Log 19
Verschwörungstheorien
Autor: Dalen Lazarus
Anfangssternzeit: 54442.16
Endsternzeit: 54462.05
Anfangsdatum: 11.06.2377 (9:00 Uhr)
Enddatum: 18.06.2377 (15:34 Uhr)
„Aye Ma`am“ gab Commander McCrae zurück und begab sich an seine Station, um weitere Nachforschungen anzustellen. Er fühlte sich ein wenig geblendet und zwinkerte, als er auf den Schirm seiner Konsole sah. Irritiert blinzelte er einige Male und hatte den Vorfall schon nach einigen Handgriffen vergessen.
Forlian saß mit angezogenen Beinen am Rande ihrer Terrasse und das warme Licht der Sonne warf lange Schatten hinter ihr. Es war ein ungewöhnlich warmer Tag für die zweite der fünf Jahreszeiten und trotzdem fröstelte sie. Gerade eben hatte sie ihrem Lebensgefährten eine Lügengeschichte auftischen müssen. „Der Außenminister für interstellare Beziehungen wird auf Deep Space Nine erwartet.“ hatte sie ihm erzählt. „Ich gehöre zum Unterstützungsstab und muss mit, ob ich will oder nicht.“
Sie hasste sich dafür, ihm nicht die Wahrheit gesagt zu haben. Doch sie konnte nicht. Sie durfte nicht. Wenigstens der Ort entsprach der Realität. Nur den wenigsten Mitgliedern des Sigurrat, des Geheimdienstes, war es freigestellt, ihre Familie in ihre Anstellung einzuweihen. Die Aufstiegschancen in höhere Posten konnten diese Personen anschließend begraben. Forlian war schon zu weit aufgestiegen, als sie ihrem Mann kennen gelernt hatte. Und jetzt saß er traurig und niedergeschlagen drinnen im Haus am Mittagstisch.
Forlian wusste, dass die Mission bei weitem nicht so gefährlich wie andere war. Sie würde wieder nach Hause kommen. Trotzdem war die Angelegenheit äußerst delikat. Der Augenblick war jahrzehntelang durch Intrige und Ränkespiel in interstellaren Beziehungen vorbereitet worden. Sie war der letzte Mosaikstein im Plan, bevor das Militär übernehmen würde.
Captain Needa saß in ihrem Bereitschaftsraum und zeichnete den letzten Abteilungsbericht für den Tag ab. Sie legte den elektronischen Stift auf das Padd vor ihr und lehnte sich in ihrem Sessel zurück. „Computer, Uhrzeit?“ fragte sie und stieß sich mit den Füßen ab und rollte mit dem Stuhl vor das Sichtfenster. „Es ist 15:52 Uhr.“ gab die gewohnt sachliche Stimme des Sprachprozessors zurück. Die Katana war unterwegs in den Gammaquadranten. In gut zwei Tagen würden sie dort eintreffen und die neue Kommunikationsphalanx testen können. Vorher wollte sie jedoch den Virenbefall der Schiffssysteme geklärt haben. „Needa an die Führungsoffiziere. Besprechung um 16:15 in der Beobachtungslounge.“ gab sie durch. 'Als Erster Offizier hatte ich nicht so verspannte Muskeln.' dachte sie und massierte sich mit der rechten Hand den Nacken. 'Du bist ein Schreibtischhengst geworden.' fügte sie in Gedanken hinzu. Ariell hatte noch ein paar Minuten bis zur Besprechung und so replizierte sie sich ein Glas Bolianisches Tonic-Wasser für die Nerven und sah nachdenklich den vorbeiziehenden Sternen hinterher.
Vorsichtig schob sich Kildan Urani an die Häuserecke heran. Kurz davor ging er in die Knie. Er hielt den Atem an, als er einen flüchtigen Blick nach links auf die Hauptstraße wagte. Schnell zog er seinen Kopf zurück, als er die Wachen entdeckte. Er hatte schon vorher gewusst, dass das Gebäude der Regionalregierung scharf bewacht sein würde. Er bemerkte ein schmerzendes Pochen in seiner Brust, als er aufstand und sich gegen die Mauer lehnte. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie lange er den Atem angehalten hatte und er holte tief Luft. Er hob seinen rechten Arm und gab das Zeichen für Haglo Pelor und Sarinja Midan, aufzuschließen. Nur Augenblicke später tauchten zwei Gestalten, wie aus dem Nichts neben ihm auf. Ebenso wie er in schwarze Tarnanzüge gekleidet.
