenant Sulik, der Führer der Staffel, in das Ihre Kampfflieger integriert werden. Wenn Sie uns bitte begleiten würden. Captain Ebbersmann erwartet Sie.“

Mark warf einen Blick auf Lieutenant Sulik, seinem neuen Staffelführer. Er trug im Gegensatz zu den anderen beiden keine Uniform, sondern einen Overall. Er schien sich insgesamt in der Situation unwohl zu fühlen. Er war unruhig und versuchte, Mark und Kjetil heimlich zu beobachten. Wie erwartet schien sich Sulik nicht gerade vor Freude zu überschlagen, diese Art von Verstärkung zu bekommen. Mark war gespannt auf das Führungsverhalten dieses Mannes.

Lew Sulik hasste Förmlichkeiten wie diese. Und er hasste es, dass ihn Captain Ebbersmann dazu gezwungen hatte. Es gab so viel zu tun. Die Zielerfassungssensoren der Spitfires mussten wieder einmal justiert werden. Die neuen Azrael-Fighter mussten ja auch irgendwo abgestellt werden. Und nicht zuletzt musste er die existierenden Manöver und Taktiken überarbeiten und an die Fähigkeiten der neuen Fighter anpassen. Stattdessen „durfte“ er Eskorte spielen. Viel lieber hätte er die Neuen nach dem Gespräch beim Captain im Hangar empfangen und sich völlig unkompliziert einen Eindruck von ihnen verschafft. Seinen Protest gegen Ebbersmanns Entscheidung drückte er immerhin dadurch aus, dass er seinen verknitterten Overall anbehalten hatte, anstatt die Standard-Uniform zu tragen. Er beobachtete die Neuankömmlinge unauffällig, insbesondere aber die beiden Piloten. Der Größere der beiden, Kjetil Skorgan, machte einen freundlichen und aufgeweckten Eindruck. Er schien sich auf seine neue Aufgabe zu freuen. Der andere blickte mit unbeweglichem Gesicht auf Ramirez und Silverdale. Ihm konnte Lew nicht ansehen, wie er über seine Versetzung dachte. „Hoffentlich macht er keine Probleme. Wenn er die Sicherheit meiner Leute gefährden sollte, gibt es tierischen Ärger…“, dachte er. Lew bemerkte, dass Mark ihn ebenfalls beobachtete. Ihre Blicke trafen sich. Einige Momente lang starrten sie sich an, als wollten sie mit ihren Blicken ein Duell ausfechten. Dann verzog de Boer den Mund zu einem angedeuteten Grinsen und sah zum Counselor.

Caressia Silverdale betrachtete amüsiert die Situation. Lew und dieser de Boer waren ein Paradebeispiel für männliches Gehabe. „Man sollte es filmen und als Lehrvideo für Psychologie an die Universitäten schicken.“, dachte sie. „ Dabei sind sich beide ähnlicher, als sie wahrscheinlich wissen. Beide beäugen sich argwöhnisch. Beide sind unsicher, was sie vom anderen halten sollen. Da! Das klassische Blickduell. Herrlich! Eigentlich sollte man ihre Gedanken noch dabei hören…“ Sie war so auf ihr psychologisches Studium fixiert, dass sie völlig erschrak, als sie plötzlich den Blick von Mark de Boer auf sich spürte. Sie fröstelte. „Diese Augen…“, dachte sie. „Diese weißen Augen. Irgendwie unheimlich…“ Schnell konzentrierte sie sich auf die beiden anderen Neuankömmlinge. Skorgan strahlte freundliche Vorfreude aus. Sie war sich sicher, dass er sich hier wohl fühlen würde. Seine Aufgaben entsprachen voll seinen Fähigkeiten. Um Bardals Gefühlslage zu erkennen, musste man kein Empath sein. Sie glühte geradezu vor kindlicher Neugier und Aufregung. Sie war ihr auf Anhieb sympathisch.

Ramirez führte zusammen mit Silverdale und Sulik die drei neuen Crewmitglieder zum Captain. Dieser empfing sie mit warmen und freundlichen Worten. „Herzlich willkommen hier an Bord. Sie haben einen interessanten Zeitpunkt erwischt, um an Bord zu kommen. Die meisten hier sind gerade auf dem Weg in ihren verdienten Landurlaub. Insofern erleben Sie eine ruhige Phase hier auf dem Schiff. Aber glauben Sie mir, so ist es höchst selten.“ So ging es noch eine Weile, bevor er sich mit der Bemerkung entschuldigte, es gäbe noch einiges aus der letzten Mission aufzuarbeiten.

Ein Crewman führte Mark, Kjetil und Natalie in ihre neuen Quartiere, in denen auch schon ihr Gepäck gebracht worden war. Marks Quartier entsprach den Standardquartieren der Sternenflotte: Einfach, zweckmäßig und viel zu hell. „Irgendwie haben diese Quartiere immer etwas Klinisches an sich.“, fand Mark. Also änderte er erst einmal die Standard-Helligkeit für seine neue Bleibe, bevor er anfing, seine Koffer auszupacken und sich einzurichten.


Lew saß mit Charlie und Ian im Diners und berichtete von den Neuen. „Charlie, du bekommst eine nette und attraktive junge Frau ins Team. Sie wird dir gefallen.“ Charlie schnaubte „Von mir aus kann sie 1,30m groß sein, 200kg wiegen und hässlich wie die Nacht sein. Hauptsache sie versteht etwas von ihrem Job. Ich brauche Mechaniker und keine Modepüppchen.“ Lew und Ian lachten. Charlie konnte verdammt bärbeißig sein, war aber im Grunde eine Seele von Mensch. Blieb abzuwarten, ob die Neue solange mit seiner Art klar kam, bis sie es herausfand. „Was ist mit den beiden Piloten?“, wollte Ian wissen. „Was sie als Piloten taugen, kann ich natürlich noch nicht beurteilen. Laut Akte sind es beide ausgezeichnete Flieger. Der eine der beiden, Skorgan heißt er, scheint ein umgänglicher Typ zu sein. Bei dem anderen bin ich mir noch nicht so ganz sicher, was ich von ihm halten soll. Er scheint irgendwas zu verbergen.“ „Na, das klingt ja nicht so positiv…“, brummte Charlie. „Allerdings. Aber zur Not biegen wir ihn uns schon so hin, wie wir ihn brauchen. Oder wir ekeln ihn raus…“ „Hey!“, protestierte Lew. „Seit wann gehört Mobbing denn zu unseren Methoden?“ Charlie lachte: „Na ja, mit der Methode hast du so ziemlich jeden Captain und Admiral bearbeitet!“ „Darauf noch ein Bier!“

