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Exodus
Autor: Mark de Boer

„Was…?“ Mark wurde durch den Interkom-Ruf aus dem Tiefschlaf gerissen. Völlig verwirrt und orientierungslos sah er sich um. Er schaute auf seinen Wecker und stöhnte auf. „Oh Mann… Gerade mal vier Stunden Schlaf.“, stöhnte er. Er rieb sich die Augen und richtete sich auf. Er war sich sehr unsicher. Hatte er geträumt oder hatte es tatsächlich eine Durchsage gegeben? Er setzte sich auf die Bettkante und gähnte und streckte sich ausgiebig. „Computer, Li….“ Plötzlich traf das Schiff ein harter Schlag. Mark wurde vom Bett gerissen und schlug hart auf dem Boden auf, so dass ihm die Luft aus den Lungen getrieben wurde. Es folgten weiter Schläge, die aber nicht mehr so hart waren und Mark nicht mehr durch sein Quartier schleuderten. Begleitet wurde das Alles durch grässliche Schleif-, Quietsch- und Knirsch-Geräusche. Es folgte ein lang andauerndes Rumpeln, das Mark an eine Autofahrt über ein Feld erinnerte. Schließlich hörte das Rütteln auf. Mark stand auf und rieb sich die schmerzende Schulter.

„Was ist gerade passiert? Mit was sind wir kollidiert? Und warum geht nicht zumindest die Notbeleuchtung an?“, fragte er sich. „Computer, Licht!“ Es erfolgte keine Reaktion. Mark versuchte es erneut, aber mit demselben Ergebnis. „Na super!“, murrte er. „Dann frag ich mal bei Lew nach, ob er etwas weiß.“ Er ging zu seiner Uniform, die mittlerweile vor dem Bett lag und aktivierte seinem Kommunikator. Doch statt des erwarteten Zierpen erwartete ihn nur Stille. Mark seufzte. Dann fiel ihm das Dämmerlicht auf, das durch das Fenster drang. Er trat ans Fenster und schnappte erschrocken nach Luft. Normalerweise blickte er auf Sterne oder Planeten. Jetzt konnte er Bäume in dem diffusen Licht ausmachen. Sie waren also abgestürzt. „Aber wie konnte ein Schiff wie die Katana abstürzen?“, fuhr es Mark durch den Kopf.

Schnell zog er sich an. Er entriegelte seine Quartiertür und drückte die rechte Hälfte zur Seite, bis er hindurch schlüpfen konnte. Er trat auf den dunklen Flur, der lediglich durch ein paar graue Lichtstrahlen beleuchtet wurde, die durch andere offene Türen drangen. Auf dem Flur stand eine Handvoll Personen und unterhielten sich beunruhigt. Mark gesellte sich hinzu und erkannte Jon Mardsen. „Hey Jon! Weißt du was passiert ist?“ „Der Captain hatte alle an Bord vor einem Einschlag gewarnt. Dann sind wir von irgendwas getroffen worden und auf diesen Planeten abgestürzt. Und seitdem ist jedes technische Gerät tot.“ „Ein Angriff?“, fragte Mark nach. „Das wissen wir nicht. Von der Brücke oder vom Captain haben wir seitdem nichts mehr gehört.“, antwortete ein älterer Mann, den Mark noch nie zuvor gesehen hatte. Mark nickte, bis ihm bewusst wurde, dass man das bei den Lichtverhältnissen nicht sehen konnte. „Okay, wir sind also erst einmal auf uns allein gestellt. Wir sollten zusehen, das Schiff zu verlassen.“

„Warum sollten wir? Hier sind wir sicher. Wir wissen nicht, was draußen ist und ob wir auf diesem Planeten überhaupt atmen können.“, warf der ältere Mann ein. „Ich würde lieber hier bleiben und warten, bis wir von einem Schiff gerettet werden.“

„Wir sind 700 Personen an Bord eines Schiffes, auf dem es keine Nahrung, nichts zu trinken und keinen frischen Sauerstoff gibt. Und wir wissen nicht, was genau zum Absturz geführt hat. Vielleicht können wir auch gar nicht so einfach gerettet werden. Wir sollten uns also darauf vorbereiten, eine unbestimmte Zeit auf diesem Planeten verbringen zu müssen. Wenn wir dann schneller gerettet werden – ich habe nichts dagegen…“

„Ähm…“, schaltete sich eine junge Frau ein. „Wenn die gesamte Technik hier ausgefallen ist, was ist mit dem Warpantrieb?“ „Die funktioniert natürlich auch nicht!“, antwortete Mardsen augenrollend. „Das ist mir klar! Ich meine, was ist mit der Antimaterieeindämmung?“ Stille trat ein. „Na ja…“, meinte der ältere Mann schließlich. „Wir leben noch, also werden sie den Warpkern wohl vorher abgeworfen haben.“

„Und was ist, wenn der doch noch im Schiff ist und Eindämmung einfach nur noch länger durchhält als die übrige Technik?“, beharrte die junge Frau. Beunruhigt sahen sich alle an.