„Und? Wie sieht’s aus?“ zischte Sarinja so leise wie möglich. „Es wird genauso schwierig, wie wir befürchtet hatten.“ flüsterte Kildan zurück. „Ich habe sechs Wachen am Hintereingang gezählt.“ „Der Spitzel hat doch nur von vier Leuten erzählt?!“ beschwerte sich Haglo. „So kann man sich täuschen.“ erwiderte Kildan. „Es hilft jetzt alles nichts. Wir müssen das heute noch zuende bringen, wenn wir etwas erreichen wollen. Die Regierung muss sehen, dass wir Ernst machen.“
Pünktlich um 16:15 Uhr betrat Dalen Lazarus die Beobachtungslounge und sah, dass nur noch der Captain fehlte. Um den Tisch versammelt saßen Andreas Summers, Falyn Mc Crae und Seeta Yadeel. Während er sich setzte, trat auch Captain Needa ein. „Guten Abend zusammen.“ sagte sie und nahm am Kopfende des Tisches Platz. „Ich habe Sie hierher gebeten, weil ich das Virusproblem gelöst haben will. Es kann nicht sein, dass jemand ein Stück Programmcode einschleust und das Leben von fast 700 Menschen gefährdet. Außerdem ist nicht auszuschließen, dass so etwas wieder passiert. Und was passieren kann, wenn das Programm auch die Kontrolle über die Waffensysteme erlangt, brauche ich ihnen wohl nicht zu erläutern. Commander Mc Crae, wie weit sind Sie mit Ihren Untersuchungen?“
Der angesprochene Mann musste kurz schlucken und räusperte sich. So hatte er seinen Captain noch nicht erlebt, seit er an Bord war. Sie machte ernst. „Ich bin dabei, die täglichen Datenbackups der letzten vier Wochen auf Auffälligkeiten zu untersuchen. Ich will dabei den Zeitpunkt finden, ab dem das System kompromittiert war. Ich hoffe, dass ich daraus dann den Virus rekonstruieren kann.“ sagte er. „Wie lange werden Sie dafür brauchen?“ fragte der Captain. Falyn schloss für einen kleinen Moment die Augen und dachte nach. „Das Problem dabei ist, dass ich nicht weiß, nach welchen Merkmalen ich Ausschau halten muss. Ich schätze...“ sagte er und machte eine kleine Pause. „Ich schätze, im besten Fall finde ich ihn morgen. Wenn es schlecht läuft, vielleicht eine Woche.“
„Captain, ich schlage vor, dass wir für Commander Mc Crae zusätzliches technisches Personal abstellen sollten.“ warf Andreas in die Runde und schaute Ariell dabei in die Augen. Als diese mit einem leichten Kopfnicken zustimmte, wandte er sich an Seeta. „Lieutenant Yadeel, wie weit sind sie mit den Reparaturen?“
Seeta merkte, wie Hitze in ihren Kopf stieg, wie bei einem ertappten Schulkind, als Andreas sie ansah. „Ähm, die Reparaturen, also...“ Sie räusperte sich und versuchte, die Schmetterlinge in ihrem Bauch zu unterdrücken. „Die wichtigsten Systeme sind repariert.“ Andreas bemerkte die Nervosität und merkte, wie auch er unsicher wurde. „Können Sie Personal entbehren?“ fragte er schnell. „Ja, das wäre möglich.“ fasste sich Seeta so kurz wie möglich.
„Ich werde auch an der Suche teilnehmen.“ sagte Dalen und gab damit den beiden etwas Luft, um sich zu beruhigen. „Ein etwas wissenschaftlicherer Blick auf die Daten wird sicher nicht schaden.“
„Also gut.“ sagte Ariell. „Wenn es weiter keine Vorschläge gibt...“ Bei diesen Worten machte der Captain eine kleine Pause und schaute jedem der Anwesenden in die Augen. „... dann koordiniert Commander Mc Crae das 'Virusprojekt'. Sie werden sich mit den anderen Abteilungsleitern absprechen und das Programm finden.“ Dabei stand sie vom Stuhl auf und sagte: „Wegtreten.“
„Wir unterbrechen die Übertragung des Haldani-Konzerts für wichtige Meldungen. Soeben erreichte uns eine erschütternde Meldung aus Wammington, der Provinzhauptstadt des Nordost-Territoriums. Ein Anschlag ist auf den Hauptregierungssitz verübt worden. Nach vorläufigen Angaben des örtlichen Sicherheitsdienstes wurden mindestens neun Kellerun und T'Lani getötet, mehr als 43 wurden durch die Explosion schwer verletzt. Zeitgleich zum Anschlag gingen Bekennerschreiben bei mehreren öffentlichen Nachrichtendiensten ein. Eine Gruppe namens „Freies T'Lani“ zeichnet sich für den Anschlag verantwortlich. Das Schreiben macht die Regierung verantwortlich für den Bevölkerungszuwachs von fremden Rassen auf T'Lani III. Die Terroristen fordern die Ausweisung aller Nicht-Kellerun und Nicht-T'Lani und fordern die Regierung auf, sämtliche Kontakte mit der Föderation der Vereinigten Planeten abzubrechen. Wir schalten jetzt live zu unserem Korrespondenten nach Wammington.“
Sarinja drosselte die Lautstärke des Sichtschirms und sah teilnahmslos auf die folgenden Szenen der Verwüstung. Sie hatte es als einzige geschafft, verletzt aber lebend aus dem Gebäude zu kommen. Ihre beiden Kameraden hatten nicht so viel Glück gehabt. Schon bei der Stürmung mussten sie Haglo schwer verletzt zurücklassen. Nachdem sie den Sprengkopf und Zeitzünder geschärft hatten, wurde Kildan bei der Flucht angeschossen. Wenn er ihren Rückzug nicht gedeckt hätte, wäre sie jetzt auch unter den Toten. Sie fühlte sich wie eine Tote. Die Bilder auf dem Schirm zogen wie in weiter Ferne an ihr vorbei. Sie war nicht fähig, auch nur einen Gedanken für mehr als ein paar Sekunden festzuhalten. Sie wollte schlafen. Nur noch schlafen. Und nicht mehr aufwachen.