Natalie und Mark hatten sich bei Kjetil eingefunden und unterhielten sich über ihre ersten Eindrücke an Bord der USS Katana. „Also der Captain macht einen sehr ruhigen und netten Eindruck. Denkt ihr nicht?“, meinte Natalie. Mark nickte: „Habt ihr das Schiff gesehen, in welchem Zustand es war? Das war ein richtig übler Kampf. Und trotzdem hat er jetzt noch die Ruhe, uns persönlich zu empfangen. Das hätte ja auch irgendein anderer machen können.“ „Ja, das Empfangskomitee hätte ja absolut ausgereicht. Apropos… Was haltet ihr von unserem neuen Chef?“, fragte Kjetil. „Du meinst Sulik? Er ist ja nur euer Chef, …“, begann Natalie. „… aber ich finde ihn süß. Er wirkte so niedlich rebellisch in dem Overall.“ „Oh Gott!“, stöhnten Kjetil und Mark wie aus einem Munde. „Wie alt bist du eigentlich? 14?“, konnte sich Mark einen bissigen Kommentar nicht verkneifen. „Wenn du willst, Natalie, können wir ihm ja sagen, dass du ein Date mit ihm willst.“, neckte auch Kjetil seine Mechanikerin, die sofort knallrot wurde. „Untersteht euch! Wehe… Ich bau euch einen Schleudersitz in eure Kisten.“ „Nein, aber mal im Ernst. Er schien ganz und gar nicht einverstanden zu sein, uns begrüßen zu müssen. Ich meine, immerhin gehören wir jetzt zu seinem Team. Sollte er da nicht ein wenig mehr Begeisterung an den Tag legen, auch wenn wir nicht die erhoffte Verstärkung sind?“, warf Mark ein. „Tja, wer weiß, was wirklich dahinter steckt. Vielleicht wurde er auch einfach nur mitten aus der Arbeit gerissen. Lass uns erstmal abwarten, wie er so normal ist, wenn dieser offizielle Tamtam nicht ansteht.“, schlug Kjetil vor.


„Persönliches Logbuch Mark de Boer, Sternzeit 58.798,1. Heute ist der erste offizielle Arbeitstag an neuer Stätte. Es wird wohl in erster Linie darum gehen, die Gepflogenheiten hier an Bord und den Führungsstil kennen zu lernen. Auf dem Schiff ist momentan nur eine Notbesetzung. Die meisten nutzen die Reparaturphase für Landurlaub. Ein wirklicher Einsatz ist hier in der Nähe der Erde auch wohl nicht zu erwarten. So einen Coup wagen die Breen kein zweites Mal. de Boer Ende!“

Charlie Brooker begrüßte Natalie Bardal im Hangar: „Fähnrich Bardal. Ich bin Chief Brooker, der Chefingenieur hier an Bord.“ Dann stahl sich ein breites Grinsen auf sein Gesicht. „Zum Teufel mit den Formalitäten! Wir machen hier alle nur unsere Arbeit und beißen nicht. Ich bin Charlie. Lass uns direkt ein paar Dinge durchsprechen.“ Natalie war baff. Mit so einer Begrüßung hatte sie wahrlich nicht gerechnet. Aber sie war froh, dass ihr neuer Chef kein vertrockneter Sesselfurzer war. Und so gingen Sie gemeinsam Spezifikationen, Einstellungen und weitere technische Details durch. „Wie sieht eigentlich das Verankerungssystem der Azrael-Klasse aus?“, wollte der Chefingenieur schließlich wissen. „Das WAS?“, stockte Natalie. „Das Verankerungssystem. Es verhindert, dass die Kampfjäger durch den Hangar geschleudert werden, wenn das Schiff einmal erschüttert werden sollte. Wir hatten einmal entsprechend negative Erfahrungen gemacht.“, erklärte Charlie. „Die Azrael-Fighter haben bislang keine Verankerungen. Der Mond wird eigentlich nie erschüttert.“, gestand Natalie verlegen. Sie ärgerte sich unheimlich, dass sie an so was nicht gedacht hatte. „Aber die Shuttles haben doch auch alle keine Verankerungen…“