„Ein Grund mehr, so schnell wie möglich das Schiff zu verlassen.“, sagte Mark schließlich. Diesmal widersprach niemand. „Jeder geht wieder in seine Kabine und packt ein paar Dinge ein. Aber nur das Nötigste! Dann müssen wir den anderen hier helfen. Wir gehen in Zweiergruppen von Kabine zu Kabine und befreien unsere Kameraden. Sie sollen sich auch darauf vorbereiten, das Schiff zu verlassen. Wir sollten ruhig bleiben, aber uns beeilen. Alles klar? … Dann los!“


Sandy vernahm ein leises Weinen. Der Babysitter der Anderssons hob langsam den Kopf. Luma weinte, aber warum? Er setzte sich auf, während er langsam den Kopf schüttelte. Es war dunkel im Quartier und seltsam still. Er sah sich um, wo Luma Erika sich befand. Sie saß nicht allzuweit von ihm entfernt und weinte. So klein sie noch war, spürte sie doch, daß etwas nicht in Ordnung war. Ihr Sandy hatte auf dem Boden gelegen und rührte sich nicht. Er lag zwar oft auf dem Boden, aber normalerweise um mit ihr zu spielen. Jetzt krabbelte er zu ihr hinüber und hob sie hoch. Luma beruhigte sich fast augenblicklich. Sandy war ihr sehr vertraut, denn er sorgte schon seit ihrer Geburt für sie, wenn weder Mama noch Papa zu Hause waren.

Alexander Stephanopolus, wie Sandy mit bürgerlichem Namen hieß, sah sich im Quartier der Anderssons um. Als die Stimme ihres Vaters aus dem Interkom erklungen war, hatte Luma gelächelt, Sandy war jedoch nicht zum Lächeln zumute gewesen. "Auf den Aufprall vorbereiten!", hatte er gesagt, was Sandy schmerzhaft deutlich machte, daß die Katana tatsächlich auf dem Planeten notlanden würde, der im Fenster im Wohnraum der Anderssons immer größer geworden war. Er griff nach dem Kleinkind, setzte sich auf den Boden, legte sie auf seine Beine und sang leise für sie, während er sie festhielt. Dann hatte die Schlitterpartie über den Boden des Planeten begonnen, denn wie alle Schiffe der Sovereign-Klasse war auch die Katana nicht für Landungen gedacht und verfügte demzufolge über keine Stützen. Er hatte auch den Eindruck gehabt, daß die Triebwerke kurz vor dem Kontakt mit dem Boden komplett ausgefallen waren. Das würde auch die relative Dunkelheit erklären, die im Quartier herrschte. Durch das Außenfenster drang nur weniges, diffuses Licht hinein.

Sandy trat vor die Tür zum Korridor, wunderte sich aber nicht allzusehr, als sie sich nicht öffnete, denn die fehlende Beleuchtung im Quartier hatte ihn bereits vermuten lassen, daß das Schiff derzeit ohne Energie war. Er ging zurück in die Ecke des Wohnzimmers, in der der Laufstall gestanden hatte. Er richtete ihn wieder in die richtige Position auf und setzte Luma Erika dann darin ab. Der kleinen Maus gefiel das nicht, aber er machte ein beruhigendes Geräusch und sang ihr wieder leise vor. Ein Lied, daß er ihr bereits seit dem ersten Tag vorsang und das ihr deshalb sehr vertraut war. Dabei ging er hinüber zur Tür und öffnete die Klappe, in der sich der Hebel zur manuellen Entriegelung der Tür befand. Er schob seine Finger zwischen die beiden Türhälften und schaffte es mit großer Anstrengung, sie so weit zu erweitern, daß er mit seiner schlanken Gestalt hindurchpassen würde. Er ging zum Laufstall zurück, hob Luma Erika wieder auf seine Arme und schob sich gemeinsam mit dem Mädchen durch den schmalen Spalt.