„... Unbekannt ist weiterhin, wie die Terroristen das Material für die Bombe beschaffen konnten.“ war das Letzte, was Sarinja bewusst wahrnahm, bevor sie vor Erschöpfung einschlief.
Forlian ging durch die Luftschleuse des Andockrings und betrat die Promenade von Deep Space Nine. Alles war minutiös geplant. Sie hatte gerade genug Zeit, bei einem bajoranischen Händler einige Mineralien zu kaufen und mitzunehmen. Sie hatte Hunger. Anschließend betrat sie den nächstgelegenen Turbolift, der sie zum unteren Andockpylonen 3 bringen würde. Der dort wartende Frachter würde sie auf schnellstem Wege nach T'Lani III bringen. Unbewusst wanderte ihre rechte Hand immer wieder in Richtung Rücken. Ständig versicherte sie sich, dass der Rucksack noch da war, den sie trug. Das verbesserte Programm, das sie bei sich hatte, würde diesmal bestimmt nicht zu überlisten sein.
Zwei Tage später erreichte die U.S.S. Katana das Testgebiet. „Widar an Captain Needa. Wir haben das Testgebiet erreicht, Sir.“ sagte der Asgard an der Steuerkonsole. Einige Augenblicke später öffnete sich die Tür zum Bereitschaftsraum mit einem Zischen und Ariell betrat die Brücke. Andreas gab den Sessel in der Brückenmitte frei und setzte sich nach rechts. Nachdem Ariell sich in den Captain's Chair gesetzt hatte, drückte sie eine Taste auf ihrer Konsole: „Needa an Lieutenant Yadeel.“ sagte sie in ihr Interkom. „Yadeel hier.“ kam nur kurz später die Antwort. „Wir sind im Testgebiet. Wie sieht der Plan aus? Wann kann der Test beginnen?“ fragte Ariell. Die Zanderianerin drückte einige Tasten auf ihrer Konsole im Maschinenraum und rief die Daten ab. „Die Systeme sind installiert. Sie brauchen eine halbe Stunde für die Initialisierung und das Laden der Energiepuffer. Nach durchgehen der Checkliste sollte das System in 45 Minuten einsatzbereit sein, Sir.“ berichtete sie. „Machen Sie es so.“ gab Ariell den Auftrag.
„Dabei fällt mir ein...“ dachte Ariell und drehte sich zur Sicherheitskonsole der Brücke um, an der Falyn stand. Laut sagte sie: „Mr. Mc Crae, wie weit sind ihre Untersuchungen?“ Der Angesprochene richtete sich auf und stand noch ein wenig strammer als sonst. Er gab ungern schlechte Nachrichten weiter. Am liebsten hätte er den Virus schon vor Tagen gefunden; und das am liebsten allein. „Leider noch kein Ergebnis, Sir.“ sagte er mit Bedauern. „Wenigstens haben wir den Tag eingrenzen können, an dem der Code eingeschleust worden sein muss.“
„Bleiben Sie dran.“ sagte Ariell und wandte sich damit wieder dem Hauptschirm der Brücke zu.