Jede Schicht, die ohne Kaffee begann, war für Lew Sulik ein Graus. Nicht, dass er das Koffein braucht oder den Geschmack so mochte. Nein, es war für ihn eine Art Ritual, mit seinen Kameraden den Tag zu beginnen. Und der heutige Tag war bislang so rein gar nicht nach seinen Vorstellungen verlaufen. Statt eines Kaffees gab es für ihn eine kurzfristig einberufene Sicherheitssitzung, in der die letzten Ereignisse mit der Admiralität durchgesprochen wurden. Endlose Diskussionen, detaillierte Aufstellungen irgendwelcher Schäden, alles nur Gerede. Aber seine Forderungen nach einem gesamten Wing wurden mit der Bemerkung abgeschmettert, dass es doch eine Verstärkung gegeben habe. Stattdessen sollte er Pläne ausarbeiten, wie man mithilfe der Fighter die Sicherheit des Schiffes erhöhen könnte. Missmutig durchschritt er den Hangar. Mit den Plänen für die neuen Manöver war er gestern auch kein Stückchen weiter gekommen. Da vorne stand Charlie mit der neuen Mechanikerin, die tief in ihrem Fachgespräch verwickelt waren. Gerade als er an den beiden vorbeilief, hörte er Charlie noch sagen „Wie? Die Azrael-Fighter haben wirklich keine Verankerungssysteme?“ Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Eine Erschütterung und die dicken Azrael-Fighter stürzten durch den Hangar und zerstörten auf diese Weise auch noch die Spitfire-Jäger. „Wer hat diese Dinger eigentlich geplant?“, polterte er los. „Da werden Topedoschächte ohne Ende eingebaut, aber keine Verankerungen. Das kann doch nur einem Studenten oder einem totalen Bürokraten einfallen!!!“ „Aber…“, wollte Natalie widersprechen, aber Lew ließ sie gar nicht erst zu Wort kommen. „Kein Aber. Da haben Sie echte Scheiße gebaut, und wir dürfen nun zusehen, wie wir diese Dinger in etwas Brauchbares verwandeln.“ Wütend schlug er mit der Faust auf den Bug eines der beiden Azrael-Fighter. „Hey! Mein Flieger…“, rief Mark de Boer aus, der gerade den Hangar betreten hatte. „Wo ist denn das Problem?“, wollte er wissen. Aber Lew war jetzt so richtig auf 180. Sein ganzer Frust brach hervor. „Was war das denn für ein Forschungslabor? Da werden uns halbgare Entwicklungen aufgedrückt. Wer immer daran beteiligt war, kann ja nicht viel von Kampfflugzeugen verstehen!“ Das ließ Mark natürlich nicht auf sich sitzen. „Wie bitte? Ich bin schon geflogen, da hat die Sternenflotte noch gar nicht existiert. Also erzählen Sie mir nichts übers Fliegen oder über Flugzeuge!“ „Ganz toll, alter Mann! Wenn ihr genauso fliegt wie entwickelt, können wir uns besser sofort beerdigen lassen!“ Wie zwei Kampfhähne hatten sich Mark und Lew voreinander aufgebaut und funkelten sich böse an. Charlie erkannte, dass Lew sich gerade so richtig in Rage redete und kurz davor stand, endgültig die Beherrschung zu verlieren und etwas zu sagen, was er später bereuen würde. Schnell drängte er sich zwischen die beiden und schob Lew zur Seite, während Natalie das Gleiche mit Mark tat. „Hey Lew.“, sprach er beruhigend auf ihn ein. „Keep cool! Das ist doch alles kein Problem. Diese Verankerungssysteme können wir doch immer anbauen. Das wissen wir doch schon von der Spitfire.“ „Ach. Deine tollen Kisten hatten auch keine? Wer hat DIE denn entwickelt?“, rief Mark. „Halt die Klappe, Mark. Haltet alle beide die Klappe!“, fuhr ihn Natalie an. „Ihr benehmt euch wie Kinder!“ „Ganz genau.“, meinte Charlie und fuhr mit strenger Stimme fort: „Und weil Kinder hier im Hangar nichts verloren haben, werdet ihr beide von hier verschwinden. Du rechts raus! Du links raus!“ „Aber Charlie, ich bin hier der Squadron Leader. Du kannst mich nicht rauswerfen!“, begehrte Lew auf, aber Charlie fuhr ihm über den Mund. „In der Luft bist du vielleicht der King, aber dieser Hangar ist mein Reich. Daher raus mit euch beiden, bevor ich die Sicherheit rufen muss!“ Widerstrebend verließen beide Piloten den Hangar, aber nicht, ohne sich böse anzufunkeln. „Na, super! Das wird ja lustig mit den beiden…“, stöhnten beide Mechaniker gleichzeitig. „Wie lange braucht die Evolution eigentlich noch, um so was auszumerzen?“, fragte Natalie. Charlie sah sie an und lachte laut los. „Mädel, du gefällst mir.“


Jon Mardsen lag im Bett und schlief, als ein ohrenbetäubender Lärm ihn aufschrecken ließ. „Die Romulaner greifen an!“ war sein erster Gedanke. Sofort war er hellwach und kampfbereit. Dann wurde ihm bewusst, dass es kein Angriffslärm war. „Oh, dieser Sulik!!!“, grummelte er und stürzte auf den Flur. Er hämmerte mit der Faust gegen Suliks Tür. „Lew! Mach den Scheiß leiser! Ich will schlafen! Deine Musik nervt!!!“ Ein völlig verschlafener Lew in Boxershorts und T-Shirt öffnete die Tür. „Was willst du? Das bin ich nicht…“ Dann verstummte er. Er kannte den Sound doch irgendwie. Er ging die Quartiere ab, bis er wusste, woher die Musik kam. Mit wenigen Handgriffen hatte er die Sicherheitsvorkehrungen der Tür umgangen. Diesen Trick hatte er heimlich vom Sicherheitschef abgeschaut. „Es ist immer gut, mehrere Talente zu haben.“, dachte er amüsiert. Als die Tür zur Seite glitt, sah er Mark de Boer, wie er im Halbdunkeln einen Sandsack mit schnellen Kombinationen von Tritten und Schlägen malträtierte, während aus den Lautsprechern der Kabine laute Rockmusik drang. „Oh gut, dass wir uns nicht im Hangar geprügelt haben. Das wäre wohl ins Auge gegangen.“, dachte Lew. Mark bemerkte einen Lichtschein und sah auf. Seine Tür stand offen, und helles Licht drang vom Gang in seine Kabine. In der Tür stand eine Person, aber aufgrund des Lichts konnte er nur eine Silhouette erkennen. „Oh, hier ist die Lärmisolierung wohl nicht so gut. Ich stelle die Musik aus. Computer, Musik aus und Licht 20% heller.“, befahl er. Dann erkannte er die Person in der Tür. „Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, Lieutenant?“, fragte er misstrauisch. „Das gibt’s doch gar nicht! Ist das etwa Metallica?“, rief Lew aus. „Ja, allerdings. Sie kennen die Band, Lieutenant?“, fragte Mark verwundert. Schon zu seiner Zeit war er einer der wenigen, die diese Musik noch hörten. Hier im 24. Jahrhundert war er praktisch der einzige. „Ob ich sie kenne? Ich liebe diese Musik!“, antwortete Lew und trat wie selbstverständlich in das Quartier. Dann zögerte er. „Öhm, was die Sache… Hmm, also heute im Hangar… Na ja, da sind die Pferde mit mir durchgegangen… Also…“ Mark wischte die unangenehme Situation mit einer Handbewegung beiseite. „Schwamm drüber. Wir hatten einen schlechten Start. Vergeben und vergessen?“ Lew nickte erleichtert, froh darüber, dass ein Konflikt in seiner Staffel entschärft war. „Wenn Sie wollen, können wir uns ja über echte Musik unterhalten. Ich hätte hier auch noch einen guten Tropfen. Echter Whiskey, kein Synthehol…“, fuhr Mark fort. Lew grinste. „Dieser Typ scheint doch gar nicht so übel zu sein.“, dachte er. „Ach ja, ich bin übrigens Lew.“, meinte er. „Ich bin Mark.“ Gemeinsam gingen Sie die enorme Musiksammlung von Mark durch. Viele Stücke und Bands waren Lew völlig unbekannt, aber Marks Musikgeschmack entsprach genau seinem. Sie hörten ein Stück nach dem anderen, fachsimpelten über verschiedene Richtungen, die besten Gitarristen, die besten Sänger und vieles mehr.