Auf dem Gang angekommen brauchte er eine Weile, um seine Augen an das wenige Licht zu gewöhnen, das aus verschiedenen, jeweils nur wenig geöffneten Türen drang. Er war offensichtlich nicht der erste, der auf den Gang gekommen war. "Hallo?", rief er und arbeite sich dann in die Richtung vor, aus der eine Stimme "Hier!", gerufen hatte.


Lieutenant Bruckner betrat den nächsten Korridor. Ihr folgten bereits annähernd einhundert Personen. Die meisten waren unverletzt oder hatten nur leichte Blessuren oder Prellungen davongetragen. Aber es gab auch ein paar gebrochene Knochen und Verstauchungen. Einige mussten gestützt werden, ein Mann musste sogar mit einer notdürftig erstellten Trage von mehreren Crewmitgliedern geschleppt werden – ein Unterfangen, das insbesondere in den Jeffreysröhren zwischen den Decks enorm kraft- und zeitraubend war. Angesichts der Umstände befand Regine jedoch, dass es bisher mehr als glimpflich ausgegangen war. Vor allem hatten sie Glück, dass das Schiff sich bei dem Absturz so in die Erde gegraben hatte, dass es nicht zur Seite oder nach vorne weggekippt war, sondern weiterhin recht gerade stand. Ansonsten wäre ein schnelles Vorankommen unmöglich gewesen.

Sie bog um eine Ecke und blieb überrascht stehen. Hier war es verhältnismäßig hell. Alle Kabinentüren standen offen, durch die das Licht in den Flur fließen konnte.

Die Offizierin befahl einigen Crewmitgliedern, in den Kabinen nach Überlebenden zu suchen. Nach einigen Minuten trat ein junger Fähnrich an sie heran. „Ma’am, auf diesem Korridor sind alle Kabinen leer. Sollen wir die übrigen Korridore auf diesem Deck auch noch durchsuchen?“ „Ja, das müssen wir. Teilen Sie sich auf und nehmen Sie die Seitenkorridore. Wir werden mit der gesamten Gruppe den Hauptkorridor nehmen. Hier müssen wir ohnehin lang.“ Der Fähnrich nickte und ging.

„Ich hoffe nur, dass die Menschen hier nicht planlos im Schiff herumirren. Ich habe keine Lust, nach ihnen suchen zu müssen.“, dachte sie missmutig. „Wenigstens kommen wir erstmal ein bisschen schneller voran.“


Mark hatte ein paar Crewmitglieder, die im Dunkeln deutlich besser sehen konnten als die mehrheitlichen Menschen an Bord, nach vorne geholt, damit sie die übrigen vor Hindernissen warnen konnten. Ihm selbst machte das Dämmerlicht nicht so viel aus. Seit seinem Unfall waren seine Augen nicht nur deutlich lichtempfindlicher, sondern kamen mit dem Halbdunkel auch viel besser zurecht als vorher.

„Mark, hast du schon eine Ahnung, wie wir aus dem Schiff kommen?“, fragte Jon, der schräg hinter ihm ging. „Wir müssen weiter nach unten, wenn wir hier raus wollen. Es gibt zwar einige Luken nach draußen, die näher liegen, aber dann sind wir in hundert Metern Höhe. Also werden wir uns weiter nach unten vorarbeiten müssen. Ich hatte an die Hangar oder die Luken im unteren Bereich gedacht. Je niedriger, desto besser. Wir haben nicht viel Seil dabei. Und ich bin mir nicht sicher, ob alle gut klettern können… Vorsicht, eine Wandverkleidung liegt hier am Boden… Wir sind nicht weit von Shuttlerampe 1 entfernt. Wir sollten also als erstes da nachsehen, ob wir irgendwie rauskommen.“

Sie liefen eine Weile schweigend weiter. Sie kamen durch stockfinstere Räume, in denen es gar kein Licht gab. Hier mussten sich alle vorsichtig vorantasten. Obwohl sie sich tagtäglich hier bewegten, fanden sie sich kaum zurecht. Auch verloren sie jegliches Zeitgefühl.