Logan Klerreph schloss Sarinja in seine Arme. „Gut gemacht, Kleine.“ dachte er bei sich. „Ich bin stolz auf Dich.“ sagte er laut. „Wir haben so viel Beachtung geschenkt bekommen, wie in ganzen zwei Jahren nicht.“ „Ich weiß.“ sagte sie leise. „Ich wünschte nur, es hätte eine andere Möglichkeit gegeben.“ „Du warst doch dabei. Wir haben es versucht. Die unzähligen Demonstrationen haben nichts genutzt. Die Petitionen ans Parlament auch nicht. Es traute sich noch nicht einmal jemand, die Außenweltler öffentlich zu boykottieren. Wir mussten einfach ein Zeichen setzen, das ganz T'Lani zu sehen bekommt.“
Mit einem leisen Knarren öffnete sich die Holztür und unterbrach das Gespräch der beiden. Eine schimmernde, kristallen aussehende Gestalt betrat den Raum. Sie hatte eine Maske vor dem Gesicht, um atmen zu können. Ein leichter Methangeruch ging von der Person aus.
„Ich grüße Sie.“ sagte die Tholianerin und nahm den Rucksack von ihrem Rücken. „Wie ich höre, verlief alles nach Plan?“ Logan drehte sich um und grüßte mit einem höflichen Kopfnicken zurück. „Ich freue mich, sie wiederzusehen, Forlian.“ sagte er. „Es lief zufriedenstellend. Leider mussten zwei unserer Kameraden ihr Leben lassen.“ fügte er mit traurigem Blick hinzu. „Aber lassen Sie uns erfreulicheren Dingen zuwenden. Sir hatten eine angenehme Reise?“ „In Anbetracht der Umstände ausreichend. Es ist nicht angenehm, ständig eine Atemmaske tragen zu müssen. Ich hoffe, Sie haben einen Raum mit passender Atmosphäre für mich herrichten lassen?“ fragte Forlian.
Sarinja war unterdessen aufgestanden und hatte die ungewöhnliche Frau neugierig gemustert. „Ja. Gehen Sie durch diese Tür und dann der zweite Raum auf der rechten Seite. Dort werden Sie alles finden, um das Sie gebeten haben.“ sagte sie. „Das Computersystem ist auch vorhanden?“ hakte die Tholianerin nach. „Auch das haben wir besorgt. Neuester Stand der Technik, damit sie Informationen aus dem Regierungsnetz herausholen können. Denn ohne Infos, kein 'Freies T'Lani'.“
Jeder Tholianer hätte das hämische Grinsen auf Forlians Gesicht gesehen. Doch für die Anwesenden Kellerun sah es lediglich wie ein Farbschimmern aus. „Diese Irren.“ dachte die Geheimagentin. „Die merken nicht einmal, dass ich damit in die Föderationsnetze einbreche und unsere Invasion vorbereite. Und wenn was schief geht, waren es diese Terroristen gewesen.“ Bei diesen Gedanken lief ihr ein kalter Schauer den Rücken herunter. Sie merkte, um wie viel kälter es auf T'Lani III war. „Ich ziehe mich für eine gute Stunde in mein Quartier zurück.“ sagte sie und hob den Rucksack auf. „Ich muss mich unbedingt richtig aufwärmen, bevor ich anfangen kann.“
Ariell schaute überrascht auf den Sichtschirm. Das ihr bekannte Gesicht von Admiral Lorraine war zu sehen. „Guten Tag, Sir.“ grüßte sie ihn. „Einen guten Morgen.“ gab der an den Schläfen ergraute Mann zurück. „Offensichtlich funktioniert die neue Kommunikationsphalanx, Captain.“ sagte er mit zufriedenem Gesichtsausdruck. „Ja, Sir. Darf ich fragen, weshalb Sie an diesem Test persönlich teilnehmen?“
Der Ausdruck auf dem Gesicht des Mannes verfinsterte sich merklich. Er faltete die Hände vor sich auf dem Tisch und antwortete: „Schlechte Nachrichten. Leider. Im T'Lani System scheint sich eine Krise zusammenzubrauen. Der Regierungssitz einer Region fiel einem Terroranschlag zum Opfer.“ Er holte tief Luft, bevor er fortfuhr. „Die Tat ist ursächlich gegen die Föderation gerichtet. Die Gruppe 'Freies T'Lani' fordert den Rückzug sämtlicher Angehörigen der Föderation und macht dabei auch von Gewalt gebrauch. Sie werden ihre Forschungsmission vorerst unterbrechen müssen. Nehmen Sie Kurs auf das T'Lani System und gehen Sie der Sache nach. Wenn es zum Äußersten kommen sollte, unterstützen Sie wenigstens die Evakuierung.“
Während der Ausführungen des Admirals hatte eisiges Schweigen auf der Brücke geherrscht. „Aye, Sir.“ bestätigte Ariell. „Ich wünsche Ihnen viel Glück. Lorraine, Ende.“ sagte der Admiral.
Keiner hatte das kurze Aufblitzen auf einer Konsole und den kurzen Datentransfer bemerkt.