Irgendwann wechselte Mark das Thema. „Lew, hast du dir schon Gedanken gemacht, welche Manöver und Taktiken wir mit dieser gemischten Staffel fliegen werden?“ Lews Stimmung sank sofort erheblich. „Bislang habe ich noch keine wirklich guten Ideen. Eigentlich nur, dass die Spitfires den Azraels Begleitschutz geben, damit die dann die gegnerischen Raumschiffe oder Stationen bombardieren können. Viel mehr gibt die kleine Stückzahl leider nicht her. Aber das hat der Admiral wohl nicht bedacht, als er diese Staffel zusammengewürfelt hat.“ Mark nickte. „Ja, die Entscheidung, die Azrael-Fighter jetzt schon in den aktiven Dienst zu schicken, kommt auch zu früh. Es fehlen noch einige Tests und Abstimmungen. Aber die Einwände sind einfach ignoriert worden…“ „Ja, das ist so seine Art. Ich habe unendlich oft Anforderungen für ein ganzes Geschwader gestellt, die aber immer abgelehnt wurden. Und nun versucht er, deine beiden Fighter als meine gewünschte Verstärkung hinzustellen.“ Mark grinste. „Aber er hat sich verrechnet.“, meinte er. „Er glaubt, zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen zu haben. Aber nun hat er einen Squadron Leader, der weiterhin ein ganzes Geschwader Spitfire verlangt, und einen weiteren Piloten, der mindestens eine Staffel Azrael-Fighter fordert. Statt ruhiger wird es nun anstrengender für ihn.“ Lew konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Ja, das gefällt mir. Lass uns ihn weiter quälen!“ Mit lautem Gelächter stießen die beiden Piloten an. Mark nahm einen tiefen Schluck des Whiskeys und genoss es, zu spüren, wie sich die Wärme in seinem Inneren ausbreitete. „Wie gut kennst du die Spezifikationen der Azrael-Klasse?“, fragte er dann. „Nur das, was wir vor zwei Wochen erhalten haben. Einiges war zu dem Zeitpunkt noch unter Verschluss.“ „Dachte ich mir. Der Fighter ist nämlich mehr als nur ein reiner Bomber. Stark bewaffnet, aber schwerfällig. Diesen Eindruck erweckt er schnell. Aber er hat so ein paar Tricks drauf.“ Mark ging zu seinem Schreibtisch und nahm ein PADD in die Hand. „Hier! Die gesamten Spezifikationen.“ Er reicht Lew das PADD. „Der Azrael-Fighter eignet sich zum Beispiel auch als Scout-Schiff, da er dank seiner Schilde und Bewaffnung auch bei Feindkontakt kein leichtes Opfer ist. Oder durch die Fähigkeit, dem Gegner eine andere Position vorzutäuschen, kann er diese auf eine falsche Fährte locken. So könnte man beispielsweise feindliche Angriffsjäger in eine Fall locken, sprich: in die Schusslinie deiner Spitfires.“ Lew Sulik studierte die Spezifikationen und nickte. „Ja, daraus lässt sich doch gleich viel mehr machen, als ich gedacht habe. Da kommen mir doch gleich noch ein paar gute Ideen…“ Untermalt von Metal- und Rockmusik bei einer Flasche Whiskey verbrachten die beiden Piloten die halbe Nacht damit, sich neue Manöver und Angriffs- oder Abwehrtaktiken zu überlegen. In dieser Nacht machte Jon Mardsen kein Auge zu…


Charlie und Natalie standen an einem der Azrael-Fighter und diskutierten darüber, welches Verankerungssystem sie am besten verwenden sollten. Aufgrund der unterschiedlichen Höhen der beiden Fighter-Typen konnten sie nicht die Verankerung der Spitfire nehmen. Also gingen Sie gemeinsam eine Liste der verschiedenen bekannten Verankerungen durch. „Hier. Was ist mit dem System des Deltaflyers? Der müsste passen und auch für diese Schiffsgröße ausgelegt sein.“ „Nein, schau mal, Natalie. Die passen nicht zu unseren Verankerungssystemen auf der Katana.“ Mark betrat den Hangar und steuerte direkt auf die beiden Mechaniker zu. „Guten Morgen ihr Zwei. Was machen die Verankerungssysteme? Ist das Problem behoben?“ „Nein, noch nicht.“, antwortete Natalie. Dann versteifte sich sie sich. „Nun wird’s lustig. Der zweite Streithahn kommt gerade.“, flüsterte sie Charlie zu. Lew näherte sich der Gruppe. „Hallo zusammen. Was machen die Verankerungssysteme? Ist das Problem behoben?“, fragte er. Charlie und Natalie sahen sich irritiert an. „Irgendwie habe ich ein Déjà-vu.“, murmelte Charlie und antwortete dann lauter „Nein, Lew. Aber wir haben noch eine ganze Liste weiterer Systeme, die wir überprüfen müssen. Da wird sich sicherlich noch was Passendes finden…“ Lew nickte nur geistesabwesend und ging weiter. Dann blieb er aber doch noch stehen und drehte sich um. „Ähm Charlie… Ihr schafft das schon. Zur Not entwickelt ihr halt neue Verankerungen. Mark, kommst du mit? Wir sollten die Manöver mit der ganzen Staffel besprechen.“ Gemeinsam verließen beide Piloten den Hangar. „Was war das denn?“, staunte Natalie. Charlie kratzte sich am Kopf. „Tja, scheint so, als ob die Evolution ihre Arbeit erledigt hätte…“


Am nächsten Morgen wurde Seeta früh wach. Die Sonne ging gerade am Horizont auf. Sie schlüpfte aus dem Bett, zog sich an und ging leise die Stufen hinunter, nicht ohne vorher an Garricks Tür gelauscht und diese einen Spalt geöffnet zu haben, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war.