Dann meldete sich ein Vulkanier zu Wort: „Lieutenant de Boer. Hören Sie das Schaben und Murmeln? Es kommt aus einem großen Raum irgendwo rechts von uns.“ Mark strengte sich an, konnte aber nichts hören. „Entweder haben Sie bessere gute Ohren als ich oder viel Fantasie.“ Natürlich habe ich bessere Ohren als ein Mensch. So wie jeder Vulkanier.“, lautete die leicht herablassend klingende Antwort. „Natürlich. Nichts läge mir ferner, als einen Vulkanier mit Fantasie in Verbindung zu bringen.“, murmelte der Holländer, worauf Jon leise kicherte. „Okay, gehen wir dem nach und schauen, was das für Geräusche sind.“


Garrick war als erster mit seiner Gruppe im Hangar 1 angekommen. In seinem Suchbereich hatten sich nur wenige Menschen aufgehalten, als das Schiff abgestürzt war. Seine Idee, das Schiff über den Hangar zu verlassen, war zwar logisch gewesen, hatte jedoch zwei Nachteile, die ihm erst jetzt bewusst wurden. Der riesige Raum war stockdunkel, da es hier keine Fenster gab. Außerdem mussten die Schotts erst noch aufgestemmt werden. Ließen sich die Türen zwischen den Decks und Korridoren noch relativ einfach öffnen, so stellten diese Tore allein schon wegen ihrer Größe und ihres Gewichts eine echte Herausforderung dar. Hier würden sie einige kräftige Männer benötigen. Bisher hatten sie es nur geschafft, die Tore einen kleinen Spalt zu öffnen, kaum dicker als ein Finger. Ein schmaler Streifen grauen Lichts schnitt sich durch die Dunkelheit und hüllte den Hangar in eine unwirkliche Atmosphäre.

Aktuell beschäftigte Garrick sich und seine Gruppe damit, Dinge zu suchen, die sie als Hebel benutzen konnten. Bei den Lichtverhältnissen stellte sich das aber schwieriger dar als gedacht. Regelmäßig stießen sie irgendwo an. Auch veränderte das Licht die Perspektive und Dimension der Dinge.

Der Captain richtete sich stöhnend auf, nachdem er versucht hatte, eine leicht aussehende, kleine Kiste zu verschieben, die sich dann aber als deutlich größer und schwerer herausstellte. Er horchte in die Dunkelheit. Seine Gruppe hatte sich für die Suche im Hangar verteilt und warf sich Befehle und Informationen zu.

Garrick fiel auf, wie leise sich die Gruppe unterhielt, fast als sei es ein Sakrileg, dass sie überhaupt hier waren. Er sah sich um und konnte sich tatsächlich des Gefühls nicht erwehren, in einer Kirche oder einem Tempel zu sein. Garrick schüttelte den Kopf und lächelte. Religion hatte nicht mehr die große Bedeutung in der Gesellschaft, aber dennoch fühlten sich die meisten immer noch klein, manchmal sogar eingeschüchtert in religiösen Örtlichkeiten. Der großgewachsene Däne schüttelte erneut den Kopf. „Was ein vollkommen totes Raumschiff doch für Assoziationen weckt.“, dachte er amüsiert. Aber es kam äußerst selten vor, ein Raumschiff so zu erleben, also gestattete er sich diese gedankliche Reise.

„Sir, da kommt jemand.“, wurde er plötzlich in die Wirklichkeit zurückgeholt. Er sah auf, konnte aber nicht viel erkennen. Vielmehr hörte er die sich nähernde Gruppe. „Wahrscheinlich die Bruckner-Gruppe.“, dachte er. „Hallo? Ist da jemand? Benötigen Sie Hilfe?“, ertönte eine Stimme. Andersson zog erstaunt die Augenbrauen hoch. Dann trat er ins Zwielicht. „Vielen Dank, Lieutenant de Boer. Ich hatte eigentlich eher mit Lieutenant Bruckner gerechnet. Aber ich kann Ihre Hilfe durchaus gebrauchen.“ „Sir…“, antwortete de Boer überrascht. „Ich wusste nicht, dass Sie hier sind.“ „Hier ist unser Treffpunkt für den Ausstieg. Sämtliche Gruppen sollen sich hier einfinden. Sie sind nach uns die ersten. Wo ist Lieutenant Bruckner? Sie sollte Ihren Bereich evakuieren.“ „Oh, wir sind dann wohl vorher schon losgegangen, um das Schiff zu verlassen. Wir wussten nicht, ob der Warpkern rechtzeitig abgeworfen werden konnte und ob das Schiff wirklich sicher ist.“ „Eine gute Entscheidung. Und wie ich sehe, haben Sie sich alle sogar noch vorbereiten können. Sehr vorbildlich… Bis die übrigen hier angekommen sind, können Sie behilflich sein, die Luke zu öffnen. Uns fehlen da ein paar kräftige Männer.“ Mark drehte sich zu dem Vulkanier in seiner Gruppe um. „Vulkanier hören doch nicht nur besser als Menschen, sondern sind auch viel stärker oder?“ Mit einer ausladenden Geste trat er einen Schritt zur Seite. „Wenn Sie dann bitte vorgehen würden…“