Das leise Geräusch in der noch immer etwas ungewohnten Umgebung hatte ausgereicht, den Offizier zu wecken. Er blickte zur Tür, die gerade vorsichtig wieder ins Schloss gezogen wurde und erkannte Seeta, die jedoch nicht mehr durch den Spalt in den Raum, sondern den Korridor hinab blickte. So entging es der Chefingenieurin, dass sie ihn unabsichtlich geweckt hatte. Und sie hatte ihn nachhaltig geweckt! Zunächst hatte er sich einfach wieder auf die Seite gedreht, davon ausgehend, gleich wieder einschlafen zu können, denn die Feier war rauschend gewesen und es war sehr spät geworden. Doch dann kam ihm die Frage in den Sinn, warum diese Frau wohl durch seine Tür gelinst haben mochte. Er schlug die Augen auf, rollte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Ob sie seinen gestrigen Abstecher in ihr Zimmer ebenfalls registriert hatte? Sie hatte nichts Entsprechendes erwähnt, und falls es der Fall gewesen sein sollte, schien sie es ihm zumindest nicht sonderlich übel zu nehmen, ansonsten hätte sie es sicherlich zur Sprache gebracht. Er hätte nicht einmal sagen können, was genau ihn zu diesem Verhalten bewogen hatte, außer, dass der Anblick ihres schlafenden Körpers ihm ausnahmslos gefallen hatte, auch wenn er nicht viel mehr als einen Knubbel unter einem Laken davon zu sehen bekommen hatte. „Lieber Himmel, Garrick!“, rief er sich innerlich zur Ordnung. „Ihr spielt hier nur eine Scharade, nicht mehr, und nicht weniger. Noch ein, zwei harmlose Tage bei Deinen Eltern, und schon bald hat Euch der Alltag wieder. Dann wird sie Dich eh wieder am liebsten ohne Raumanzug in die nächste Luftschleuse stopfen.“ Trotzdem kam ihm nicht nur das Bild des gestrigen Morgens ins Gedächtnis, sondern auch, wie sie am gestrigen Nachmittag ausgesehen hatte.

Bei der Feier einige Stunden nach der Hochzeit hatte er mit einigen anderen Gästen bereits im Wohnzimmer bei einem Gläschen Sekt gestanden, als er sie schließlich die Treppe hatte herunterkommen sehen. Sie hatte die traditionelle Robe, die bei der Hochzeit getragen wurde, gegen ein schlichtes, sehr elegantes dunkelblaues Etui-Kleid vertauscht. Es hatte sich an ihren Körper geschmiegt, ohne jedoch keinerlei Freiraum für Phantasie mehr zu lassen, ganz im Gegenteil. Zierliche Riemchenschuhe mit einem angemessenen Absatz komplettierten den Anblick und brachten ihre Beine besonders zur Geltung. Das Ganze wurde abgerundet durch dezenten Schmuck an Ohren, Hals und Handgelenk. Dem Dänen wäre beinahe sein Sektglas aus der Hand gefallen, wie er jeden ihrer Schritte die Stufen hinab verfolgte, und er musste sich bemühen, nicht die Kinnlade herabsinken zu lassen. Als er nun daran dachte, spürte er erneut jenen wohligen Schauer über seinen Rücken gleiten, der sich noch verstärkt hatte, als sie endlich lächelnd zu ihm getreten war und sanft die Hand auf die Schulter gelegt hatte und sich dann vertraut zu seinem Ohr gebeugt hatte. Wie konnte sie es ihm so schwer machen, seine Rolle zu spielen? Offensichtlich war ihr nicht klar, wie sehr er von ihrem Anblick in den Bann gezogen wurde. Dann hatte sie auch noch leise an seinem Ohr gegurrt: „Na, gefalle ich Ihnen, Commander?“ Er war sich nicht sicher, wie er wohl reagiert hätte, wären die anderen Gäste nicht anwesend gewesen und hätten das angebliche Paar gemustert. Mit ziemlicher Sicherheit hätte er sie wohl einfach an sich gerissen und innig geküsst, Scharade hin oder her. Doch so hatte er nur mit so klarer Stimme, wie es ihm möglich war, geantwortet: „Du siehst bezaubernd aus, Seeta!“ und gewusst, dass er damit die Untertreibung des Jahres geliefert hatte. Dann hatte er sich erkundigt, ob sie auch einen Sekt wolle und als sie dies bejahte diese unverhoffte Gelegenheit zu einer kurzen Flucht genutzt. Er hatte sich ernsthaft gefragt, wie er den restlichen Tag neben einem so wunderhübschen Wesen verbringen, überzeugend dessen Freund spielen und sich dabei nicht Hals über Kopf in sie verlieben sollte, so dies nicht schon längst der Fall war, legte man Eleynes Meinung zugrunde. Aktuell war er dann erst einmal froh gewesen, leichterer Zivilkleidung den Vorzug vor der Galauniform gegeben zu haben, denn in letzterer wäre ihm wohl definitiv die Luft weggeblieben. Auch so wäre ihm in diesem Augenblick ein Eimer kalten Wassers, den ihm jemand einfach direkt über den Kopf schüttete, sehr willkommen gewesen. Als er schließlich mit dem Glas Sekt zu ihr zurückgekehrt war, hatte er sie in einer Unterhaltung mit einer ihrer zahlreichen Cousinen vorgefunden. Nun stellte er fest, dass die Idee, sie einfach möglichst wenig anzuschauen, um eine Chance zu haben, den Tag zu überstehen, die er in diesem Moment gehabt hatte, leidlich funktioniert hatte. Natürlich hatte er sie immer mal wieder ansehen müssen, um nicht Gefahr zu laufen, den Eindruck zu erwecken, mit ihrer Beziehung stünde es nicht zum Besten, wenn er ein so hübsches Wesen derartig konsequent ignorierte. Als er sich auf dieses Unternehmen eingelassen hatte, war er davon ausgegangen, sich mit neugierigen und bohrenden Fragen bezüglich seiner Beziehung zu Yadeel auseinandersetzen zu müssen, aber nicht mit ihrem umwerfenden Anblick. Bei den Gedanken an diese Gelegenheiten, wo sein Blick über sie geglitten war, schlug sein Herz nun schneller und er spürte, dass er sich sehr zu ihr hingezogen fühlte. „Zum Glück muss ich nicht daran denken, wie wir getanzt haben... NEIN!“ Zu spät! Er schloss energisch die Augen und versuchte beinahe verzweifelt, die vor seinem inneren Auge entstehenden Remineszenzen zurückzudrängen. Zuerst waren die Tänze ausgelassen gewesen und entsprechend harmlos, doch mit vorrückender Stunde hatte die Band zunehmend langsamere Stücke gespielt und die Pärchen auf der Tanzfläche waren enger und enger zusammengerückt. So auch Yadeel und er. Irgendwie hatte er sich absolut außerstande gesehen, nicht mit ihr zu tanzen. Er hatte an ihrem Gesicht gesehen, wie gern sie dies tat und mit ihr durch den Saal zu schweben hatte ihm verdammt noch eins richtig gut gefallen. Er glaubte fast, wieder zu spüren, wie sie sich hielten, wie ihr zierlicher Körper sich schließlich vorsichtig an ihn geschmiegt hatte. Er hatte ihre Wärme durch den Stoff ihrer Kleidung gefühlt, die weiche Haut ihres Rückens, auf dem seine Hand geruht hatte. Schließlich hatte sie den Kopf an seine Brust gelehnt und sich mit geschlossenen Augen mit ihm im langsamen Takt der Musik bewegt. Der Duft ihres Haares und ihres Parfüms war unaufhaltsam in seine Nase gekrochen und hatte dem Chaos in seinem Inneren eine weitere Komponente hinzugefügt. Hingebungsvoll verfluchte er „A Natural Woman“. Was sollte er nur tun? Immerhin benutzte sie ihn doch nur, um sich vor den Verkupplungsversuchen ihrer Familie zu schützen und verfolgte sicherlich keine ernsthaften Absichten mit ihm. Oder vielleicht doch? Er seufzte tief und trachtete danach, sich wieder zu beruhigen. Sie hatte gesagt, sie wolle die Interaktionen mit ihm auf ein dienstliches Maß beschränken, und solange dieses Wort stand, würde er seine Gefühle ihr gegenüber eben schön fest zusammenpacken, ein dickes „Achtung, Explosiv!“-Schild darauf kleben und in irgendeinen hinteren Winkel seines Selbst verbannen müssen. Er stand auf und ging erst mal kalt duschen.


Sie griff derweil auf der Anrichte nach einem Stück Broich und einer Tasse Tee, dann setzte sie sich zu ihrem Vater an den Tisch, der bis dahin in seiner Zeitung gelesen hatte. Jetzt legte er sie weg, um sich mit seiner jüngsten Tochter zu unterhalten.

„Guten Morgen, Liebes, wie hast Du geschlafen?“, fragte er, während sie ihm einen Kuss auf die Wange gab. „Wirklich Prima, Papa. Es tut immer wieder gut, hierher zu kommen“, gab sie ihm Antwort. Er lächelte sie an und meinte: „Zumindest, solange Hadja glaubt, Du wärest in festen Händen und würdest möglicherweise doch bald den Bund eingehen.“ Ein Schmunzeln war auf seinem Gesicht zu sehen. Seeta hätte wissen müssen, dass sie ihren Vater nicht täuschen konnte. Also meinte sie lediglich: „Ich habe einfach keine Lust, mir ständig von ihr vorwerfen zu lassen, dass ich eine Schande für die Familie wäre. Und ich wusste, dass ich mir derartiges dieser Tage wieder zuhauf von ihr hätte anhören müssen.“ Ihr Vater meinte: „Sei nicht ungerecht zu Deiner Schwester, sie meint es gut mit Dir. In ihrer Vorstellung wäre es nunmal das beste für Dich und auch für die Familie, wenn Du sesshaft würdest. Am besten auf der Erde.“ Sie seufzte. „Ich weiß das, Papa. Aber es ist trotzdem nicht das, was ich will“, sagte sie. „Das wissen wir alle. Du solltest aber nicht auf Deinen Bruder hören, wenn er Dich zu solchem Unsinn wie einem vorgeschobenen Freund anstiften will. Ich habe Dir beigebracht, dass man für seine Meinungen und Ideale einstehen muss“, tadelte er sie. Der Tadel saß, denn sie spürte ihn, wie einen kleinen Stich in ihrem Herzen. Natürlich hatte ihr Vater Recht. Es war nicht gut gewesen, nicht dazu zu stehen, dass sie derzeit solo war. Und bei der Art, wie sie sich zu Garrick inzwischen hingezogen fühlte, war es auch noch sehr dumm gewesen.

Nachdem er seiner Tochter die Leviten gelesen hatte, war es nun für ihn an der Reihe, die Dinge nachzufragen, die ihn bereits seit vorgestern Mittag interessierten, die er aber nicht hatte fragen können, weil er sie nie ohne Garrick angetroffen hatte. Und er ging davon aus, dass ihr die Fragen in Gegenwart von Garrick unangenehm gewesen wären.

„Nun, Liebes, in welcher Beziehung stehst Du denn nun zu Mr. Andersson“, wollte er von ihr wissen. Sie zog leicht unbehaglich die Arme hoch. „Das ist wirklich schwer zu sagen, Pai“, setzte sie an und fügte dann erklärend hinzu, wobei sie selber versuchen musste, sich über die Tatsachen klar zu werden: „Ich glaube, dass da etwas ist zwischen mir und Garrick. Möglicherweise könnte etwas daraus werden.“ Sie warf so was wie einen Seufzer ein. „Allerdings sind wir in dienstlicher Hinsicht fast immer geteilter Auffassung, was häufig zu Reibereien führt. Vermutlich ist er dann genauso versucht, mich zu erwürgen, wie ich ihm die Pest an den Hals wünsche. Aber abgesehen davon...“ Sie ließ den Satz in der Luft hängen und ihr Vater sah sich genötigt, weiter nachzufragen. „Abgesehen davon?“ - „Abgesehen davon finde ich ihn sehr attraktiv. Und die Zeit, die wir privat verbracht haben, war sehr angenehm. Es scheint fast so, als wären unsere Differenzen in erster Linie dienstlicher Natur“, führte sie ihren Satz dann fort.


Die eiskalte Dusche hatte zumindest äußerlich dazu geführt, dass Garrick sich wieder im Griff hatte. Doch er war immer noch etwas verkatert, als er nun nach unten stiefelte. Zumindest war er sich sicher, dass man ihm heute morgen keine Fragen nach seiner Beziehung zu Yadeel mehr stellen würde – das innige Tanzen mit ihr musste auch die letzte Zweiflerin überzeugt haben. Jetzt trat er ins Esszimmer – und da saß sie! Sofort waren alle Bilder, Gerüche, Gefühle und selbst Töne des gestrigen Tages wieder präsent, von denen er gedacht hatte, sie seien mit dem kalten Wasser den Abfluss hinunter gerauscht. Dazu kam, ihr Vater leistete ihr Gesellschaft, also musste er jetzt auch noch seine Rolle als ihr Freund spielen, was ihn dazu zwang, sich diesem hübschen Wesen zu nähern. „Guten Morgen, Sir!“ brachte er heraus, dann trat er ein wenig zu steif zu ihr und hauchte ihr einen unverbindlichen Kuss auf die Stirn: „Guten Morgen, Schatz!“ Der Blick, den ihr Vater ihr daraufhin zuwarf, entging dem Dänen, und auch ihre flehende Bitte zurück, das Spiel weiter mitzuspielen und Garrick die Peinlichkeit der Enthüllung dieser Scharade zu ersparen. Manadi Yadeel konnte es in Sachen Diplomatie jedoch durchaus mit dem XO der Katana aufnehmen, und so erkundigte er sich, während er seiner Tochter unauffällig beruhigend zuzwinkerte: „Nun, Garrick, wie hat Ihnen Ihre erste zanderianische Hochzeit gefallen?“ Der Däne war mit ein paar Kleinigkeiten zu Essen an den Tisch zurückgekehrt und nahm nun neben Seeta Platz, während er antwortete: „Sehr gut, Mr. Yadeel.“ Er dachte kurz darüber nach, bevor er fortfuhr: „Eine sehr bewegende Zeremonie, voller Symbolik. Und Sie verstehen zu feiern, wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten, Sir.“ Manadi lächelte: „Selbstverständlich, mein Sohn.“ Seetas Augen weiteten sich leicht ob dieser Anrede und auch Garrick warf ihr einen Blick zu, der soviel zu sagen schien, wie: „Geht das jetzt nicht vielleicht doch ein wenig zu weit, Commander?“ Doch der Zanderianer erhob sich nun von seinem Stuhl und meinte: „Ich überlasse Euch Zwei dann mal Eurem Frühstück. Sicher habt Ihr auch noch einiges zu bereden. Wenn ich richtig informiert bin, werden Sie auch Ihre Eltern in Dänemark besuchen, Garrick?“ – „Ja, das ist richtig. Ich denke, wir werden wohl so gegen Mittag aufbrechen, dann treffen wir am frühen Abend dort ein!?“ antwortete er mit einem sich vergewissernden Blick auf Seeta, die jedoch zustimmend nickte. Daraufhin verließ Manadi den Raum und Garrick sank erleichtert in seinem Stuhl zurück, was Seeta mit einem gewissen Schuldgefühl zur Kenntnis nahm.


„Du willst was?!“ Absolute Verblüffung zeigte sich auf Garricks Gesicht, als er seine jüngere Schwester, die ihm am Esstisch gegenüber saß, anstarrte. „Auf die Sternenflottenakademie, jawohl!“ wiederholte Erika trotzig. Ihre Eltern, Sven und Hilda, hatten es offenbar aufgegeben, sich über das sprunghafte Wesen und die beinahe täglich wechselnden Berufswünsche ihrer Tochter aufzuregen, und schwiegen einfach. Seeta, die zu Gast bei den Anderssons weilte, zwang sich, möglichst unbeteiligt zu wirken. Der Erste Offizier ließ Messer und Gabel sinken, stützte den rechten Ellbogen auf den Tisch und griff sich mit der rechten Hand an die Stirn, während er langsam den Kopf schüttelte. Seit er zurückdenken konnte, hatte er sich als Beschützer für die kleine Schwester gefühlt, umso mehr, als sich herauskristallisierte, dass sie so völlig unterschiedliche Charaktere besaßen. Im Gegensatz zu ihm war Erika ein richtiger Wildfang. Unglaublich kreativ, und musisch sehr begabt. Irgendwie konnte er sie sich nicht in einer Uniform der Sternenflotte vorstellen und es erschien ihm unmöglich, dass sie sich an die relativ strengen Regeln und Vorschriften der Flotte würde gewöhnen können. „Das ist doch nur wieder so eine Schnapsidee von Dir, Erie...“ seufzte er nun und fuhr fort: „Was war es noch gleich vor drei Monaten? Ausbildung zur Bildhauerin auf Anticus III? Und davor? Novizin des Jamaharon auf Risa?!“ Seeta verschluckte sich beinahe an einer Kartoffel, während Erika eine Schmolllippe zog, bevor sie insistierte: „Ja, ok, das waren Hirngespinste – obwohl das Wetter auf Risa ja echt was hat, oder? Du warst doch sicher schon mal da!“ – „Ja, natürlich...“ stimmte Garrick verträumt zu, was ihm einen interessierten Blick aus gelben Augen einbrachte, unterbrach sich aber dann: „Aber das ist doch jetzt überhaupt nicht von Belang!“ Er musste mühsam ein Lächeln unterdrücken. „Ich könnte genau wie Du so viele fremde Welten besuchen, neue Leute kennen lernen... Du erzählst doch immer davon, wie toll das alles ist!“ Der Gesichtsausdruck des Offiziers wurde wieder ernst: „Ja, aber das ist wirklich nur ein kleiner Teil. Das meiste ist tägliche Routine. Von den Gefahren mal ganz abgesehen. Dort draußen im All ist beileibe nicht alles Friede-Freude-Eierkuchen! Dazu gehören viel Ausdauer, viel Schweiß und noch mehr Arbeit!“ – „Ich kann hart arbeiten, das weißt Du genau!“ stellte Erika nun fest. Dem musste Garrick wohl oder übel zustimmen. Wenn es eines gab, das man seiner Schwester nicht nachsagen konnte, dann war es Faulheit. Ihr fehlte es dagegen mehr am Durchhaltevermögen... Wenn er ihr die Empfehlung für die Aufnahme an die Akademie unterschrieb, übernahm er eine gewisse Verantwortung. Nicht nur für Erika, sondern auch für die Flotte. Er war sich nicht sicher, ob die Sternenflotte Erika Andersson überstehen würde... Er beschloss, der kleinen Schwester auf den Zahn zu fühlen und lehnte sich mit verschränkten Armen zurück: „Na schön... Was ist der Unterschied zwischen Warp- und Impulsgeschwindigkeit?“ Erika blickte ebenso entschlossen zurück: „Das ist easy: Warp ist schneller als das Licht und Impuls langsamer.“ Garrick zog leicht überrascht eine Augenbraue hoch. „Tja, Bruderherz, Du erzählst zu viel!“ meinte sie triumphierend, während Seeta ihr einen aufmunternden Blick zuwarf. Sie hatte die junge Frau bereits ins Herz geschlossen. Der Däne hob unterbrechend die Hand und fragte weiter: „Welches sind die primären Standard-Waffensysteme von Schiffen der Sternenflotte?“ Seine Schwester blickte ihn schon beinahe beleidigt an: „Phaser und Photonentorpedos, das weiß doch seit dem Dominion-Krieg wirklich jedes Kind.“ Nun unbeeindruckt fuhr Garrick fort: „Ein Offizier mit zwei vollen Rangpins ist ein...?“ Das brachte Erika leicht ins Schwimmen. „Lieutenant...“ sagte sie langsam, während sie sich an den Verlauf der Karriere ihres Bruders zu erinnern versuchte. „Senior Grade!“ setzte sie erneut triumphierend hinzu. „Und wenn dieser Lieutenant blau an der Uniform trägt gehört er...“ – „...der wissenschaftlichen oder medizinischen Abteilung an!“ ergänzte die junge Frau. „Die wichtigste Regel für Sternenflottenoffiziere?“ Jetzt dauerte es schon etwas länger, bis die Antwort eher zögerlich kam: „Die... Oberste Direktive?“ Garrick nickte: „Und die besagt?“ Erika grübelte eine Weile, bevor sie antwortete: „War das nicht die Sache mit dem Nicht-Einmischen und so?“ Der Offizier grummelte bestätigend. „Die wichtigste Regel für einen Captain?“ Jetzt hatte er sie, obwohl diese Frage auch ziemlich unfair war. Neben ihm drehte sich auch Seeta fragend zu ihm um. „Neben der Obersten Direktive?“ fragte sein Schwesterchen nach. Garrick nickte mit undeutbarem Gesicht. „Öhm... Ähhh...“ stammelte Erika. Garrick beschloss, sie zu erlösen und ein Grinsen legte sich auf das Gesicht des Commanders: „Steck dein Hemd in die Hose, geh mit dem Schiff unter und lass niemals ein Mitglied deiner Crew zurück!“ – „Ähbäh, bist Du gemein!“ kam es schimpfend zurück, während sich Seeta beinahe zum zweiten Mal an diesem Tag verschluckt hätte. Garrick wurde wieder ernst und er beugte sich leicht vor, während er sein Besteck wieder aufnahm, damit sein Essen nicht völlig erkaltete: „Dir ist es also wirklich ernst mit dieser Sache?“ fragte er noch einmal nach. Er erntete ein eifriges Nicken. „Und was sagt Ihr dazu?“ wandte er sich an seine Eltern. Erika rollte mit den Augen und kam ihnen zuvor: „Die halten das genau wie Du für eine meiner Eskapaden...“ – „Verstehe...“ wölbte Garrick eine Braue. Dann musterte er seine Schwester nochmals durchdringend – so gut das über einen Tisch gefüllt mit leckeren selbstgekochten Speisen eben ging. Er seufzte schließlich: „Ich schlage Dir Folgendes vor. Soweit ich weiß, ist die Endeavour demnächst ganz in der Nähe des Sol-Systems...“ – „Dein altes Schiff?“ unterbrach Erika ihn aufgeregt. „Ja“, erwiderte Garrick knapp und mit einer gewissen Strenge in der Stimme, „ich werde Kontakt mit ihnen aufnehmen und anfragen, ob sie Dir einen allgemeinen Praktikumsplatz gewähren. Dann kannst du ein wenig Sternenflottenluft schnappen. Und wenn Du dann immer noch zur Akademie willst und gute Bewertungen während des Praktikums erhältst, ziehe ich es in Erwägung, Dir eine Empfehlung auszustellen. Und bis dahin...“ hob er die Hand, damit ihn seine vor Freude offenbar überkochende Schwester nicht noch einmal unterbrach, „solltest Du Dir als Erstes angewöhnen, höherrangige Offiziere ausreden zu lassen, klar?“ Als er die zweifelnden Mienen seiner Eltern sah, fragte sich Garrick, ob er nicht gerade einen großen Fehler gemacht hatte...